Wachkoma-PatientWie Vincents Schicksal ganz Frankreich spaltet

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Vincent Lambert

Unterstützer von Vincent Lambert bei einer Protestaktion in Lyon

  • Das Ringen um das Leben oder Sterben des Wachkomapatienten ist durch sämtliche Institutionen gegangen.
  • Niemand in Frankreich bleibt von Vincents Schicksal unberührt.
  • Der Leidensweg von Vincent Lambert begann vor mehr als zehn Jahren, als er mit seinem Motorrad schwer verunglückte.

Die Mutter von Vincent Lambert ist erleichtert. Ihr Sohn wird noch nicht sterben. Die Maschinen, die ihn am Leben halten, werden nicht abgeschaltet. Ein französisches Berufungsgericht hat in letzter Minute entschieden, dass die Ärzte die Zufuhr von Ernährung und Flüssigkeit wieder aufnehmen müssen, die sie kurz zuvor am Montagabend ausgesetzt hatten. Zu jenem Zeitpunkt hatte die 73-jährige Viviane Lambert vor dem Uniklinikum in Reims gestanden und voller Verzweiflung geschrien: „Das sind Monster! Monster! Das sind Nazis.“ Dann kam der überraschende Aufschub. In einigen Wochen wird nun ein Ausschuss der Vereinten Nationen über das Schicksal von Vincent Lambert entscheiden.

Das Ringen um das Leben oder Sterben des Wachkomapatienten ist durch sämtliche Institutionen gegangen. Niemand in Frankreich bleibt von Vincents Schicksal unberührt. Philosophen stellen die Fragen nach der Würde des Menschen. Mediziner streiten sich, was sie machen dürfen – und was nicht. Soziologen äußern sich dazu, wie unsere Gesellschaft mit dem Sterben umgeht. Vertreter der Kirchen fragen, ob Menschen dem Leben überhaupt ein Ende setzen dürfen.

Der Leidensweg von Vincent Lambert begann vor mehr als zehn Jahren, als er mit seinem Motorrad schwer verunglückte. Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf zu und fiel in einen Zustand, der als Wachkoma bezeichnet wird. Dieses sogenannte apallische Syndrom wird durch massive Hirnschädigungen hervorgerufen, wobei es meist zu einem Ausfall der gesamten Funktion des Großhirns kommt. Andere Hirnareale und das Rückenmark arbeiten hingegen weiter.

Heftige Auseinandersetzungen vor Gericht

Im Lauf der Jahre kam es in der Familie des inzwischen 42-jährigen Patienten zu heftigen Auseinandersetzungen vor Gericht. Die Eltern und Geschwister sind dagegen, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten. Vincents Frau aber ist sich sicher, dass ihr Mann sich nie gewünscht hätte, dass sein Leben künstlich verlängert wird. Sie will, dass er „in Würde gehen“ kann. Eines der zentralen Probleme in diesem Fall ist auch, dass es keine Patientenverfügung gibt. Zuletzt haben sich immer wieder Mediziner zu Wort gemeldet, die erklären, dass das Sterben in solch einem Zustand kein Leiden bereite. Faktisch verdurste der Mensch zwar, er nehme das allerdings nicht wahr, da Wachkomapatienten kein Bewusstsein mehr besäßen und zudem starke Schmerzmittel bekämen.

Wachkoma-Patient Lambert

Wachkoma-Patient Vincent  Lambert mit seiner Mutter

Genau hier setzt die Kritik von 70 französischen Ärzten aus verschiedenen Fachbereichen an, die jüngst eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht haben. Sie verlangten, dass die Maschinen nicht abgestellt werden, und argumentieren, dass Patienten im Wachkoma keine Sterbenden seien und nicht geklärt sei, in welchem Zustand des Bewusstseins sich Vincent Lambert tatsächlich befinde.

Manche Franzosen befürchten, dass durch den Fall Lambert Grenzen verschoben werden, wenn Mediziner die lebenserhaltenden Geräte abschalten dürfen. In Frankreich ist aktive Sterbehilfe, also einem Menschen ein tödlich wirkendes Mittel zu verabreichen, verboten. Passive Sterbehilfe durch das Abschalten von Apparaten und indirekte Sterbehilfe, bei der starke Medikamente Schmerzen lindern und als Nebenwirkung das Sterben beschleunigen, sind zulässig.

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