Investitionen in AgrarlandWie westliche Investoren in der Ukraine Kasse machen

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Ein Mähdrescher erntet Getreide auf einem Feld in der Region Odessa im Süden der Ukraine.

Ein Mähdrescher erntet Getreide auf einem Feld in der Region Odessa im Süden der Ukraine.

Für Landwirte ist der Krieg besonders verheerend. Zehntausende Hektar Land haben in der Folge neue Besitzer bekommen.

Die Zahlen sind beeindruckend: Mit rund 33 Millionen Hektar Ackerland – das entspricht etwa einem Drittel der gesamten Ackerfläche der EU – gilt die Ukraine als Kornkammer Europas. Fast 30 Prozent des Weltweizens werden dort angebaut. Doch immer weniger Boden ist in der Hand von ukrainischen Kleinbauern.

Für sie ist der andauernde Krieg im Land besonders verheerend. Viele Männer sind an der Front, können die Felder nicht bestellen und sind gezwungen, ihr Land zu verkaufen oder zu verpachten. Zehntausende Hektar Land haben in der Folge neue Besitzer bekommen.

„Der Durchschnittspreis für einen Hektar Land beträgt weniger als 1000 Euro und ist damit um ein Vielfaches günstiger als in den benachbarten EU-Ländern“, heißt es beim Warschauer Centre for Eastern Studies. Das zieht offenbar „Schnäppchenjäger“ an.

Die Pläne für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg zielen auf die Öffnung der Landwirtschaft für aus- ländische Interessen ab.
Anuradha Mittal, Direktorin Oakland-Institut

Laut einer Studie des kalifornischen Oakland-Instituts, einer Denkfabrik für Nahrungssicherheit und Landaneignung, gehören in der Ukraine inzwischen Millionen Hektar fruchtbares Ackerland gerade mal einem Dutzend großer Agrarunternehmen. Neun der zehn größten Investoren sind im Ausland registriert, unter ihnen die Bayer-Tochter Monsanto, der Chemiekonzern Dupont und der Handelsriese Cargill. Mit 450000 Hektar Pachtfläche gilt der US-Pensionsfond NCH als größter Investor.

Zudem hätten sich einheimische Agrarunternehmen – „immer noch weitgehend von Oligarchen kontrolliert –, westlichen Banken und Investmentfonds geöffnet, die nun einen Teil ihrer Anteile kontrollieren“, so die Oakland-Studie. Darunter so prominente wie Kopernik, BNP oder Vanguard. Zudem seien die meisten Großgrundbesitzer der Ukraine massiv bei westlichen Fonds und Institutionen verschuldet, vor allem bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie der Weltbank.

Freier Markt für Agrarböden

Hintergrund der Entwicklung ist ein Gesetz, das seit Juli 2021 die Etablierung eines freien Marktes für Agrarböden ermöglicht hat. Wird die halbe Ukraine nach dem Krieg also vielleicht Konzernen gehören, die die verbliebenen Kleinbauern in den Ruin treiben? Ausgeschlossen ist das nicht. „Die Pläne für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg, die von ihren Institutionen bereits ausgearbeitet werden, zielen auf eine stärkere Privatisierung und die Öffnung der ukrainischen Wirtschaft und Landwirtschaft für ausländische Interessen ab“, mahnte Oakland-Direktorin Anuradha Mittal im Frühsommer in einem Brief an die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Die drei internationalen Institutionen hatten seit 2014 hartnäckig Druck auf die ukrainische Regierung ausgeübt, das Moratorium, das bis dahin für den Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen galt, aufzuheben. Internationale Wirtschaftshilfe war unter anderem an diese Reform geknüpft, sodass die Regierung dem Drängen schließlich nachgab und den Handel mit Bodenflächen 2021 liberalisierte – gegen die Mehrheit der Bevölkerung.

So enthält der Oakland-Brief folgenden Appell: „Das Ende des Krieges sollte der Moment und die Gelegenheit für die Neugestaltung eines Wirtschaftsmodells sein, das nicht mehr von Oligarchie und Korruption beherrscht wird, sondern wo Land und Ressourcen von allen Ukrainern kontrolliert werden und allen Ukrainern zugute kommen.“ Politik und Wirtschaftshilfen sollten auf diesen Wandel ausgerichtet sein, damit er den Menschen und Bauern zugute komme und nicht Oligarchen und ausländischen Finanzinteressen.

Schon vor dem Überfall Russlands war etwa ein Viertel der ukrainischen Agrarflächen in den Händen internationaler Agrarkonzerne. Regierungen der Nachwendezeit sowie eine überstürzte Privatisierung hatten es Oligarchen vor dem Moratorium ermöglicht, riesige Flächen oft weit unter eigentlich angemessenen Preisen zu kaufen; auch Korruption soll dabei immer wieder eine Rolle gespielt haben. Heute werden noch gut 20 Millionen Hektar von rund acht Millionen ukrainischen Kleinbauern beackert.

Im Dezember 2022 hatten Landwirte, Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen gefordert, das Landreformgesetz und alle Markttransaktionen von Agrarland während der Kriegs- und Nachkriegszeit auszusetzen. Das ist nicht geschehen. Laut einer Analyse des Centre for Eastern Studies vom Juli hat sich die Zahl der Eigentümerwechsel in Kriegszeiten zwar verlangsamt; grundsätzlich aber halte der Trend an.

„Lähmende Verschuldung“

Die „lähmende Verschuldung der Ukraine könnte von den Finanzinstitutionen als Druckmittel benutzt werden, um den Wiederaufbau in Richtung weiterer Privatisierungen und Liberalisierungen in verschiedenen Sektoren voranzutreiben“, warnt man beim Oakland-Institut – „einschließlich der Landwirtschaft“. Stand heute schätzt die Weltbank die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg auf mindestens 400 Milliarden Dollar. Allein die durch den Krieg entstanden Schäden und Verluste für die ukrainischen Bauern wurden im Februar 2023 auf rund 40 Milliarden Dollar beziffert.

Der Krieg hat die Auslandsverschuldung der Ukraine vervielfacht, das Land ist heute der drittgrößte Schuldner beim Internationalen Währungsfonds. Der Westen wird nicht müde, seine finanzielle Unterstützung so lange wie nötig zu garantieren – womöglich auch in der Hoffnung auf lukrative Gegengeschäfte.

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