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Tragflügelboot 2.0Wie „Hydrofoils“ den Wasserverkehr revolutionieren sollen

Lesezeit 5 Minuten
Das E-Tragflügelboot EF-24 der Firma Artemis Technologies

Zukunftsträchtig? Das E-Tragflügelboot EF-24 der Firma Artemis Technologies soll bereits im kommenden Jahr die nordirischen Städte Belfast und Bangor miteinander verbinden

Das erste Tragflügelboot überquerte vor 112 Jahren den Lago Maggiore – nun folgen „Hydrofoils“ mit Elektromotoren. In gewissen Städten und Regionen können sie eine Ergänzung zum ÖPNV bieten.

Für die Schnupper-Tour hat die schwedische Firma Candela ihr elektrisches Tragflügelboot C-8 (für acht Passagiere) nach Schmöckwitz im Südosten Berlins gebracht. Der Start ist unspektakulär. Die schnittige Jacht surrt wie ein normales Elektroschiff auf den spiegelglatten Krossinsee hinaus.

Als Kapitän Eric Eklund mit einem Hebel neben dem Lenkrad auf 16 Knoten (knapp 30 km/h) beschleunigt, hebt es die C-8 plötzlich sanft in die Höhe, etwa 30 Zentimeter über die Wasseroberfläche. Bugwelle und Fahrgeräusche verschwinden fast komplett. Kein Ruckeln oder Vibrieren ist mehr zu spüren. Das Boot „fliegt“.

Vom Steg aus verfolgen ein paar Anwohner das Schauspiel. „Sieht echt scharf aus“, sagt einer nach unserem Anlegen und will wissen, wie es sein kann, dass ein 8,5 Meter langes Boot über den See flitzt, ohne das Wasser zu berühren. Getragen wird die C-8 von schmalen Flügeln, die mit einer Art Stelzen am Heck befestigt sind und beim Fliegen etwa einen halben Meter unter Wasser liegen. Durch den Schub des Elektromotors sorgen die Flügel für den notwendigen Auftrieb, um das Boot zu tragen.

Wie auf einer Wolke

Ab 27 Knoten (50 km/h) hält Eric die Geschwindigkeit konstant und fährt Riesenslalom auf dem Krossinsee. Es fühlt sich fluffig an, als schwebe man auf einer Wolke. Ein Bordcomputer verarbeitet pro Minute bis zu hundert Signale verschiedener Sensoren, steuert die Flügel und sorgt für eine verblüffende Stabilität.

Populär wurde die Tragflügel-Technik (englisch: Hydrofoil) in den letzten Jahren durch sogenannte Foilboards zum Surfen oder Kitesurfen: Auch sie haben Flügel, die an Stelzen befestigt sind und die das Brett bei einer bestimmten Geschwindigkeit in die Luft heben, aber selbst im Wasser verborgen bleiben. Foilboards sind inzwischen bei Wassersportlern beliebt und auf immer mehr Seen zu bestaunen.

Dass die Technik nicht nur für Spaß und Freizeit taugt, sondern den Wasserverkehr revolutionieren könnte, hat viele Gründe. Der vielleicht wichtigste: „Der Energieverbrauch ist um 80 Prozent niedriger als bei einem normalen Boot, weil der Wasserwiderstand ja viel, viel geringer ist“, sagt Eric, einer der Candela-Gründer, als er lässig ein paar Paddler auf dem See umschifft. Eric ist bei dem Start-up für die kommerziellen Boote verantwortlich und macht mit der C-8 eine Deutschland-Tour, die ihn auch nach Hamburg und Flensburg führt.

Zum Stromtanken auch größerer Hydrofoils reicht ein Schnelllader für Autos. Was die Tragflügelboote von normalen E-Booten unterscheidet: Sie erzeugen nach dem Abheben so gut wie keine Wellen und kaum Wasserverwirbelungen, weil kleine Propeller ausreichen. Sie schonen also die Ufer. Und trotz des geringen Stromverbrauchs sind Hydrofoils bis zu 60 km/h schnell und sehr wendig. Sie zu steuern ist ein Kinderspiel.

Kein Getriebe, kein Öl

Was die Betriebs- und Umweltkosten minimiert: Die aus Carbon gebauten E-Tragflügelboote sind nahezu wartungsfrei. Es gibt kein Getriebe, keinen Verschleiß, es braucht keine Schmierstoffe, und quasi keine Reparaturen.

