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Kölner Rheinenergie-Chef im Interview„Die Wärmekosten werden sich verdoppeln“

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Steinkamp Rheinenergie 2

Rheinenergie-Chef Dieter Steinkamp

Köln – Der scheidende Rheinenergie-Chef Dieter Steinkamp mahnt Bürger und Industrie zum Energiesparen – Versorger erhöht die Preise für das Gas voraussichtlich bereits im Herbst „sehr deutlich“

Wir haben zum ersten Mal einen flächendeckenden Gasnotstand in Deutschland. Wer ist schuld außer Russlands Präsident Putin und der deutschen Politik? Hätten die auch Versorgungsunternehmen in der Vergangenheit anders agieren müssen?

Aus heutiger Sicht hätten auch die Energieversorger anders handeln müssen. Heute wissen wir, die Abhängigkeit von russischem Gas war zu groß. Diese Diskussion ist aus meiner Sicht aber müßig. Wir haben auf russisches Gas gesetzt, um in den 70er Jahren die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. 50 Jahre haben wir gut damit gelebt. Russland war auch im kalten Krieg vertragstreu, und das Pipeline-Gas ist deutlich billiger als LNG, also verflüssigtes Erdgas, das an den Küsten anlandet, wieder in gasförmigen Zustand versetzt und in die Netze eingespeist wird. In Asien, wohin LNG vor allem geliefert wird, sind die Preise doppelt so hoch. Wirtschaftlich haben Politik, Energieversorger und die einzelnen Verbraucher also rational gehandelt. Nur handelt Putin jetzt nicht mehr rational. Jetzt ist aber wichtig, den Blick nach vorn zu richten.

Was müssen wir tun?

Wir müssen uns von einseitigen Abhängigkeiten lösen. Es gibt aber in Norwegen oder in den Niederlanden und auch in Deutschland nicht ansatzweise ausreichende Reserven, um einen Ausfall von russischem Gas zu kompensieren. Kurzfristig hilft nur LNG. Wir müssen dann aber leider auch die Preise wie in Asien bezahlen. Einen Trost gibt es vielleicht.  Bei den hohen Preisen werden alternative Energien wie Wasserstoff viel schneller in die Wirtschaftlichkeit kommen als bislang angenommen. Die Dekarbonisierungswelle bekommt also einen kräftigen Schub. Mit marktfähigen Preisen beim Wasserstoff rechne ich jetzt bereits in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts.

Was bedeutet das für die Verbraucher?

Voraussichtlich im Herbst werden wir die Gaspreise sehr deutlich erhöhen, wobei wir erst dann die schon vor dem Jahreswechsel steil gestiegenen Beschaffungskosten weitergeben werden. Wie hoch genau, wissen wir noch nicht. Das hängt  auch davon ab, wann wir erhöhen. Zurzeit schwanken die Einkaufspreise auf hohem Niveau  stark. Die Strompreise erhöhen wir zum 1. August für Kunden in der Grundversorgung und mit Wahltarifen ohne Laufzeiten um knapp 7 Prozent. Seit Wochen erhöhen andere Versorger schon die Energiepreise. Die Verbraucher müssen sich darauf einstellen, dass sich die Wärmekosten  ab der nächsten Heizperiode über einen längeren Zeitraum verdoppeln werden. Bei den Strompreisen erwarte ich im Markt einen Aufschlag von 50 Prozent – beides im Vergleich zu den Preisen im ersten Halbjahr 2021.

Die Rheinenergie hat immer betont, dass sie langfristig einkauft. Mit welchem Vorlauf machen Sie das und wie profitiert der Kunde?

Wir kaufen bis zu 18 Monate im Vorhinein immer Teilmengen. So glätten wir Preise nach oben und nach unten. Unsere Stammkunden profitieren also derzeit noch von früher eingekauften, günstigeren Mengen, aber angesichts der steigenden Preise mit immer kleiner werdenden Anteilen, weil wir ja kontinuierlich  nachkaufen müssen. Der Preis steigt aber nicht so schnell wie bei Unternehmen, die nicht langfristig einkaufen.

Wie abhängig sind wir denn hier vom russischen Gas?

Wir sind so abhängig wie alle anderen. Vor dem Krieg hatte russisches Gas einen Anteil von 50 Prozent. Wir liegen jetzt, wo schon gespart wird und wir alternative Quellen angezapft haben,  zwischen 35 und 40 Prozent. Unser Branchenverband BDEW hat errechnet, dass wir davon die Hälfte einsparen können. Da bleibt also grob eine Lücke von 20 Prozent.

Was ist also zu tun?

Ganz wichtig ist, dass wir die Speicher füllen. Ob das vollständig gelingt, ist angesichts der Lieferreduzierungen aus Russland derzeit fraglich. Volle Speicher brauchen wir schon für den Normalbetrieb, um im Winter die Spitzenlast abzudecken. Wenn die Speicher nicht voll sind oder weniger Gas geliefert wird, haben wir ein Problem.

