Anne Brorhilker spricht im Rundschau-Interview über die Macht der Finanzlobby und die letzte Chance zur Aufklärung von CumCum-Geschäften.
Star-Ermittlerin Anne Brorhilker„Das war eine katastrophale Fehlentscheidung“

Ermittelte im CumEx-Skandal: die Juristin Anne Brorhilker.
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Die neue Regierung tritt am Dienstag an. Sie muss sofort einen „katastrophalen“ Fehler der Ampel-Regierung reparieren, damit die Banken mit ihren Steuerskandalen nicht ungeschoren davon kommen. Das und was genau zu tun ist, sagt Star-Ermittlerin Anne Brorhilker im Interview mit Tobias Schmidt.
Frau Brorhilker, Banken und Finanzjongleure haben dem Land mit CumCum-Geschäften einen Schaden von fast 30 Milliarden Euro zugefügt. Nicht mal ein Prozent davon hat sich der Staat zurückgeholt. Wie kann das eigentlich sein?
Ich beschäftige mich jetzt schon ziemlich lange damit, und ich finde das immer noch unfassbar. Die knapp 30 Milliarden sind ja sogar eine sehr konservative Schätzung. Es ist gut möglich, dass der tatsächliche Schaden noch sehr viel größer ist.
Umso drängender die Frage: Wie kann man die Banken davonkommen lassen?
Ich glaube, es gibt mehrere Gründe für die weniger als halbherzige Verfolgung: Erstens die weite Verbreitung der Fälle. In vielen Landesbetriebsprüfungen fehlen schlicht das Personal und die Strukturen. Und es fehlt zweitens die politische Rückendeckung. Anders als bei CumEx waren bei CumCum neben Landesbanken auch Sparkassen involviert, die von Kommunal- und Landespolitikern beaufsichtigt werden. Dazu auch Volksbanken oder andere lokale Banken und Unternehmen, die vor Ort gut vernetzt sind. Ich kann mir vorstellen, dass es deswegen auf kommunaler und landespolitischer Ebene eine gewisse Beißhemmung gibt, obwohl jeweils sehr hohe Steuerrückforderungen im Raum stehen.
Ex-Finanzminister Christian Lindner galt als Freund der Finanzlobby. Olaf Scholz hat vor seiner Kanzlerschaft den Chef einer am CumEx-Skandal beteiligten Bank empfangen. Waren die Ampel-Jahre auch deswegen verlorene Jahre im Kampf gegen Finanzkriminalität und für den Versuch, sich die Milliarden zurückzuholen?
Ich will über die genauen Gründe nicht spekulieren. Aber es stimmt in der Tat, dass in den vergangenen vier Jahren nicht genug passiert ist. Das ist aber nicht nur auf Bundesebene so, das gilt ebenso für die meisten Bundesländer. Und es ist ja auch nicht so, dass es vor den Ampel-Jahren eine glorreiche Zeit der CumEx-Aufklärung gab, die dann plötzlich vorbei war. Es gibt in Deutschland keine Partei, die überall und mit Nachdruck für die konsequente Aufklärung der Geschäfte kämpft. Es gibt in fast jeder Partei einzelne Politikerinnen und Politiker, denen das Thema am Herzen liegt und die dafür kämpfen. Aber die klare parteipolitische Priorität gibt es nirgendwo.
Union und SPD geloben im Koalitionsvertrag Besserung. Was genau ist notwendig, damit es nicht bei Alibi-Ankündigungen bleibt?
Im Koalitionsvertrag ist CumCum immerhin erwähnt, es gibt ein klares Bekenntnis zum Kampf gegen Steuerhinterziehung und für wirksamen Steuervollzug, das ist erst einmal gut. Die Frage ist jetzt, wie ernst es der Koalition mit diesen Versprechen ist, und das werden wir sehr schnell sehen.
Warum sind Sie da so sicher?
Der neuen Bundesregierung – und vor allem dem Finanzminister – läuft die Zeit davon. Die Ampel hat kurz vor ihrem Ende noch ein sogenanntes Bürokratie-Entlastungsgesetz beschlossen, das unter anderem die Aufbewahrungsfristen für wichtige Dokumente verkürzt. Das war aus meiner Sicht eine katastrophale Fehlentscheidung: Die Regelung bringt keine Entlastung für ehrliche Unternehmen, erlaubt Banken und anderen CumCum-Tätern aber, wichtige Beweismittel zu vernichten und so Steuerrückforderungen zu verhindern. Für Banken und Co. tritt die Verkürzung aber erst Anfang 2026 in Kraft. Der Finanzminister hat also noch ein gutes halbes Jahr Zeit, die Aufklärung in Schwung zu bringen, bis die Täter ihre Schredder anwerfen dürfen.
Tatsächlich will Schwarz-Rot die Regeln für Kapitalmärkte teilweise lockern und den Banken sogar Milliarden überlassen, statt damit Schulden aus der Finanzkrise zu tilgen. Müsste mit Blick auf die von Donald Trump ausgelösten Turbulenzen und mit Blick auf das Gerechtigkeitsempfinden der „normalen“ Bürger nicht das Gegenteil getan werden?
Ich finde schon. Es ist in Deutschland einfach so, dass die Finanzlobby wahnsinnig viel Einfluss hat. Und speziell im Umgang mit den Banken gibt es bei vielen Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl, dass wir da eine Schieflage haben – spätestens seit der Finanzkrise 2008. Diese Schieflage, dieses Gefühl, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, ob jetzt bei der Verfolgung von Finanzkriminalität oder bei der Frage, ob Banken eigentlich für den Schaden bezahlen müssen, den sie 2008 angerichtet haben, ist auf lange Sicht Gift für eine Gesellschaft. Darunter leidet das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Demokratie, das sieht man ja auch an den Wahlergebnissen.
Was meinen Sie, werden Friedrich Merz und sein Finanzminister Lars Klingbeil die Finanzpolitik zum Wohle der Bevölkerung verbessern?
Ich kann nicht vorhersagen, was die beiden tun werden. Ich kann aber sagen, was möglich ist, und das ist eine ganze Menge. Nehmen Sie die Rückforderung der CumCum-Gelder: Da haben wir jahrelang immer das Lied von „Ländersache, können wir nichts machen, sind wir nicht zuständig“ gehört. Aber die Wahrheit ist, dass der Finanzminister eine Menge machen kann, wenn er nur will.
Geht es konkreter?
Na klar. Er kann beim Bundeszentralamt für Steuern entsprechende Prioritäten setzen, er kann Bundesbetriebsprüfer losschicken, er kann die Ermittlungen der Länder finanziell und personell unterstützen, er könnte ein gemeinsames Prüfungskonzept für Bund- und Länder aufsetzen. Ich glaube übrigens auch, dass das politisch sehr populäre Maßnahmen wären – vielleicht nicht bei den Banken, aber bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das Thema brennt wahnsinnig vielen Menschen unter den Nägeln, das sehen wir bei Finanzwende auch immer an den Reaktionen auf unsere Aktionen und Petitionen.