Das Knistern der Plastikwellen

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Der Leiter der Augsburger Puppenkiste, Klaus Marschall, der Figur des Jim Knopf in der Lokomotive Emma.

Der Leiter der Augsburger Puppenkiste, Klaus Marschall, der Figur des Jim Knopf in der Lokomotive Emma.

Es gab eine Zeit, da konnte es eine echte Enttäuschung sein, als Kind zum ersten Mal das Meer zu sehen. Wie, es plätschert? Und es ist nass?? Das konnte doch nicht sein! Das Meer hatte zu knistern und nicht zu plätschern.

Jim Knopf hat sich nie nasse Füße geholt, wenn er mit Lukas dem Lokomotivführer und seiner Emma in See stach . . .

Keine Frage, das Plastikfolien-Meer aus der Augsburger Puppenkiste hat sich ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation eingegraben. Ebenso die beiden Holzklappen mit der schräg stehenden Aufschrift „Augsburger Puppenkiste“ und dem Zusatz „Oehmichens Marionettentheater“, die sich erstmals 1953 live im deutschen Fernsehen für die Ausstrahlung von „Peter und der Wolf“ öffneten.

Die Puppenkiste selbst ist noch älter: Ihre Geschichte begann 1948 mit der Aufführung von „Der gestiefelte Kater“ im ehemaligen Heilig-Geist-Spital in der Augsburger Altstadt. Der 60. Geburtstag wird in diesem Jahr groß gefeiert - mit einer Jubiläumsausstellung im Augsburger Puppentheatermuseum.

Die Idee für die längst legendäre Puppenkiste hatte Gründer Walter Oehmichen bereits im Zweiten Weltkrieg. Als Soldat war der damals 39-Jährige in einer alten Schule in Calais einquartiert und entdeckte ein kleines Puppentheater, mit dem er sich und seine Kameraden unterhielt. Zuhause in Augsburg bastelte er 1943 seine erste eigene Bühne, die in einer Kiste verpackt allzeit mobil sein soll. Dieser „Puppenschrein“ wird zwar in einer Bombennacht zerstört. Der Grundgedanke, Bühne, Puppen und Zubehör schnell in einer Truhe verstauen zu können, um auf Tour gehen zu können, blieb. 20 Jahre lang ging die Puppenkiste auf Reisen, erst 1970 wurde man aus Zeitmangel wieder sesshaft.

Da war das kleine Kistentheater mit seinen hölzernen Helden bereits berühmt. „Jim Knopf“, „Der Löwe ist los“, „Urmel aus dem Eis“ - alles echte Straßenfeger.

Vergessen, die

Rechte zu sichern

Viele davon wurden als Vierteiler jeweils an den vier Adventssonntagen ausgestrahlt und gehörten zur Vorweihnachtszeit wie Plätzchen und Adventskranz.

Live auf der Augsburger Bühne hat man Jim Knopf oder Urmel allerdings so nie gesehen: Wollte man eine dieser Fernsehproduktionen, die in den 70ern in Farbe neu gedreht wurden, auf der Bühne spielen, würde das Stück fast zwei Tage dauern: 46 Stunden für den Umbau und zwei Stunden für das Spiel.

Die liebevollen Landschaften aus Pappvulkanen und dem Meer aus Malerfolie, der Kaufladen von Frau Waas, das Telefon von Alfons dem Viertelvorzwölften oder die „Mupfel“ aus Urmel aus dem Eis: 400 der berühmtesten Marionettenstars werden in der Jubiläumsausstellung in Originalkulisse zu bewundern sein. Außerdem, so die Macher, werde das Geheimnis des Scheinriesen Turtur gelüftet - ein Ausflug nach Augsburg lohnt also dieser Tage sehr.

Doch die Puppenkiste hat nicht nur Kindertheater und Fernseherfolge im Repertoire. Die Macher haben auch ein Faible für Kabarett und für klassisches Theater. Sie spielen Strindberg wie Brecht und Goethe oder Mozarts Zauberflöte. 440 Vorstellungen gibt es im Jahr, davon zwei Drittel für Kinder - und alle ausverkauft.

1997 schaffte die Puppenkiste mit „Die Story von Monty Spinneratz“ gar den Sprung auf die Kinoleinwand. Trotz all dieser Erfolge hat das kleine Theater zu kämpfen: Man versäumte es, sich die Rechte an den mittlerweile weltbekannten Figuren und TV-Produktionen zu sichern - die Lizenzgelder streichen andere ein.

Das Fernsehen hat die Puppenkiste bekannt gemacht, aber eine Neuauflage der alten Bildschirmerfolge wird es wohl nicht mehr geben - zu teuer und zu aufwendig wäre eine solche Produktion heute. Und auch das knisternde Plastikmeer ist leider Vergangenheit: Die Folien sind heute fast ausschließlich aus recyceltem Material und für ein echtes Meer nicht zu gebrauchen.

 www.diekiste.net

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