Valentina Kerst vom Bundesverband Künstliche Intelligenz im Interview über Herausforderungen und Chancen.
Interview zu KI"Wir haben ein Umsetzungsproblem"

Valentina Kerst, KI Bundesverband
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Staaten wie die USA oder China setzen schon massiv auf KI. Drohen wir in Europa und Deutschland nicht den Anschluss zu verlieren?
Wenn wir uns diese globale Weltlage anschauen, müssen wir feststellen, dass wir in Europa uns schneller auf den Weg machen müssen. Grundsätzlich ist Europa gar nicht so schlecht aufgestellt. Wir haben eine sehr gute Forschungslandschaft, die auf qualitativ höchstem Niveau arbeitet. Wir haben allerdings ein Umsetzungsproblem. Wir wissen, dass wir etwas machen müssen, allerdings agieren wir nicht danach. Wir müssen in der Realität mehr KI konkret einsetzen. Das betrifft sowohl die öffentliche Verwaltung, auch die Wirtschaft. Es muss ein Markt entstehen. Da sind wir noch gar nicht, da müssen wir Gas geben.
Es gibt Bemühungen zur Regulierung von KI – man kann die Entwicklung mit ihren gesellschaftlichen Folgen ja nicht alleine Unternehmen mit ihren Interessen überlassen?
Es muss Regeln geben, nach denen diese Technologie agiert. Deshalb ist es richtig, dass man sich Gedanken macht, was KI kann und was sie eventuell nicht können sollte. Viele Fragen sind ungeklärt: Wo sind Grenzen? Was ist jetzt tatsächlich möglich? Wer ist an der Umsetzung beteiligt? An wen kann ich mich wenden, wenn ich ein Unternehmen bin? Ein Forschungsinstitut? Die Bundesnetzagentur hat erste Ansätze, es gibt Reallabore, wo KI ausprobiert wird. Aber da muss jetzt Bewegung reinkommen. Wenn wir nicht wissen, wie KI funktioniert und welche Daten am Ende des Tages genutzt werden, können wir auch nicht entscheiden, was regulativ umgesetzt werden muss.
Mehrere deutsche Firmen fordern ein Moratorium, bis KI reguliert wird. Ist das sinnvoll?
Darüber lohnt es sich tatsächlich nachzudenken. Was wir nicht brauchen, ist, wieder ein Gesetz zu haben wie bei der Datenschutzgrundverordnung: Mit einem guten Ansatz, aber bei der Umsetzung so chaotisch, dass die Akzeptanz am Ende des Tages fehlt.
Auch Deutschland wird eine nationale Aufsichtsbehörde für KI einrichten müssen. Sind wir dafür denn schon gut genug aufgestellt?
Ich denke schon. Wir haben sehr gute Experten. Zuerst aber brauchen wir Testräume, um unter realen Bedingungen auszuloten, wie Regulierung, Unternehmen und Forschungseinrichtungen enger zusammenarbeiten können muss, damit eben auch Akzeptanz und Vertrauen entstehen. Momentan sind wir da noch nicht. Die Bundesregierung muss endlich die Entscheidung treffen, wer der offizielle Regulierer sein wird.
Datenschutz und auch Urheberrecht sind große Herausforderungen in Sachen KI. Da werden von generativer KI ganze Bücher als Basis verwendet, ohne dass Autorinnen und Autoren zugestimmt haben. Man muss von Kreativität doch leben können?
Der Erfolg der KI-Sprachmodelle besteht darin, viele Inhalte zu haben. Das ist noch schwieriger, als es bisher in der Digitalisierung war, weil bei der KI kaum absehbar ist, wo Rechtsverletzungen stattfinden. Die Sprachmodelle sind aber nur ein kleiner Ausschnitt. Wir müssen vor allem über KI in der Wirtschaft sprechen, wo Daten beispielsweise vom Wirtschaftsprüfer, aus dem eigenen Unternehmen aus dem Medizinbereich kommen
Da haben viele Sorgen, dass KI Jobs vernichten wird?
Diese Diskussion kennen wir aus den 1970er Jahren, in denen der technologische Fortschritt massiv eingezogen ist. Bei der Digitalisierung hatten wir in den letzten 20 Jahren erneut. Jobs werden nicht massenweise verloren gehen, sondern sich verändern. Damit ändern sich dann auch die notwendigen Qualifikationen für die Mitarbeitenden. Ganz viele Menschen machen heute Standardtätigkeiten, die wegfallen könnten. Wenn wir es schaffen, 20 bis 30 Prozent dieser monotonen, wiederkehrenden Aufgaben von der KI machen zu lassen, dann ist das gut, weil man sich dann auf andere Bereiche konzentrieren kann. In den Rathäusern können zum Beispiel Knöllchen automatisiert verschickt werden. Bei den Finanzämtern wird bereits viel automatisieren. Wir müssen in der Gesellschaft diskutieren, worauf wir unseren Fokus setzen. Das ist die spannendere Diskussion, als zu sagen, dass Arbeitsplätze wegfallen.
Es entstehen ja auch neue Berufsbilder durch KI?