Bei all den Vorteilen wirkt es sonderbar, dass nicht viel früher jemand auf die Idee gekommen ist. Beflügelt wurde die Entwicklung durch Fortschritte bei Akkus für Elektro-Autos. Candela startete 2014 das Hydrofoil-Rennen. Drei Jahre später lief die C-7, das nach Firmenangaben weltweit erste vollelektrische Tragflügelboot, vom Stapel. „Damals hielt man uns für Spinner“, sagt Eric.

Seitdem ist ein internationaler Wettlauf entstanden. In den USA gibt es eine Hydrofoil-Firma, auch in der Schweiz. Der schärfste Candela-Konkurrent heißt Artemis, sitzt in Nordirland und will im Laufe des kommenden Jahres die weltweit erste Hydrofoil-Fähre für 150 Passagiere in Dienst stellen. Die Artemis EF-24 wird die rund 25 Kilometer auseinander liegenden Küstenstädte Belfast und Bangor verbinden, also auf dem Meer pendeln. Der Betreiber Condor Ferries hat für das Pilotprojekt eingeschlagen.

Natürlich will Candela das Rennen gewinnen und selbst die erste Hydrofoil-Fähre an den Start bringen. In zwei Wochen soll das erste Shuttle fertig werden. Anders als das C-8 ist das P-12 ein geschlossenes Boot, in dem 30 Passagiere Platz finden. Es braucht – zumindest für Start und Landung – 2,7 Meter Wassertiefe, so lang sind die ausgefahrenen Stelzen. Mit einer Akkuladung kommt es bei Tempo 46 km/h gute 70 Kilometer weit.

Pilotprojekt startet in Stockholm

„Die Fahrzeit von den Außenbezirken ins Zentrum Stockholms wird von 50 auf 25 Minuten halbiert“, sagt Eric. Kommendes Jahr geht zunächst ein Pilotprojekt der Verkehrsbetriebe der schwedischen Hauptstadt los. In Berlin könnte man mit dem Tragflügelboot in acht Minuten über die Spree vom Reichstag nach Charlottenburg schweben. Mit dem Auto braucht man 15, mit der S-Bahn 20 Minuten für die gleiche Distanz.

Die Schweden sehen sich deswegen als Pioniere eines grünen ÖPNV auf dem Wasser. „Die meisten Städte haben Probleme mit Staus zu Stoßzeiten, während die Wasserwege völlig ungenutzt sind“, sagt Candela-Chef Gustav Hasselskog. Und ob Berlin, Hamburg, Köln, ob München, Schwerin oder Flensburg: Fast alle Städte liegen an Gewässern. „Wir möchten diese Flüsse, Seen und Meere zu den neuen grünen Wasserstraßen machen“, sagt Hasselskog.

Verkehrsexperten sehen große Möglichkeiten

All das hört sich zweifelsohne super an. Trotzdem stoßen die Pioniere in Deutschland noch auf Skepsis. Die Politik ignorierte die Einladungen zur Testfahrt. Die Verwaltung versagte Eric eine Sondererlaubnis, auf der Spree schneller als 25 km/h zu fahren, deswegen musste auf den Krossiner See ausgewichen werden.

Dabei sehen Verkehrsexperten ein großes Potenzial: „Grundsätzlich sollten Wasserstraßen besser für Güter und Personenverkehr genutzt werden“, sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie. Auch in Städten müsse da viel mehr passieren. Und die leisen und emissionsfreien elektrischen Hydrofoil-Boote seien „sehr gut geeignet“. Knie findet, Fähr- und Taxi-Angebote wären eine hervorragende ÖPNV-Ergänzung.

Bis zur Tragflügelboot-Revolution ist der Weg freilich weit. Auf der Rückfahrt von Schmöckwitz in Berlins Innenstadt ist an diesem Nachmittag eine dreispurige Autobahn von Zigtausenden Autos verstopft. Es wäre ein Traum, könnte man stattdessen im Hydrofoil zurückfliegen. Aber das Verkehrsaufkommen in der Hauptstadt ist einfach viel zu gewaltig, als dass ein paar solcher Elektro-Fähren den großen Unterschied machen könnten. In Berlin würden solche Wasserfahrzeuge „eine Randerscheinung“ bleiben, schätzt Professor Knie. „Wir müssen hier unsere Probleme auf der Straße lösen.“

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