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ArbeitsmarktJobs mit und ohne Zukunft – wo kommt die KI besonders ins Spiel?

7 min
Künstliche Intelligenz wird in Unternehmen zunehmend eingesetzt. Dass es allein dadurch weniger Jobs auf dem Einstiegslevel gibt, ist aber nicht systematisch belegt.

Künstliche Intelligenz wird in Unternehmen zunehmend eingesetzt. Dass es allein dadurch weniger Jobs auf dem Einstiegslevel gibt, ist aber nicht systematisch belegt.

Bis 2030 werden ein Drittel der Arbeitsstunden durch Automatisierung wegfallen. Während viele Ältere Angst um ihren Job haben, sind die Jüngeren eher sorglos.

Sarah ist 17 Jahre alt. Sie geht aufs Gymnasium, im nächsten Frühling macht sie Abi. Und dann? Erst mal reisen, sagt sie, danach will sie studieren: Modedesign an der AMD Akademie Mode & Design in Hamburg. „Ich möchte Modejournalistin werden“, erzählt sie. Nun gehört der Journalismus zu den Berufen, von denen man schon heute weiß, dass sie sich durch Künstliche Intelligenz (KI) gravierend verändern werden. Texte kürzen, Bilder suchen, Informationen im Internet recherchieren, das kann die KI schon jetzt. Rund 40 Prozent der Arbeit von Journalisten ist automatisierbar, könnte also durch Maschinen erledigt werden, heißt es im Job-Futuromaten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Weniger Sorgen muss sich dagegen Sarahs Freundin Tamina machen. Auch die 17-Jährige will nach dem Abi erst einmal reisen und jobben, anschließend möchte sie ein duales Studium auf der Polizeischule absolvieren. Wenn sie später als Beamtin Verbrechen aufklärt und Täter jagt, muss sie nicht befürchten, durch Maschinen verdrängt zu werden. Die werden nur rund ein Drittel ihrer Tätigkeiten übernehmen können und Tamina daher eher assistieren, analysiert der Job-Futuromat.

KI beschleunigt den Wandel – 27 Prozent der Arbeitsstunden

Vor rund zehn Jahren hat der Oxford-Ökonom Carl Benedikt Frey gemeinsam mit seinem Kollegen Michael Osborne eine aufsehenerregende Studie veröffentlicht: 47 Prozent aller Jobs, die es zu dieser Zeit in den USA gab, würden in den kommenden 10 bis 20 Jahren ganz oder teilweise der Automatisierung zum Opfer fallen, hatten die Wissenschaftler prophezeit. Das, muss man sagen, ist so nicht eingetreten. Doch Frey geht davon aus, dass der prognostizierte Stellenschwund kurz bevor steht. Denn eine neue Technologie, die Frey 2013 noch gar nicht im Blick hatte, ist in der Lage, den Wandel enorm zu beschleunigen: die generative KI. Sie lernt selbstständig. Von Nanosekunde zu Nanosekunde wird sie schlauer. Die KI kann schon heute chatten, Bücher übersetzen, Grafiken und Illustrationen erstellen und Texte schreiben. Designerlabels experimentieren mit KI-Models, mit Tilly Norwood hat das polnische AI Talent Studios Xicoia, das erste KI-Talentstudio, eine KI-Schauspielerin erschaffen. Angeblich sind bereits mehrere Schauspiel-Agenturen in Hollywood interessiert, Norwood demnächst in Filmen unterzubringen. Die Unternehmensberatung McKinsey hält es für möglich, dass bis zum Jahr 2030 satte 27 Prozent der aktuell in Europa geleisteten Arbeitsstunden von Maschinen inklusive KI geleistet werden könnten, in den USA wären es sogar 30 Prozent. In Deutschland beginnen Arbeitnehmer, sich Sorgen um ihren Job zu machen. Rund jeder dritte Bundesbürger hat die Sorge, seinen Arbeitsplatz durch den Einsatz von KI zu verlieren, hat eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergeben. Waren es früher vor allem einfache Tätigkeiten, die von Maschinen übernommen wurden, sind durch die KI nun auch bislang privilegierte Berufsgruppen betroffen.

Werden künftig noch Anwälte Mandanten vor Gericht vertreten?

„Im Gegensatz zu anderen, früher schon eingesetzten Technologien wie herkömmliche Software oder auch Roboter zielen KI-Anwendungen eher auf die Übernahme höherqualifizierter Tätigkeiten ab“, sagt Michael Stops, der in der Fachgruppe „Berufliche Arbeitsmärkte“ beim IAB arbeitet. Stops Schwerpunkt: Berufe in der Transformation. Davon betroffen sind derzeit auch viele gutbezahlte Jobs, die auch für Studierende interessant sein könnten. KI-Entwickler arbeiten derzeit etwa an Programmen für die Unternehmensberatung und das Investmentbanking. Für Betriebswirtschaftsstudenten ist das keine gute Nachricht. Lara Kemper will Rechtsanwältin werden. Sie hat ihr erstes Jura-Staatsexamen hinter sich, das zweite liegt vor ihr. Gerade lernt sie im Referendariat die Richter-, Verwaltungs- und Anwaltspraxis kennen. Hat sie Angst, dass KI sie den Job kosten wird? „Nein“, sagt die 25-Jährige, „es wird immer so sein, dass Richter oder Anwälte Menschen sein werden“. Eine gesichtslose Entität, die Recht spricht oder vor Gericht Mandanten vertritt, das sei unvorstellbar. In ihrem Referendariats-Jahrgang sehen das alle so. Hinzu kommt: In den Parlamenten, in denen darüber entschieden wird, dem Einsatz von KI Grenzen zu setzen, säßen viele Juristen. Die hätten doch wohl ein Interesse daran, den Berufsstand zu schützen. Lara Kemper hat ihr Studium begonnen, als KI nur ein Thema für Hollywood-Filme war. Verblüffend: Auch heute spielt das Thema in der Studienberatung keine große Rolle. Es komme gelegentlich vor, dass Studierende die Frage aufwerfen, ob die Technologie den späteren Beruf gefährden kann, sagt Stefan Petri, Leiter der Studienberatung und Psychologischen Beratung der Freien Universität (FU) Berlin. „Aber das passiert eher selten“, berichtet er. „Ich hatte das selbst vielleicht ein-, zweimal.“

