Das große Schweine-MikadoWarum Schlachtunternehmen massiv Geld verlieren

Mastschweine in einem Lkw auf dem Weg zum Schlachthof
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Köln – Alles wird teurer – nur das Schweinefleisch wird pünktlich zur Grillsaison billiger. Den Vorstoß machte kürzlich der Discounter Aldi, die übrigen Handelsriesen erklärten, nachziehen zu wollen. Man gebe sinkende Einkaufspreise an die Kunden weiter und leiste damit einen Beitrag zur Senkung der Inflation, teilte ein Sprecher für Aldi Nord und Süd mit.
Sinkende Einkaufspreise? Ein führender Manager aus der Fleischindustrie kann darüber im Gespräch mit unserer Redaktion nur lachen. „Der Handel in Deutschland, der liebt vielleicht die Lebensmittel und die damit verbundenen Margen“, sagt er unter Anspielung auf den Werbeslogan einer großen Kette. „Aber ein Herz für Lebensmittelproduzenten hat er ganz sicher nicht.“
Dass das Fleisch im Supermarkt billiger werden soll, ist das Ergebnis der zurückliegenden Verhandlungen zwischen Handel und Fleischwirtschaft. Die verliefen auch in der Vergangenheit schon mal ruppig, die eine oder andere Tür soll dabei zugeschlagen worden sein. So einen Druck wie dieses Mal hätten die Händler aber noch nie aufgebaut, berichten mit den Gesprächen vertraute Kreise unserer Redaktion.
Schweine sind knapp, Energie ist teuer
„Unfassbar unverschämt“, empört sich der Manager. Denn auch die Fleischwirtschaft leidet unter steigenden Kosten. Alles, was in den Schlachthof reingeht, ist teurer geworden: Energie, Arbeitskraft und auch der Rohstoff Schwein selbst. Die Tiere sind mittlerweile ein knappes Gut in Deutschland, weil sich die Aufzucht für Bauern auch infolge der Teuerung nicht mehr lohnt. Zudem sinkt der Schweinefleischkonsum – und der Export stockt nach dem jüngsten Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest.
Für sich genommen sind das alles Probleme, die die Bilanz eines Schlachtkonzerns verhageln können. Zusammengenommen sind sie jedoch existenzbedrohend. Das bestätigt auch der Manager: „Wenn der Handel keine höheren Kostenstrukturen akzeptiert, brechen denen die Lieferanten weg. Nicht aus Protest, sondern weil sie schlichtweg pleitegehen.“
Seinen Namen oder den Namen seines Unternehmens will der Manager nicht veröffentlicht wissen. Die Lebensmittelhändler in Deutschland sind mächtig. Die großen vier – Aldi, Lidl, Edeka und Rewe – haben fast den kompletten Markt unter sich aufgeteilt. Kein Produzent kann es sich erlauben, es sich nachhaltig auch mit nur einem der Händler zu verscherzen.
Einer, der offen spricht, ist Hubertus Beringmeier, Bauernpräsident im mächtigen Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV). In dieser Region und im angrenzenden Niedersachsen wird der größte Teil der deutschen Schweine gehalten. Auch Beringmeier ist Schweinebauer. In Westfalen und Niedersachsen gibt es auch die meisten Schlachthöfe, alle großen Konzerne sind mit ihren riesigen Betrieben vertreten. Aber es gibt auch kleinere, genossenschaftlich oder familiär geführte Schlachthöfe.
Beringmeier sagt: „Der Handel senkt die Preise in den Supermärkten auf unsere Kosten. Aldi und Co. werden auch weiterhin gutes Geld verdienen, während den Bauern und zunehmend auch den Schlachtunternehmen die Luft ausgeht.“
Theoretisch 1,1 Millionen Schlachtungen pro Woche
Für die Branche ist das eine ganz neue Situation. Denn lange Zeit kannte sie nur Wachstum. Von Deutschland aus, so schien es, sollte am besten die ganze Welt mit günstigem Schweinefleisch versorgt werden. Die Schlachthöfe wuchsen immer weiter. Zu Hochzeiten hätten sie zusammengenommen theoretisch etwa 1,1 Millionen Schweine pro Woche schlachten können.