Absolut. Unternehmen können aufgrund von Daten Vorhersagen machen, Kommunen anhand der Geburtenzahl berechnen, wie viele Kitas und Schulen künftig gebraucht werden. An vielen Stellen können von KI aufbereitete Daten das Bauchgefühl bei Entscheidungen ersetzen. Bei den Sprachmodellen werden wir Expertinnen und Experten brauchen, die sich damit beschäftigen, wie wir mit Sprache umgehen. Zum Teil lässt sich heute noch gar nicht abschätzen, was da alles kommen wird.
Der US-amerikanische Forscher Ray Kurzweil hat Interview mit der ZEIT gesagt, KI werde schon 2029 die menschliche Intelligenz übertreffen, und wir würden uns dann alle KI-Implantate in den Kopf einsetzen lassen. Ist das realistisch?
Das sind die Bilder, die wir oft als eine Art Terminator-Vision sehen. Wenn neue Technologien kamen, hatten wir immer solche Debatten und Warnungen. Früher hielt man beispielsweise Videotelefonie für undenkbar, als die Telefone noch Wählscheiben hatten. Heute machen wir ganz selbstverständlich Videokonferenzen. Wir tracken unsere Gesundheitsdaten mit einer Uhr. Das sind alles technologische Entwicklungen, die gekommen sind, ohne dass wir uns etwas implantieren. Es mag vielleicht zehn oder zwanzig Personen auf dieser Welt geben, die das mal erproben wollen. Aber das ist eine sehr, sehr ferne Zukunftsmusik. Momentan müssen wir eher über andere Themen reden.
Zum Beispiel über die Digitalisierung der Verwaltungen, womit Sie sich als Co-Autorin des Sachbuches „Schleichender Blackout“ beschäftigt haben. Da haben Sie ausgeführt, dass das oft scheitert, weil dem öffentlichen Dienst Programmierer und Entwickler fehlen. Wie soll es dann jetzt mit dem nächsten Schritt der KI klappen?
Das ist tatsächlich ein großes Thema. Wir haben die Digitalisierung der Verwaltung in den letzten Jahren nicht wirklich geschafft, und jetzt kommt noch die KI hinzu. Dieser Zug ist wahnsinnig schnell unterwegs, da brauchen wir mutige Entscheidungen. Es geht darum, beides zu kombinieren. Es gibt bereits Unternehmen, die daran arbeiten, Arbeitsprozesse mit KI umzusetzen. Da ist natürlich auch technischer Sachverstand notwendig. Aber man wird es so aufstellen, dass nicht nur studierte Informatiker die Möglichkeiten nutzen können. Arbeitsprozesse zu digitalisieren und sie dann mit KI anzureichern, ist jetzt die große Herausforderung. Und ich hoffe, dass das Digitalministerium der Bundesregierung das auch erkennt und sich engagiert.
Sie leiten beim KI-Bundesverband auch eine KI-Akademie. Was wird denn da gelehrt?
Die Akademie hat weniger Lehrinhalte, wie der Name suggeriert, es geht vielmehr um praktische Projekte. Wir sind an einigen Vorhaben auf Bundesebene oder auf europäischer Ebene beteiligt, um Praxiserfahrungen zu sammeln. Dazu gehört beispielsweise das AI-Village im rheinischen Hürth, es geht aber auch um Sprachmodelle auf europäischer Ebene – etwa für Sprachen, die es nicht so oft gibt, wie isländisch oder skandinavisch. Das sind keine Weltsprachen. Aber auch hier besteht das Interesse, dass diese Sprachen in KI-Zeitalter nicht verloren gehen.
Sie haben das KI-Village in Hürth angesprochen. Was ist das Spannende daran für Bürgerinnen und Bürger?
Es ist entstanden aufgrund der Veränderungen im Braunkohlerevier. Die Region hat sich auf den Weg gemacht, zukunftsfähig werden zu wollen. Wir sind mit dem AI-Village in Hürth als Innovationscampus für künstliche Intelligenz und Robotik mit dabei. Wir sind sozusagen ein physischer Raum, den man besuchen kann. Man kann sich dort informieren, es gibt Veranstaltungen, man kann KI erleben, also anhand von Demonstrationen live etwas sehen oder an Workshops teilnehmen. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen und bilden sich weiter. Und wir haben auch Programmierabende, bei denen KI entwickelt wird.
Wie nutzen Sie selbst KI?
Vor allem für Sprachanwendungen, weil das so einfach ist. Das nutze ich sehr intensiv, meist mehrfach am Tag.
Valentina Kerst wurde 1979 in Köln geboren und ist Co-Geschäftsführerin beim KI-Bundesverband. Die Betriebswirtin war zuvor unter anderem Staatssekretärin im Thüringer Wirtschaftsministerium. Bei der Kölner SPD gründete sie im Jahr 2009 das „Forum Netzpolitik“. Außerdem ist Gründerin bzw. Co-Gründerin einer Vielzahl von digitalen Initiativen wie „D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt“, „Digital Cologne“ oder „Internetstadt Köln“.Sie lebt mit ihrer Familie in Bonn.