Rundschau-Debatte des TagesIst die AfD in NRW wirklich gemäßigter?

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Der 2022 gewählte Landesvorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz (M), mit seinem Vorgänger Rüdiger Lucassen (l) und dem Bundessprecher Tino Chrupalla

Der 2022 gewählte Landesvorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz (M), mit seinem Vorgänger Rüdiger Lucassen (l) und dem Bundessprecher Tino Chrupalla

Moderate Fassade, radikaler Kern: Die AfD versucht in NRW, ein konservativ-bürgerliches Image zu pflegen. Dabei ist sie Experten zufolge nur auf den ersten Blick gemäßigter als im Osten.

Die Kampagne „AfD nee“ geht viral in sozialen Netzwerken. Das Projekt des Vereins Demokult will Menschen darüber aufklären, dass sie sich als AfD-Wählende selbst schaden würden, weil diese Partei nicht die Interessen der kleinen Leute vertrete, sondern die der Wohlhabenden. Aber stimmt das in NRW überhaupt?

Wie „tickt“ die AfD in NRW? Eine einfache Antwort gibt es darauf nicht. Während der Thüringer Björn Höcke als extrem rechtes Gesicht der Partei gilt, steht in NRW ein anderer Typ Politiker in der ersten Reihe: Dr. Martin Vincentz, ein 37-jähriger Arzt aus Tönisvorst, der im Landtag nicht durch scharfe Reden auffällt. Er inszeniert sich nicht als strammer Rechtsaußen, sondern warnt etwa davor, dass „mit den kalten Temperaturen nach den Ferien auch wieder Fiebersäfte knapp werden“. „Vincentz gibt sich moderat und zurückhaltend“, so Prof. Stefan Marschall, Politikwissenschaftler an der Universität Düsseldorf. Es sei aber nicht zu sehen, dass er in der Bundespartei eine wichtige Rolle spielen könne oder wolle.

Fraktion im Landtag völlig isoliert

Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler rüttelt dagegen am Bild des „moderaten“ NRW-Parteichefs: „Anfangs trat Vincentz als Gegner des völkisch-nationalistischen ,Flügels‘ auf und galt als Unterstützer des Ex-Bundesparteichefs Jörg Meuthen. Nach dem Ausscheiden Meuthens schwenkte er um und arrangiert sich nun mit den rechten Kräften“, meint der Soziologe von der Hochschule Düsseldorf. Die NRW-AfD trage den Kurs der Gesamtpartei mit, und der führe immer weiter nach rechts.

Es gibt Gegenbeispiele. Die AfD-Fraktion, die im Landtag völlig isoliert ist, schloss 2022 den Abgeordneten Christian Blex, einen Vertreter der extremen Rechten, nach dessen umstrittener Russlandreise aus der Fraktion aus. Blex will vom Verwaltungsgerichtshof klären lassen, ob der Rauswurf gerechtfertigt war. Der AfD-Landesverband scheint etwas resistenter zu sein gegen völkisch-nationalistische Tendenzen als Landesverbände im Osten.

„Im Gegensatz zu Thüringen wird in NRW nicht der ganze Landesverband vom Verfassungsschutz beobachtet, sondern nur jene Strömungen, die dem inzwischen aufgelösten rechten ,Flügel‘ zugeordnet werden können. In NRW kann man laut Landesverfassungsschutz etwa 15 bis 20 Prozent der AfD-Mitglieder dem Ex-Flügel zuordnen, in Thüringen hingegen liegt sogar die Führung der Partei in der Hand des ehemaligen Flügel-Chefs Björn Höcke“, erklärt Politologe Marschall. Besonders einflussreich und prägend in der Bundespartei sei die NRW-AfD allerdings nicht. Sie dürfte sich auch nicht vom allgemeinen Trend der Partei Richtung Rechtsaußen entkoppeln können.

Keine „Partei des kleinen Mannes“

Mit Blick auf die Kampagne „AfD nee“ sind sich Marschall und Häusler darin einig, dass die Partei nur scheinbar sozial sei. „Der Ursprung der AfD, im Bund wie in NRW, ist sehr konservativ und gleichzeitig neoliberal bis ordoliberal“, erklärt Marschall. Häusler sagt: „Sie steht weiter in der neoliberalen Tradition von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Die AfD ist keine soziale Partei. Sie will zum Beispiel hohe Einkommen entlasten und Arbeitnehmerrechte beschneiden. Die Kampagne der Initiative ,AfD nee‘ liegt also genau richtig.“

Teile der AfD bemühten sich, die Partei als „Partei des kleinen Mannes“ darzustellen, so Marschall. Im Ruhrgebiet sei sie mit der Selbstdarstellung als „Arbeiterpartei“ zuletzt auch relativ erfolgreich gewesen. Das stehe im Widerspruch zum Bundesparteiprogramm.

Die angebliche Solidarität mit dem „kleinen Mann“ sei allerdings eine sehr exklusive Solidarität. „Es geht immer nur um den deutschen kleinen Mann und um deutsche Familien“, sagt Marschall. Häusler wirft der NRW-AfD vor, ihren Marktradikalismus hinter einem vermeintlichen „solidarischen Patriotismus“ zu verbergen. So habe sich zum Beispiel der AfD-Politiker Guido Reil aus Essen als Bergmann und Arbeiterführer inszeniert. „Das Gefährliche ist, dass sie das Sozialthema ethnisiert, also Zugewanderte ausschließt“, warnt Häusler.

Die Partei der Fragesteller

Wie keine andere Fraktion überhäuft die AfD die Landesregierung mit Anfragen. Das ist das gute Recht der Abgeordneten und könnte als „Fleiß“ gedeutet werden. Bezeichnend ist aber, dass sich viele dieser Anfragen um Kriminalität, Gewalt, Zuwanderung, Islamismus und Linksradikalismus drehen, und fast immer wird auf Nationalitäten Bezug genommen. Fragen wie die nach dem geplanten Abriss eines Seniorenheims in Düsseldorf sind die Ausnahme, Fragen wie „Ist man in NRW noch sicher?“ die Regel.

Dass sich AfD-Funktionäre im Zorn von der Partei abwenden, passiert allerdings weiterhin häufig. Vor Kurzem trat der frühere Sprecher der AfD-Landtagsfraktion und Siegener Ratsherr Michael Schwarzer aus der Partei aus. Die „Westfalenpost“ zitiert Schwarzer so: Die AfD werde „maßgeblich geprägt von inkompetenten, charakterlich zweifelhaften, sozial abgehängten und oft randständigen Radikalen, die wenig mehr haben als ihre Wut und ihr oftmals rückwärts gerichtetes Weltbild“. Dem WDR sagte Schwarzer: „In zwei Jahren wird die AfD ihre Metamorphose von der Professoren- zur Pöbelpartei abgeschlossen haben.“

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