Fähigkeiten und Neigungen spielen größere Rolle

In der Beratung an der FU sei KI „noch ein kleines Thema“. Was die jungen Menschen dagegen häufiger umtreibe, sei die allgemeinere Sorge, wie sicher der Beruf generell ist. „Für uns ist das eine schwierige Frage“, sagt Petri, „wir sind ja keine Propheten.“ Doch selbst die Experten tun sich schwer mit Voraussagen, welcher Beruf „KI-sicher“ ist. Pauschal kann man das nicht beantworten, sagt IAB-Experte Stops. „Arbeiten, die am Computer erledigt werden, lassen sich potenziell leichter automatisieren als Tätigkeiten, bei denen die individuelle, physische Arbeitskraft im Vordergrund steht.“ So lassen sich handwerkliche oder Lehrtätigkeiten weniger gut durch KI substituieren als Helfertätigkeiten in der Datenverarbeitung. Wenn eine Tätigkeit durch KI ersetzbar wäre und der Futoromat ergibt, dass der eigene Job durch Maschinen übernommen werden könnte, heißt das aber noch lange nicht, dass das auch tatsächlich geschieht. „Denn die Einrichtung von KI erfordert hohe Rechenkapazitäten, weil in der Regel große Datenmengen verarbeitet werden müssen“, gibt Stops zu bedenken. Das ist teuer. „Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen müssen abwägen, ob sie dieses Investment wagen.“ Hinzukommen rechtliche und ethische Abwägungen, die Arbeitgeber häufig gemeinsam mit ihren Belegschaften treffen müssen. Wie Stefan Petri stellt auch Johannes Wilbert fest, dass KI keine zentrale Rolle bei der Berufsplanung junger Menschen spielt. Er ist Berufscoach und Gründer des Instituts zur Berufswahl. „Junge Erwachsene, die gerade mit der Schule fertig sind, wollen in der Beratung erst einmal herausfinden, wer sie sind und welchen Platz sie auf dem Arbeitsmarkt einnehmen könnten“, sagt er. Wilbert empfiehlt Jugendlichen, die Entwicklung der KI im Auge zu behalten, sich aber lieber darüber klar zu werden, wo ihre Fähigkeiten und Neigungen liegen. „Wer weiß, was er oder sie gut kann, ist nicht so leicht austauschbar.“ Deshalb gibt er in der Beratung auch keine Empfehlung, bestimmte Berufe zu meiden oder auszuüben. Junge Menschen sollten sich also eher fragen, was sie antreibt, welchen Sinn oder welches Ziel ihre Arbeit haben sollte und in welchem Umfeld sie gerne arbeiten würden. „Und dann schauen wir, mit welchen Kompetenzen sie in den entsprechenden Berufsfeldern gut andocken können.“ Ähnlich geht Stefan Petri vor. Die FU-Studienberatung wird zur Hälfte von jungen Menschen in Anspruch genommen, die noch gar nicht studieren, aber an einem Studium interessiert sind. Viele wissen nicht, welches Fach sie wählen sollen. In solchen Fällen fragt Petri: Was ist euch wichtig im Leben, welchen Weg wollt Ihr gehen? Möchtet Ihr Karriere machen, welche Werte habt Ihr?

Umstellen und bereit sein, weiter Neues zu lernen

Sarah weiß dagegen genau, was sie machen möchte. Und sie will ihren Plan verfolgen, obwohl ihr viele abraten. „Es interessiert mich trotzdem“, sagt sie. Und man könne in dem Beruf ja auch Tätigkeiten machen, die eine Zukunft haben. „Social Media, das geht ja auch.“ „Selbst wenn berufliche Tätigkeiten durch KI verändert werden, heißt das nicht, dass sie die Berufe vollständig übernimmt und die betroffenen Beschäftigten arbeitslos werden“, sagt IAB-Experte Stops. „Die Tätigkeitsinhalte werden sich aber verändern, Arbeitnehmer müssen sich umstellen und lernen, mit der KI zu arbeiten. Oder, falls ein Beruf tatsächlich verschwindet, sich weiterbilden und bereit sein, sich auf Neues einzulassen.“ Beispiel: Wer beim IAB-Job-Futuromaten „Journalist“ eingibt und schreibt, vor allem Kommentare und Reportagen anzufertigen, Online-Journalismus und digitales Storytelling zu machen, senkt seine Substituierbarkeitsquote auf 15 Prozent. Dass die KI den Menschen im großen Stil ersetzen werde, glaube er nicht, sagt auch Berufscoach Wilbert: „Die KI kann nicht reflektieren, sie kann analysieren, aber nicht kritisch hinterfragen.“ Als Hilfsmittel werde sie aber vermutlich viele Berufe verändern. „Um den Verlust von Arbeitskräften durch die alternde Gesellschaft auszugleichen, wird vermutlich beides gebraucht werden: die KI und der Mensch.“

Dieser Artikel erschien zuerst im „Tagesspiegel“ in Berlin.