Der 2010 aufgeflogene Skandal um minderwertige Brustimplantate des Unternehmens PIP wirft einen langen Schatten. In der Bilanz für 2023 erhöhte der Tüv die Rückstellung für möglichen Schadensersatz.
Kölner PrüforganisationSkandal um Brustimplantate belastet Tüv Rheinland

Ein Tüv-Prüfer nimmt ein Photovoltaik-Modul im indischen Bangalore unter die Lupe.
Copyright: Tüv Rheinland
Der 2010 aufgeflogene Skandal um minderwertige Brustimplantate des französischen Herstellers PIP belastet den Tüv Rheinland noch immer. Im abgelaufenen Jahr hat die Kölner Prüforganisation dafür eine Rückstellung von 47 Millionen Euro gebildet, die das Ergebnis deutlich gedrückt hat. Der operativen Gewinn (Ebit) sank auf 103,9 (Vorjahr: 180,3) Millionen, wie Konzernchef Michael Fübi bei der Vorlage des Zahlenwerks am Mittwoch sagte.
Der Tüv hatte das Qualitätssicherungsverfahren von PIP, die über Jahre minderwertiges Industriesilikon zur Herstellung verwendet hatten, zertifiziert. Etwa 40 000 Klägerinnen in Frankreich werfen dem Tüv allerdings vor, nicht sorgfältig genug gearbeitet zu haben. So hatte im Mai auch das Kassationsgericht in Paris entschieden und zweitinstanzliche Urteile zugunsten des Tüvs aufgehoben. Deshalb hat der Tüv die Rückstellungen um 47 Millionen aufgestockt auf jetzt insgesamt 277 Millionen.
Wir sind unverändert der Überzeugung, dass wir nichts falsch gemacht haben.
Der Tüv, der seinerseits Forderungen über 160 Millionen gegenüber seiner Versicherung in der Bilanz hat, bezeichnet das als kaufmännische Vorsicht. Außerdem hat der Tüv Rechtsverteidigungskosten von knapp 90 Millionen Euro, die teils in den Rückstellungen enthalten sind. Der Tüv sieht sich selbst als Betrugsopfer. „Wir sind unverändert der Überzeugung, dass wir nichts falsch gemacht haben“, sagte Fübi. Er wies darauf hin, dass man das letzte noch in Deutschland laufende Verfahren gewonnen habe. Nach seiner Ansicht wird der PIP-Skandal das Unternehmen noch Jahre beschäftigen.
Bereinigt um Sondereffekte betrug das operative Ergebnis 174,2 (190,8) Millionen. Das Geschäft läuft. Der Start ins laufenden Jahr ist geglückt. In den ersten drei Monaten des Jahres verzeichne das Prüfunternehmen ein Umsatzwachstum von rund neun Prozent, so Fübi. „Damit ist der Tüv Rheinland gut und sehr solide aufgestellt. Wir wollen auch 2024 wieder wachsen“, sagte Fübi.
Umsatz steigt um 7,2 Prozent
Für Wachstum sollen etwa Dienstleistungen rund um das Thema Nachhaltigkeit sorgen. Das sind etwa Messungen von Treibhausgas-Emissionen, Dienstleistungen im Gesundheitsschutz und Prüfungen von Anlagen zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien und deren Komponenten wie Photovoltaik-Modulen. 580 Millionen Umsatz hat der Tüv mit derartigen Dienstleistungen im abgelaufenen Jahr erzielt. In Zukunft erhofft sich der Tüv etwa Prüfaufträge, weil in Deutschland bis 2030 bis zu 50 Gas- und Dampfkraftwerke errichtet würden, die sich in Zukunft komplett mit Wasserstoff betreiben lassen.
Insgesamt hat der Tüv den Umsatz um 7,2 Prozent auf 2,44 Milliarden gesteigert. Bei konstanten Wechselkursen hätte das Plus sogar 11,1 Prozent betragen, so Finanzvorstand Philipp Kortüm. Im abgelaufenen Jahr hat der Tüv 400 000 Industrieprüfungen vorgenommen, 300 000 Produkte geprüft sowie zehn Millionen Fahrzeuge. Er konnte auch 200 000 Teilnehmende an seinen Seminaren begrüßen.
Zehn Unternehmen übernommen
Neben der Ausweitung des bestehenden Geschäfts sorgten Zukäufe für weiteren Umsatz. Im abgelaufenen Jahr hat der Tüv sieben Unternehmen übernommen mit rund 400 Expertinnen und Experten. Im laufenden Jahr gab es bereits weitere drei Zukäufe mit rund 500 Mitarbeitenden. Die zehn Unternehmen sollen insgesamt für einen zusätzlichen Jahresumsatz von 80 Millionen Euro sorgen. Ziel des Tüvs ist es laut Fübi, bei der Konsolidierung des weltweit zersplitterten Marktes für Prüfdienstleistungen eine wichtige Rolle einzunehmen. Zukäufe müssten aber nicht nur zum Tüv passen, sie sollten auch operative Rendite bezogen auf den Umsatz auf Tüv-Niveau von derzeit etwa sieben Prozent aufweisen. Verwässern sollten sie das Ergebnis jedenfalls nicht.
Investiert hat der Tüv im abgelaufenen Jahr 87,9 (90,8) Millionen. Das Geld floss unter anderem in ein 2023 fertiggestelltes Prüflabor für Antriebsbatterien bei Aachen, das insgesamt 24 Millionen gekostet hat. „Das neue Labor ist schon heute ein wichtiger Umsatztreiber für unser Mobilitätsgeschäft“, so Kortüm. Bei Shanghai entstehen neue Labore zur Prüfung von elektrischen und elektronischen Produkten etwa für die Abstands- und Geschwindigkeitsmessung, die für die Autoindustrie wichtig sind. In den USA entstanden zwei neue Prüfzentren in Boston und in Arkansas. Die Zahl der Vollzeitstellen stieg auf 22 092 (20 870). Mit 60,7 Prozent ist die Mehrzahl davon im Ausland.