Wurzeln der WutWie sich der Protest der Bauern zuspitzt – und warum

„Der Krieg hat begonnen. Wir gewinnen“ steht auf dem Transparent dieser Bauern.
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In dicken Tropfen fällt der Regen vom Himmel über den Niederlanden. Kühe suchen Schutz auf den grünen Weiden. Es scheint wieder Ruhe eingekehrt zu sein in das Land, das vor wenigen Tagen noch kopfstand, weil sich die Wut der Bauern Bahn brach. Die ganze Nation wollten die Bauern lahmlegen. Es waren die größten Demonstrationen seit Langem, bei denen die Polizei sogar scharf schoss.
Die meisten Trecker sind zurück auf den Äckern. Doch in Wahrheit ist die Wut immer noch da, sie gärt weiter auf dem Land. Wer mit offenen Augen durch die Niederlande fährt, kann das nicht übersehen. Überall stehen Schilder. „Help“ steht darauf oder „Weg mit der Regierung“. Und immer wieder die Nationalflagge: an Häusern, Traktoren, an Strohballen. Allerdings hängt die Tricolore falsch herum. „Blau Weiß Rot – Bauern in Not“, lautete einer der Schlachtrufe der vergangenen Tage.
Streit zwischen Stadt und Land
„Die Situation ist eskaliert. Und sie wird noch weiter eskalieren“, prophezeit Jos Ubels. Er ist Vize-Vorsitzender der Protestbewegung „Farmers Defence Force“. FDF macht keinen Hehl daraus, radikaler zu sein als herkömmliche Lobby-Organisationen. „Aber wer war denn daran schuld, dass es eskaliert ist?“, fragt Wortführer Ubels. „Etwa die Bauern? Es war die Regierung!“, ruft der 36-jährige Landwirt aus. „Uns wird Unrecht angetan!“ Mit „uns“ meint er die rund 50000 aktiven Landwirte, die es in den Niederlanden noch gibt. Und mit dem Unrecht die Stickstoffpläne der Regierung in Den Haag. Der Ausstoß in den Niederlanden soll gedrosselt werden. Zu viel Stickstoff ist schlecht für die Umwelt.
Bauernverband
Auch in Nordrhein-Westfalen (NRW) haben am Montagabend erneut hunderte Landwirte auf Autobahn-Brücken zum Beispiel bei Kleve, Heek und zwischen Köln und Neuss demonstriert. Im Kreis Heinsberg hatte es Mahnwachen der Bauern gegeben. Sie wollten damit abermals ihre Solidarität mit den Bauernprotesten in den Niederlanden zeigen und auch auf eigene Sorgen hinweisen.
Der Rheinischer Landwirtschafts-Verband (RLV) äußerte am Dienstag Verständnis für Lage der Bauern in den Niederlanden. „Die Entwicklungen jenseits der Grenze machen mehr als deutlich, dass trotz der Warnungen aus der Landwirtschaft eine teils überzogene Gesetzgebung mit einseitigen Umweltauflagen, in diesem Fall zur Reduktion von Ammoniakemissionen, gravierende Folgen für die Agrarstruktur habe“, so RLV-Präsident Bernhard Conzen. Hinsichtlich der Solidaritätskundgebungen in NRW appelliert Conzen an die Teilnehmer, dass „die Protestkundgebungen friedlich bleiben und alle Seiten sich darum bemühen sollten, eine weitere Eskalation zu verhindern“.
Eine direkte Übertragbarkeit der niederländischen Situation auf Deutschland sieht der RLV-Präsident nicht. Conzen sieht die Proteste allerdings auch als Appell und Warnsignal an die Gesellschaft. „Die als erforderlich betrachteten Veränderungen der landwirtschaftlichen Produktion mit einem Mehr an Nachhaltigkeit und Artenschutz müssen mit Augenmaß und nicht mit der Brechstange vorangebracht werden.“ Am Ende gehe es darum, ob die Gesellschaft heimische Lebensmittel will oder andernfalls bereit ist, Produktionsverlagerungen in andere Regionen mit geringeren Umwelt- und Sozialstandards hinzunehmen. Um dies zu verhindern, setzen wir für NRW daher in diesen Fragen auf den bewährten Grundsatz „Kooperation statt Konfrontation“, so der RLV-Präsident. Er fordert die Mitglieder des Europaparlamentes daher auf, den Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft ohne Strukturbrüche zu ermöglichen. (dhi)
Weil die Landwirtschaft nach amtlichen Zahlen mit gut 40 Prozent der größte Emittent ist, steht sie besonders im Fokus. Seit Jahrzehnten wird diskutiert und gestritten. Die neue Regierung mit der eigens ernannten Stickstoff-Ministerin Christianne van der Wal-Zeggelink macht nun Ernst. Ihre Pläne hätten zur Folge, dass gut 30 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in den Niederlanden aufgeben müssten. Das schätzt die Regierung selbst. Es geht nicht mehr darum, wie die Ziele erreicht werden können. Sie müssen erreicht werden. Die Bauern empfinden das als Holzhammer-Politik gegen ihren Berufsstand.
