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Nachhaltige MeeresnutzungExperten warnen vor verheerenden Folgen der Überfischung in der Ostsee

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Fischer im Hafen von Xiangzhi in der südostchinesischen Provinz Fujian arbeiten an ihrem frischen Fang.

Fischer im Hafen von Xiangzhi in der südostchinesischen Provinz Fujian arbeiten an ihrem frischen Fang.

Zwei Experten der Christian-Albrechts-Universität Kiel äußern sich zu den Folgen der intensiven Fischerei und Nutzung von Aquakulturen für die Seen und Ozeane.

„Die Lage in den Meeren ist generell nicht gut“, warnt Marie-Catherine Riekhof. Sie ist Professorin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und leitet dort das Center for Ocean and Society im marinen Forschungsschwerpunkt der Universität. Global müsse man fragen, wie viel Fische wir überhaupt noch fangen dürfen, damit sich die Bestände erholen können. In der Ostsee ist die Lage bei den sogenannten „Brotfischen“ mittlerweile verheerend. Dorsch und Hering dürfen seit 2023 beziehungsweise 2024 in der westlichen Ostsee nicht mehr gezielt befischt werden. Beim Hering gebe es zwar noch Ausnahmen für kleine Küstenfischer, so Riekhof, aber es werde überlegt, hier die Fischerei auf diese Arten für einige Jahre komplett zu verbieten.

Ein Fischkutter im kleinen Hafen von Timmendorf auf der Ostseeinsel Poel. Dezimierte Fischbestände und sinkende Fangmengen verschärfen die Lage bei den deutschen Ostseefischern.

Ein Fischkutter im kleinen Hafen von Timmendorf auf der Ostseeinsel Poel. Dezimierte Fischbestände und sinkende Fangmengen verschärfen die Lage bei den deutschen Ostseefischern.

„In der westlichen Ostsee fangen die Fischer heute fast nichts mehr. Und wenn, dann ist der Fang klein und kränklich. Eine Folge der Überfischung“, beschreibt die Ressourcenökonomin die dramatische Situation in dem nordeuropäischen Meer. Für die Fischer ist das nur noch ein Nebenverdienst, davon leben können die meisten schon lange nicht mehr. Auch in anderen Meeren sieht es nicht viel besser aus, so Riekhof. Laut den Daten der UN-Ernährungs- und -Landwirtschaftsorganisation („Food and Agriculture Organization“ (FAO)) sind global gesehen 40 Prozent der Fischbestände gefährdet. Die Umweltschutz-Organisation Greenpeace spricht sogar von einer Gefährdung von 75 Prozent der Meeresfischpopulationen.

In der westlichen Ostsee fangen die Fischer heute fast nichts mehr – auch eine Folge der Überfischung. Und wenn, dann ist der Fang klein und kränklich.
Marie-Catherine Riekhof, Ressourcenökonomin an der Christian-Albrechts-Universität Kiel

Aber nicht nur die Überfischung, sondern auch die durch den Klimawandel immer wärmer werdenden Ozeane setzen viele Fischarten unter Stress, führt die Forscherin weiter aus. Zudem belasten die hohen Nährstoffeinträge durch die Flüsse die Meere und führen zu Sauerstoffmangel durch starkes Algenwachstum. Grund hierfür sind die im Flusswasser gelösten Düngemittel aus der Landwirtschaft. Die Aufnahme von CO2 – eine Folge der hohen Emissionen des Treibhausgases in die Atmosphäre – mache die Meere immer saurer und gefährde Meerestiere mit Kalkschalen/-strukturen wie Muscheln oder Korallen, mit Rückwirkungen auf das gesamte marine Ökosystem. „Bei all den aufgezählten Risikofaktoren ist vor allem das enorme Tempo der Veränderungen die große Herausforderung. Denn Tiere und Pflanzen, aber auch die Institutionen, die die Nutzung der Meere regeln, haben dadurch kaum eine Chance, sich anzupassen“, fügt Riekhof an.

Können Aquakulturen die Lösung sein?