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Wir laufen in eine Gasmangellage, wie das technisch heißt, von der wir nicht wissen, wann die eintritt. Ist der Winter kalt, können wir keine zusätzlichen LNG-Mengen besorgen, dreht Putin vielleicht den Gashahn ganz zu und sparen wir nicht kräftig Energie, kann die bereits in diesem Jahr eintreten. Unter optimale Bedingungen kommen wir dagegen durch den Winter. Das Ausrufen der Alarmstufe durch den Bundeswirtschaftsminister war also richtig, um deutlich zu machen, dass wir alle kräftig sparen müssen.

Gilt das für ganz Deutschland?

Ja, wir haben hier lange Jahre Gas verbraucht, das aus den Niederlanden kam. Die Holländer fahren - wie vor Jahre angekündigt - die Förderung aber zurück wegen eines Erdbebenproblems im Feld bei Groningen. Deshalb haben sie ihrem L-Gas energiereicheres H-Gas aus Russland und Norwegen beigemischt und durch Stickstoffzugabe konvertiert. Die Gasnetzte sind außerdem weitgehend untereinander verbunden . Die Konversionstechnologie sorgt dafür, dass Gas weiträumig transportiert werden kann. Insgesamt haben wir ein westeuropäisches Netz und auch ein westeuropäisches Problem, wenn wir zu wenig Gas geliefert bekommen.

Kommt also unausweichlich die dritte Warnstufe?

Wir laufen  in eine zunehmende Knappheit hinein. Wo und wann die akut wird, ist ganz schwer abzuschätzen. Das Gasnetz ist wie eine Badewanne mit vielen Zuflüssen  und vielen Abflüssen, etwa bei industriellen Großverbrauchern. Wenn ein Zufluss ausfällt, leert sich die Badewanne nicht gleich. Vielleicht wird an anderer Stelle mehr eingespeist, vielleicht wird weniger entnommen. Es wird also vermutlich eine Phase geben mit einer Alarmstufe, in der bei hohen Preisen die Gasversorgung noch so gerade gut geht. Es kann auch Phasen geben, in denen es in Teilen Westeuropas oder Deutschlands zeitweise Mangellagen gibt.

Steinkamp Rheinenergie

Rheinenergie-Chef Dieter Steinkamp im Gespräch mit der Rundschau

Was passiert dann?

Die Netze oder die Pumpstationen brauchen Mindestdrücke. Werden die unterschritten, schalten ganze Bereiche ab. Wie diese Bereiche genau aussehen, lässt sich nicht sagen, weil die Netzbetreiber in möglichst großen Teilen die Drücke hochhalten. Aber wenn die Netze einmal abgeschaltet sind, muss an jeder Verbrauchsstelle das Sicherheitsventil überprüft werden. So war das auch im Ahrtal. Wir reden im Netz im Westen von NRW, Teilen von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz über Tausende Stellen. Eine Überprüfung dauert Wochen oder Monate.

Wie bereiten Sie sich vor?

Wir reden mit unserer Netzgesellschaft und dem vorgelagerten Ferngasnetzbetreiber. Im Ferngasnetz sieht man zuerst, wenn der Druck abfällt. Die Betreiber der Transportnetze teilen dann den Leitstellen mit, dass der Verbrauch mit einem Vorlauf von einem Tag heruntergefahren werden muss. Wir halten seit Wochen mit unseren größten 600 Kunden Kontakt, die einen Leistungsbedarf von zehn Megawatt und mehr haben. Das Ziel ist, möglichst intelligent abzuschalten, wenn es soweit kommen sollte. Das Gesetz sieht das Abschalten aller Großverbraucher vor. Bei einer Glashütte hieße das, dass die Produktionsanlage dann völlig zerstört wäre. Mit Vorlauf können die Großverbraucher vielleicht auf Öl umschalten, manch ein Unternehmen kann die Produktion vielleicht herunterfahren und einige Verbraucher können vielleicht zeitweise zu Gunsten von anderen ganz auf Gas verzichten. 

Da kann man Angst bekommen!

Zu Recht. Geschützt sind aber auf jeden Fall die Privatverbraucher, für die ausreichend Gas vorhanden ist. Geschützt sind auch die Heizkraftwerke. In einem aktuellen Gesetzentwurf ist allerdings vorgesehen, dass jeder Gasverbrauch pönalisiert wird, auch der in einem Heizkraftwerk. Dabei ist die Wärmeversorgung doch geschützt. Hier müssen wir noch Überzeugungsarbeit beim Gesetzgeber leisten. Geschützt sind auch die kritische Infrastruktur oder „sozial relevante Einrichtungen“. Das sind etwa Krankenhäuser und Altenheime, Feuerwehr und Polizei.

Hätten die Vorbereitungen auf einen möglichen Engpass nicht früher beginnen müssen?