Ubels sagt das in einem Gespräch mit unserer Redaktion an seinem Küchentisch im Dorf Anderen unweit der Stadt Assen in der Provinz Drenthe. Die sogenannte Randstad, das Konglomerat von Städten wie Amsterdam, Den Haag, Rotterdam und anderen mit vielen Millionen Einwohnern, ist weit weg. Die Diskussion ist auch ein Streit zwischen Stadt und Land.
Ubels, hochgewachsen und mit Händen, die nach Arbeit aussehen, hat studiert. Er ist das, was die Niederländer „trotse boer“ nennen – ein stolzer Bauer. Seine Augen leuchten, als er davon erzählt, dass die kleinen Niederlande zweitgrößter Lebensmittelexporteur der Welt sind. Nur die USA exportieren mehr. Aus solchen Statistiken leiten viele Bauern in den Niederlanden ihr Selbstverständnis ab: Sie seien die besten Landwirte auf dem Globus, niemand macht aus so wenig Fläche so viel.
60 Prozent der niederländischen Lebensmittelprodukte werden exportiert. Die Reise ist für die meisten Güter nicht allzu weit. Der größte Abnehmer ist Deutschland. Kritiker in den Niederlanden sagen, der große Nachbar bekomme die billigen Lebensmittel, müsse dafür aber die Rechnung nicht zahlen: Schäden an der niederländischen Umwelt. Hier wie jenseits der Grenze gelangt der Stickstoff vor allem über den Mist der Tiere in die Umwelt. Die Rechnung der Regierung: Weniger Vieh gleich weniger Mist gleich bessere Stickstoffbilanz.
Neue Protestaktionen geplant
Ubels Hof ist weit weg vom Regierungssitz. In zweiter Generation führt er den Betrieb, auf dem einige Hundert Rinder gemästet werden. Dazu gehören mehrere Hundert Hektar Land, die gut zur Hälfte in Naturschutzgebieten liegen. Auch hier lässt Ubels seine Rinder grasen. Mit den Fingern zoomt er auf dem Handy auf eine bunt gefleckte Karte der Niederlande. „Da liegt mein Hof“, sagt Ubels und zeigt auf einen hellgrünen Punkt. Die Karte kommt von der Regierung in Den Haag. Sie zeigt, wo wie viel Stickstoff bis 2030 eingespart werden soll. Hellgrün bedeutet: 70 Prozent weniger Emission, dunkelgrün: 95 Prozent. Ubels sagt: „Dann kann ich hier dichtmachen.“
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Dabei sei er keineswegs gegen Naturschutz. Er könne nur nicht nachvollziehen, wie so über die Köpfe der Bauern hinweg entschieden werden könne. Was er nicht erwähnt: Die Folgen für die Betriebe sollen mit 25 Milliarden Euro aufgefangen werden. Notfalls sollen Bauern herausgekauft werden aus ihren Höfen. Wer Geld erhält, soll verpflichtet werden, die Landwirtschaft ruhen zu lassen.
Aber für viele Bauern ist das undenkbar. Auch für Ubels. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Landwirte lehnen einen Vermittler ab, den die Regierung in Den Haag einschalten will. Die Regierung wiederum lehnt es ab, über ihren Stickstoff-Plan zu diskutieren. Neue, große Protestaktionen sind geplant. Manche Bauern sprechen inzwischen schon gar nicht mehr von Demonstrationen. „Der Krieg hat begonnen. Wir gewinnen“, hieß es vor wenigen Tagen auf einem Banner im Zentrum von Amsterdam.