Alte Mühle steht im WegWie der Denkmalschutz die Energiewende ausbremst

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Die flügellose Windmühle im niedersächsischen Eddelstorf:  Neue Windräder dürfen in ihrer Nähe nicht gebaut werden.

Die flügellose Windmühle im niedersächsischen Eddelstorf: Neue Windräder dürfen in ihrer Nähe nicht gebaut werden.

Wenn berechtigte Interessen kollidieren: Eine alte Mühle in Eddelstorf steht dem Bau neuer Windräder im Weg.  Dass Denkmalschutz neue Windräder verhindert, kommt vergleichsweise häufig vor.

Ein bisschen außerhalb des Dorfes Eddelstorf steht eine alte Mühle. Lüneburg ist nicht weit, die niedersächsische Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls nicht. Die Straße ist nach dem Bauwerk benannt, ebenso die Bushaltestelle, an der kaum ein Bus hält. Vom Nachbarhof stürmt ein Schäferhund herbei und kläfft den einsamen Besucher an.

Im Denkmalatlas von Niedersachsen heißt es, die Eddelstorfer Mühle sei eine viergeschossige Holländerwindmühle, erbaut 1903. Die Flügel wurden bereits 1932 demontiert. Zurück blieb der Korpus. Dessen Erhaltung sei „aufgrund seiner städtebaulichen Bedeutung von prägendem Einfluss auf das Landschaftsbild im öffentlichen Interesse“.

Ein leichtes Wummern liegt in der Luft. Der Wind trägt es aus einiger Entfernung herüber. Auf der anderen Seite der Straße „Zur Mühle“ drehen sich die Flügel moderner Windräder des Herstellers Vestas. Die Nabenhöhe liegt bei gut 160 Metern, das entspricht der Höhe des Kölner Doms, wirkt aus der Entfernung – etwa 500 Meter – aber viel kleiner.

Baustopp für Millionenprojekt

Runde um Runde drehen sich die Flügel. Sechs Anlagen sind es insgesamt. Eigentlich sollten es noch drei weitere sein. Alle notwendigen Genehmigungen lagen vor. Die Flächen sind bereits abgesteckt und teilweise ausgehoben. Schotterwege führen zu den Baustellen, auf denen nicht gebaut werden darf.

Denn im April vergangenen Jahres verhängte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einen vorläufigen Baustopp für das Millionenprojekt. Die Genehmigungen zur Errichtung der Windräder verstoßen vermutlich gegen das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz, so die Richter. Durch die schiere Größe der Anlagen könnte das Erscheinungsbild der Eddelstorfer Mühle beeinträchtigt werden. Es drohe eine „optische Marginalisierung“ des Baudenkmals. Mit der vorläufigen Entscheidung in dem Eilverfahren hebelten die Richter nicht nur die Pläne der Bauherren aus, sondern auch die Genehmigungen der Behörden – Denkmalschutz first.

Naturschutzinitiative aus dem Westerwald erstreitet Baustopp

Die Mühle ist zu einem Wohnhaus umfunktioniert worden. Doch nicht der Bewohner hat den Baustopp erstritten, sondern der Verein Naturschutzinitiative aus dem Westerwald. Mehr als fünf Autostunden liegen zwischen dem Vereinssitz in Rheinland-Pfalz und der Mühle im Landkreis Uelzen. Ob die Naturschützer, die aufgrund von Denkmal-Belangen klagten, einmal vor Ort waren? Wie sie auf die Mühle aufmerksam wurden? Was sie von den Vorwürfen im Raum Uelzen halten, sie würden den Denkmalschutz missbrauchen?

Fragen dazu oder zur Windkraft allgemein beantwortet der Vereinsvorsitzende vorläufig nicht. Er schreibt: „Wir möchten das Thema Windenergie (als Beitrag zum Klimaschutz) nicht mehr isoliert betrachten oder betrachtet wissen.“

Als die Richter vergangenes Jahr den Baustopp verhängten, teilte der Verein noch auf seiner Internetseite mit: „Wir sehen uns in unserer Auffassung bestätigt, dass das öffentliche Interesse an den erneuerbaren Energien nicht den nahezu uneingeschränkten Vorrang vor dem Schutz anderer öffentlichen Belange wie zum Beispiel dem Denkmalschutz haben kann.“

Dass Denkmalschutz neue Windräder verhindert, kommt vergleichsweise häufig vor. Kein Wunder: Mehr als eine Million Denkmäler soll es hierzulande geben. Manche sind gut erhalten wie die Windmühle in Eddelstorf. Andere sind Ruinen, wie ein verfallenes Gutshaus in Brandenburg. Windräder würden von diesem historischen Gebäude ablenken, befanden die Brandenburger Behörden und sperrten sich gegen ein Windpark-Projekt.

Bund und Länder führen eine Statistik darüber, welche Gründe zur Ablehnung oder Zurücknahme von Baugenehmigungen geführt haben. Auf Platz vier steht in der Auflistung für 2022 der Denkmalschutz: 18 Windräder konnten aus solchen Gründen nicht gebaut werden. Der in der öffentlichen Diskussion häufig viel präsentere Artenschutz kommt in der Statistik auf 16 Anlagen. Das sind aber nur die Fälle, in denen es eskaliert ist. Mutmaßlich werden viele Projekte gar nicht erst vorangetrieben, weil die Investoren um Denkmäler in der nahen und fernen Nachbarschaft wissen.

Der Denkmalschutz kollidiert mit den Klimazielen der Politik: In Deutschland sollen sich bald viel mehr Windräder drehen als bislang. Windstrom statt Kohle, Gas oder Atom – so der Plan. Dafür muss der Denkmalschutz aufgeweicht werden. Deswegen wird vielerorts nachgebessert an Gesetzen und Verordnungen. Denkmäler – so der Tenor – sollen der Energiewende nicht länger im Weg stehen.

Grünes Licht für Investoren

Die Landesregierung in Niedersachsen reagierte bereits auf das Windmühlen-Urteil aus Lüneburg. Per Erlass steuerte Hannover nach. Vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg hieß es, das „denkmalschutzrechtliche Hindernis“ dürfte nun nicht mehr bestehen. Die Investoren könnten da weitermachen, wo sie im vergangenen Frühjahr aufgehört haben. Eddelstorfer Mühle hin oder her.

Schwere Zeiten also für Denkmalschützer. Annika Tillmann, Vorsitzende der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, betont, es gehe dennoch beides: Denkmalschutz und Energiewende – natürliche wie kulturelle Ressourcen müssten für nachfolgende Generationen erhalten bleiben. „Nur so können wir den Generationenvertrag vollständig einlösen“, betont Tillmann. In Eddelstorf wird das Co-Existenz von Windmühle und Windrädern bedeuten.

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