Überproduktion, sinkende Nachfrage und steigende Kosten zwingen zur Rotstift-Politik im Weinberg. Die Lage scheint dramatisch.
Deutscher Weinbau in der Krise„Nur ein Drittel der Weingüter ist tragbar“

Erntehelfer bei der Lese der Sorte Spätburgunder in einem Weinberg.
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Diese Zahl sorgte für Wirbel: Die Hälfte der deutschen Winzerbetriebe stünde kurz vor dem Konkurs. So las man kürzlich bundesweit. Doch wer warnt? Was muss sich ändern? Und wie beurteilt die Wissenschaft die Lage der deutschen Weinbauern? Die wichtigsten Antworten im Überblick:
Zukunftsinitiative Deutscher Weinbau warnt vor Krise
Die Warnmeldung im August kam von der „Zukunftsinitiative Deutscher Weinbau e.V.“. Der zu Jahresbeginn gegründete Verein vertritt 164 Winzerbetriebe, etwas mehr als ein Prozent der mehr als 14.000 Weinbaubetriebe in Deutschland.
In einem Video sagt der Gründer und Vorsitzende Thomas Schaurer: „Der deutsche Weinbau steht tatsächlich vor dem Aus!“ Mehr als die Hälfte der deutschen Winzerfamilien würde „alles verlieren“, wenn sich in den kommenden Wochen nichts ändern würde. Seine Bitte: Jeder Weintrinker möge eine zusätzliche Flasche deutschen Weins kaufen. Die Kunden hätten „jetzt“ die Chance, „dem deutschen Weinbau, uns zur Zukunft zu verhelfen“.
Der Verein versteht sich wohl als Gegengewicht zum traditionellen Weinbauverband. Auf der Internetseite heißt es über den Gründer der Initiative: „Thomas Schaurer war von Beginn an um Zusammenarbeit mit bestehenden Weinbauverbänden und Gebietsweinwerbungen bemüht. Diese Kooperation wurde ihm bis heute verwehrt.“
Weinbauverband widerspricht düsteren Prognosen
Der Deutsche Weinbauverband (DWV), der nach eigenen Angaben mehr als 90 Prozent der deutschen Winzer vertritt, sah sich nach dem medialen Aufschlag der Zukunftsinitiative zu einer Stellungnahme gezwungen, die versucht, der Zukunftsinitiative zu widersprechen, aber das mediale Momentum aufzunehmen.
Dafür, dass die Hälfte der Weinbaubetriebe bald pleite seien, gebe es „keine belegbaren Fakten“. Es sei aber nicht „entscheidend, ob wir von einer Betroffenheit von 30 Prozent der Fläche oder 50 Prozent der Betriebe sprechen“. Dass etwa ein Drittel der deutschen Rebfläche wegen fehlenden Absatzes wegfallen könnte, behauptet der Weinbauverband selbst. Den Vorwurf der Zukunftsinitiative, dass er die Situation der Weinbauern beschönige, weist der Dachverband zurück.

Die diesjährige Hauptlese in Deutschland hat früher als üblich begonnen.
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DWV fordert staatliche Unterstützung und Reformen
Im Gespräch sagt DWV-Generalsekretär Christian Schwörer: Die deutschen Winzer bräuchten vor allem die Möglichkeit, auf Weinbergen für einige Jahre Blühflächen anzulegen – zugleich aber ihre Fixkosten erstattet zu bekommen und Pflanzrechte für Wein nicht zu verlieren. So ließe sich künftig die Menge des produzierten Weins reduzieren. Daneben müsse auch bereits produzierter Wein im Bedarfsfall vernichtet werden können, etwa durch Destillation zu Industriealkohol. Dafür brauche es eine Regelung für eine Entschädigung durch den Staat.
Expertenanalyse: Marktstruktur und Überangebot
Die Herausforderungen für den Weinbau in Deutschland sind die Kosten, Marktstruktur und Nachfrage, wie Simone Loose erklärt. Sie ist Professorin für Betriebswirtschaft des Wein- und Getränkesektors und Instituts-Leiterin an der Hochschule Geisenheim, einem der Zentren für Weinforschung in Deutschland. In der Weinbranche ist sie eine gefragte Expertin.

Ein Mitarbeiter erntet Trauben der Sorte Spätburgunder, aus der ein Blanc de Noir entstehen soll.
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Das sagt sie zur Menge: „Wir haben aktuell 30 Prozent zu viel Menge, deshalb stürzen die Preise ins Bodenlose“, sagt Loose. Erholung ist demnach nicht in Sicht: „In 20 Jahren trinken wir in Deutschland voraussichtlich 50 Prozent weniger Wein“. Gründe dafür seien ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein, die Alterung der geburtenstarken Jahrgänge – und die demografische Zunahme von Bevölkerungsgruppen, die keinen Alkohol konsumierten. Deshalb habe Deutschland mit rund 100.000 Hektar Rebfläche 30 Prozent zu viel. Sprich: Weinberge müssten gerodet werden.
Wirtschaftliche Tragfähigkeit von Weingütern in Gefahr
Das sagt sie zur Marktstruktur: Die Lage der Weinbauern sieht Loose noch kritischer als die Branchenvertreter: „Nach unseren Untersuchungen ist nur ein Drittel der Weingüter auf Dauer wirtschaftlich tragbar“, sagt sie. Ein Teil der Winzer würde seine Arbeit aus „Idealismus und Traditionsbewusstsein“ betreiben, daraus folge dann leider oft „Selbstausbeutung“.
Und die Kosten? Dass der Faktor Arbeit in Deutschland teuer ist, dürfte bekannt sein. Flachlagen konnten hier in den vergangenen 25 Jahren von der Mechanisierung und dem Traubenvollernter profitieren – eine Maschine, die Weintrauben ernten kann. In Flachlagen wird deshalb mittlerweile überwiegend maschinell geerntet.
Steillagen und Klimawandel als zusätzliche Belastung
In den kleinteiligeren Steillagen, das sind 15 Prozent von Deutschlands Rebfläche, geht es immer noch nur mit Handarbeit. Durch den Mindestlohn würde die Handarbeit aber immer teurer. Daher lohne sie sich, so Loose, nur noch für Premiumweine
. „Aber so groß ist die Nachfrage in diesem Bereich leider nicht“, erklärt Loose. Viele Steillagen seien deshalb unwirtschaftlich. Expertin Loose meint: Die Schließung von Weinbaubetrieben lasse sich „leider überhaupt nicht verhindern“. Nur der Abbau des Überangebots könne den „ruinösen Preiswettbewerb“ beheben.
Manche Steillage müsse langfristig auch aufgrund der Klimaerwärmung aufgegeben werden, weil dort sonst bald bewässert werden müsse. Loose plädiert dafür, die durch deutsche Gesetze streng regulierte Weinbauflächen „klug“ neu zu verteilen, um „touristisch wichtige Kulissen“ zu erhalten. Sie wünscht sich von der Politik Hilfe bei der Beratung der Betriebe, um ihre wirtschaftliche Lage zu analysieren. „Nicht wenige Weinbauern kennen ihre genaue wirtschaftliche Situation nicht.“