Neben Hochsee- und Fischereiabkommen sowie neuen Möglichkeiten der Kontrollen auf See (siehe Kasten) können auch die bereits etablierten Aquakultur-Konzepte eine Lösung zur Erhaltung der Fischarten in den Meeren und Seen sein. Carsten Schulz beschäftigt sich an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel seit langem mit Aquakulturen. Der große Player in der Fischzucht ist China mit einem weltweiten Anteil von über 60 Prozent. Auch die dann folgenden Länder sind in Ostasien anzusiedeln: Indien, Indonesien, Vietnam, Bangladesch. In Südamerika und Europa sind Chile beziehungsweise Norwegen die größten Aquakulturproduzenten, wobei der gesamteuropäische Anteil an der weltweiten Aquakulturproduktion nur bei knapp fünf Prozent liegt, so der Wissenschaftler, der zudem auch die Abteilung Aquakultur und aquatische Ressourcen am Fraunhofer IMTE in Büsum leitet.

An den deutschen Küsten spielen Fischaquakulturen keine Rolle. Mengenmäßig relevant seien hierbei vor allem die Miesmuschelkulturen in der Nordsee, erläutert Schulz. Ansonsten finde man jedoch zahlreiche Süßwasserfischzüchtungen über ganz Deutschland verteilt, die in Teichwirtschaftssystemen (vor allem Karpfen) oder Durchflusssystemen (insbesondere Forellen) bewirtschaftet werden. Diese werden auch primär zum Verzehr genutzt, machen aber dennoch nur wenige Prozent des gesamten Fischkonsums der Deutschen aus.

Forellenzucht in Engelskirchen.

Forellenzucht in Engelskirchen.

Die Grenzen des intensiven Fischverbrauches

Leider stößt man auch bei der intensiven Aquakultur-Nutzung global an ökologische Grenzen. Die kostengünstigen Netzgehege können bei zu intensiver Nutzung in den Küstenregionen eine Überdüngung des küstennahen Meerwassers durch die Ausscheidungen der Zuchtfische verursachen. Zudem besteht die Gefahr, dass Infektionen im Zuchtbetrieb sich auf die Wildfischpopulationen übertragen. Der Uni-Wissenschaftler weist jedoch auf eine positive Entwicklung in der Zuchtfischerei hin: „Seit Mitte der 1990er Jahren ist die Anwendung von Antibiotika in der europäischen Aquakultur immer weiter zurückgegangen. Vor allem wirksame Impfstrategien ersetzen sie mit Erfolg.“

Geschlossene Aquakultursysteme sind teuer in der Anschaffung und im Betrieb, was sie aktuell nur bedingt wettbewerbsfähig macht.
Professor Carsten Schulz, wissenschaftlicher Experte für Aquakulturen

In den norwegischen Fjorden ist die Belastungsgrenze der Gewässer durch die Nutzung dieser offenen Systeme wahrscheinlich jedoch erreicht. Eine Ausweitung der dortigen Aquakulturen, so Schulz, könnte aber über landseitige, geschlossene Systeme funktionieren, die man sich im Grunde wie ein großes Aquarium vorstellen muss. Die Ausscheidungen der Zuchtfische können damit über integrierte Filteranlagen komplett separiert und für andere Zwecke (Düngereinsatz etc.) genutzt werden. Das Problem: „Diese Anlagen sind teuer in der Anschaffung und im Betrieb“, gibt Schulz zu bedenken, „was sie aktuell nur bedingt wettbewerbsfähig macht.“

Aquakulturen, wie diese in Norwegen, sind seit Jahren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Fischindustrie und entlasten die Wildfisch-Bestände vor einer weiteren Überfischung in den offenen Meeren.

Aquakulturen, wie diese in Norwegen, sind seit Jahren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Fischindustrie und entlasten die Wildfisch-Bestände vor einer weiteren Überfischung in den offenen Meeren.

Eine weitere Herausforderung sei die Fütterung in der intensiven Fischzucht. Man verzichtet heute überwiegend auf Fischmehl und -öl und verwendet stattdessen zu weit mehr als 80 Prozent pflanzliche Rohstoffe. Doch auch diese müssen produziert werden. Fische verwerten dieses Futter aber effizienter als andere Nutz-Tiere in der Landwirtschaft, so dass der CO2-Fußabdruck niedriger sei, erläutert Schulz. „Um die Meere nicht noch weiter zu gefährden, muss also das Fazit lauten: Wenn wir tierische Produkte konsumieren wollen, sollten wir vor allem zu Zuchtfisch greifen.“