Davon entfernen sich die Betriebe aber immer weiter. Vielleicht 800000 Schweine werden derzeit noch pro Woche geschlachtet. Und Bauernvertreter Beringmeier sagt: „Die Schlachtzahlen werden wohl weiter sinken. Wir reden von einer Überkapazität von 25 bis 30 Prozent bei den Schlachtkonzernen.“ Das Problem: Diese Kapazitäten kosten Geld, das die Unternehmen derzeit und auf absehbare Zeit nicht erlösen.
Klaus-Martin Fischer, Partner bei der Beratungsfirma „Ebner und Stolz“, beobachtet die Situation in der Fleischbranche mit zunehmender Verwunderung. „Die Zerlegebänder laufen seit Monaten bei halber Geschwindigkeit. Immer mehr Schlachthaken sind leer“, sagt er. Gleichzeitig hätten die Betriebe relativ fixe Kostenstrukturen mit wenig Einsparpotenzial. Das Ergebnis: „Die großen Schlachtbetriebe verbrennen aktuell jeden Tag Geld.“
Ganze Unternehmen stehen kurz vor dem Aus
Nach Ansicht von Fischer führt gerade für die großen Schlachtunternehmen kein Weg daran vorbei, einzelne Standorte zu schließen. Das sei nur eine Frage der Zeit, denn sonst stünden nicht nur einzelne Schlachthöfe, sondern gleich ganze Unternehmen vor dem Aus. „Es ist eigentlich nicht zu erklären, warum die Branche nicht gegensteuert“, sagt Fischer.
Der Manager, der nicht genannt werden will, erklärt das so: „Die Branche spielt Mikado: Wer zuerst zuckt, der verliert.“ Jeder wisse, dass es den Mitbewerbern mindestens genauso schlecht gehe wie einem selbst. Nur offen zugeben wolle das eben niemand. Und erst recht keine Konsequenzen für das eigene Unternehmen daraus ziehen.
Die Hoffnung auf bessere Zeiten ist der Treiber: Wer in dieser Krise am längsten durchhält, der könnte als Sieger aus dem Niedergang hervorgehen. Denn bricht ein Schlachthof weg, müssten die Schweine auf die übrigen Betriebe verteilt werden. Und desto eher könnten diese ihre Kapazitäten wieder auslasten. Vorausgesetzt, das Geld geht nicht vorher aus, das derzeit „am laufenden Band verbrannt wird“, wie es Berater Fischer formuliert.
Auch auf der landwirtschaftlichen Seite beobachtet man die Entwicklung mit Sorge. „Wir Bauern hoffen, dass einzelne Unternehmen nicht komplett umkippen.“ Das, so Beringmeier, hätte im Markt eine weitere Konzentration zur Folge. Schon jetzt stehen den großen vier im Handel die großen vier bis fünf der Schlachtbranche gegenüber: Tönnies, Westfleisch, Vion, Danish Crown und Müller. Danach folgen deutlich kleinere Betriebe. WLV-Präsident Beringmeier sagt: „Es ist nicht in unserem Sinne, wenn Schweine quer durchs Land transportiert werden müssen und wenige Unternehmen den Schweinepreis diktieren können.“
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Die Perspektiven für die Schweinehaltung bleiben ihm zufolge schlecht. „Für meinen Betrieb heißt das: Wir werden weiter Schweine halten. Aber weiterentwickeln werden wir den Hof in anderen Bereichen.“
Brechen die Zahlen noch weiter ein?
Berater Fischer glaubt: „Wir werden in Deutschland nicht mehr solche Schlachtzahlen sehen wie in der Vergangenheit. Die Frage ist, wie schnell es zu einer Halbierung der Anzahl der Schweineschlachtungen kommt.“ Das wäre dann noch eine halbe Million, vielleicht 600000 Schweine pro Woche. Und eine Überkapazität in ebendieser Höhe in den Betrieben.
Der Fleischmanager hält das für realistisch. Das Gespräch mit unserer Redaktion vor einigen Tagen musste er vorzeitig abbrechen. Die Nachricht, dass die Afrikanische Schweinepest in einem Stall im Landkreis Emsland ausgebrochen ist, platzte herein. „Eigentlich können wir auch gleich dichtmachen“, schimpft der Manager.