Die Aktivitäten und die Kommunikation müssen zur jeweiligen Lage passen. Die Bundesregierung ist jetzt mit ihrer Energiesparkampagne durchgestartet, die  Versorger werden sie unterstützen und flankieren. Wichtig ist, dass Energiesparen jetzt dran ist. Nicht erst im Winter.  Viele Maßnahmen helfen: das Warten der Heizung, eine niedrigere Wohnungstemperatur in der Heizperiode, das Umstellen von Gas auf Öl in der Industrie, wo das denn geht.

Eine Alternative zum Gas sind Wasserstoff und synthetische Gase. Können die die riesigen Gasmengen ersetzen?

Wir müssen aus Klimagründen ohnehin Alternativen zu fossilen Energieträgern einsetzen. Das wird auch gehen – fraglich ist wie schnell und zu welchen Preisen. Hier spielt die Skalierung eine wichtige Rolle. Massenproduktion hilft. Die Produktion von grünem Wasserstoff mit Erneuerbare Energien ist auch in vielen Regionen aufgrund der hohen Sonneneinstrahlung relativ schnell aufbaubar. Ich kann mir gut vorstellen, dass in zehn Jahren Wasserstoff eine signifikante Rolle bei der Energieversorgung spielen wird und über die 2030er Jahre Erdgas ersetzen kann. Wir wollen  mit Partnern ja auch eine Elektrolyseanlage an unserem Standort in Rostock bauen. Die Frage ist immer, wo kommt der grüne Strom her für eine solche Anlage und wie gelangt der Wasserstoff dann zum Kunden.

Grünen Strom will die Rheinenergie verstärkt auch in Köln produzieren. Wie schnell können Sie denn bis zu neun Windkraftanlagen im Kölner Norden bauen?

Die Anlagen lassen sich in ein bis zwei Jahren errichten. Mehr Zeit brauchen möglicherweise die Genehmigungsverfahren. Ich habe gezielt einen Stein ins Wasser geworfen. Die Diskussionen rund um „Nicht vor meiner Haustür“ kennen wir schließlich alle. Wir glauben, dass es in Köln geeignete Flächen gibt, die keine riesige Betroffenheit bei einer direkten Wohnnachbarschaft auslösen und über ausreichend Windaufkommen verfügen. Wir sollten uns darüber verständigen, solche Flächen auch in Köln zur regenerativen Energieerzeugung zu nutzen. Nur so können wir die bundesweiten und die Kölner Klimaschutzziele erreichen. Der Stadtrat muss entscheiden, wir würden die Bürger in den Prozess miteinbeziehen und sind auch bereit, sie zu Miteigentümern zu machen.

Sie planen auch große Photovoltaik-Anlagen in Köln

Köln verfügt an mehreren Stellen über suburbane geeignete Freiflächen, etwa entlang von Autobahnen. Solche Anlagen könnten  auch auf Baggerseen entstehen, in denen das Wasser eigentlich keine hohe Biodiversität aufweist. Auf Naturseen würden wir die Anlagen nicht bauen. Auch auf Dächern in der Stadt planen wir im Rahmen unserer Solaroffensive Photovoltaikanlagen. Wie das aussehen kann, zeigen wir auf einem Tiny House bei unserer Zentrale am Parkgürtel. Hier eröffnen wir nach den Sommerferien mit der Stadt und der Handwerkskammer ein Solarzentrum. Es gibt Beratung von uns, die Stadt informiert über Fördermittel, und die Handwerkskammer zeigt vor Ort, wie technische Lösungen aussehen können. Auf Kölner Dächern sehen wir ein riesiges Potenzial für Photovoltaikanlagen. Nicht nur für uns, auch für andere Investoren und die Immobilienbesitzer. Nach einer Gesetzesänderung können auch die Mieter von den Anlagen auf dem Dach profitieren, so dass die einen weiteren Schub bekommen sollten.

Ende des Monats räumen Sie ihren Schreibtisch. Was machen Sie dann?

Genau kann ich das noch gar nicht sagen. Ich habe alle Gedanken daran mit Beginn des Ukraine-Kriegs zurückgestellt. Die Turbulenzen auf den Energiemärkten haben meine volle Aufmerksamkeit gefordert.  Ein Schwerpunkt wird ehrenamtliche Arbeit sein. Ich habe viel Glück gehabt im Leben. Jetzt möchte ich etwas zurückgeben. Was kann ich? Vielleicht Geld besorgen oder Netzwerke auszubauen. Natürlich freue ich mich darauf, freie Zeit zu haben. Ich segele gerne, vielleicht in Zukunft zwei oder dreimal im Jahr für eine Woche. Ich freue mich auf Zeit mit meiner Familie. Es gibt auch ein paar Anfragen aus der Branche. Man wird mich auch im Theater sehen oder in Konzerten. Ich bleibe in Köln.