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Mehr Fakten statt EmotionenWie politische Manöver die Wahrheit verzerren

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„Ich hasse den Hass“ ist am Gedenkort vor der Johanniskirche auf einem Zettel zu lesen der gerahmt in Mitten von Blumen und Kerzen steht.

„Ich hasse den Hass“ ist am Gedenkort vor der Johanniskirche auf einem Zettel zu lesen der gerahmt in Mitten von Blumen und Kerzen steht.

Die Anschläge in Magdeburg, München und Aschaffenburg führten dazu, dass der Wahlkampf vom Thema Migration dominiert wurde.

Am 20. Dezember vergangenen Jahres raste der aus Saudi-Arabien stammende Taleb al-Abdulmohsen mit seinem Wagen durch eine Menschenmenge auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. Sechs Personen wurden durch die Amokfahrt getötet, 300 weitere verletzt. Was über den Täter im Gedächtnis der Menschen geblieben ist, sind sein Name und seine Herkunft.

Die Tatsache, dass es sich bei dem Mann um einen militanten Islamkritiker und AfD-Fan handelt, der von mehreren Experten, darunter dem Chef des thüringischen Verfassungsschutzes, dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wird, ging selbst Wochen nach dem Anschlag im Wahlkampfgetöse unter. Die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel behauptete sogar, der Täter sei ein „hasserfüllter Islamist“. Dieses Bild hat sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt.

Gewalttaten von rechts weniger thematisiert

Beigetragen dazu haben auch die Anschläge von Aschaffenburg und München kurz danach durch Täter aus Afghanistan. Durch sie wurde der Wahlkampf nahezu aller Parteien fast nur noch vom Thema Migration dominiert. Nur sehr leise hingegen thematisierten die Parteien, aber auch die Medien jene Vermutungen, nach denen diese Anschläge möglicherweise gar nicht so zufällig stattgefunden haben. CDU-, FDP- und Grünen-Politiker aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium hegten nämlich schon früh den Verdacht, dass Russland mit Mitteln der hybriden Kriegsführung dahinterstecken könnte, und dieser Vermutung gehen auch die Sicherheitsbehörden nach.

Noch ist hier zwar nichts bewiesen, aber die Frage stellt sich dennoch: Warum wurden und werden solcherlei hochgradig besorgniserregenden Indizien nicht ebenso skandalisiert und genauso lautstark in die Öffentlichkeit getragen wie all die Behauptungen und Vermutungen über Attentäter, die man stets tagelang in den Zeitungen, auf Nachrichtenseiten, in den sozialen Netzwerken und allen anderen Medien lesen, hören und sehen kann?

Die gleiche Frage stellt sich bei Gewalttaten von rechts: Bei einer Amokfahrt in Mannheim fuhr am 3. März ein Mann mit dem Auto in die Fußgängerzone und tötete zwei Personen. Elf weitere Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Das Motiv des deutschen Täters sei „noch unklar“, heißt es, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Dass der Todesfahrer der Neonazi- und Reichsbürgerbewegung angehörte und Mitglied im sogenannten „Ring-Bund“, einer Gruppe aus dem Umfeld eines rechtsextremen Waffen-Netzwerks war, wurde kaum thematisiert und scheint bislang für niemanden ein Indiz für sein Tatmotiv zu sein. Warum eigentlich nicht?

Wenig thematisiert wurden auch weitere der zahlreichen jüngsten Gewalttaten von rechts: Am 3. April hat in Wetzlar ein vorbestrafter Neonazi eine 17-Jährige ermordet, am 7. April sind wegen einer rechtsextremen Drohung in Duisburg 20 Schulen geschlossen worden und drei Tage später, nach einer erneuten Drohung von rechts, musste dort wieder eine Schule schließen. Am selben Tag hat jemand unter dem Namen Adolf Hitler der Bürgermeisterin von Zwickau von der Mailadresse nsu@gmail.com geschrieben, sie solle „immer schön aufpassen“ und „an Walter Lübcke“ denken – also an jenen CDU-Politiker, der 2019 von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss ermordet wurde.

Man muss sich nur einmal vorstellen, was im Parlament und in den Medien los wäre, wenn all diese Taten und Drohungen von Ausländern und mutmaßlichen Islamisten begangen worden wären. Kein Terroranschlag, keine Amokfahrt, keine Gewalttat oder auch „nur“ -androhung ist in irgendeiner Art und Weise akzeptabel – egal, ob sie rechtsextremistisch, linksextremistisch, islamistisch, antisemitisch oder anderweitig motiviert ist. Leider aber scheint es so, dass in Deutschland Terror und Gewalt je nach Motivation und Nationalität der Täter unterschiedlich gewichtet werden.

Das führt zu einem Bild in den Köpfen, das nicht mehr viel mit der Realität zu tun hat. Noch nie war die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten so hoch wie im Jahr 2024; die mit Abstand höchsten Zahlen von Straftaten insgesamt und von Gewalttaten und Gewaltopfern gab es durch politisch rechts motivierte Taten. Dennoch meinen immer mehr Menschen in Deutschland, dass nicht der Kampf gegen rechts, sondern massive Abschiebungen von Ausländern und eine immer restriktivere Migrationspolitik unser Land sicherer und lebenswerter machen.

Erstes Opfer parteipolitischer Manöver ist die Wahrheit

Dabei ist das völlig schiefe Bild in den Köpfen beileibe nicht nur das Resultat rechtsextremer Desinformation und aggressiver AfD-Propaganda. Auch die anderen Parteien haben fleißig mit daran gearbeitet und tun es noch, allen voran die CDU. Wenn Unions-Politiker all jene Menschen, die die große Gefahr von rechts erkennen, als „linke und grüne Spinner“ bezeichnen oder aktuell eine „Normalisierung“ der AfD vorschlagen, dann spricht daraus keinerlei Willen, sich aufrichtig und verantwortungsvoll mit den Problemen und Gefahren in diesem Land auseinanderzusetzen, sondern lediglich der Wille, AfD-Wähler „abzuwerben“ – ungeachtet des Bundestagswahlergebnisses, das mehr als deutlich bewiesen hat: Diese Taktik funktioniert nicht. Sie bewirkt sogar das Gegenteil.

Das erste Opfer solcher parteipolitischen Manöver ist die Wahrheit. Das ist nicht nur bitter, sondern auch höchst gefährlich, denn Gefahren, egal aus welcher Ecke sie kommen, können nur dann von allen erkannt werden, wenn sie auch angemessen benannt werden. Das geschieht aber schon viel zu lange nicht mehr und, auch das gehört zur bitteren Wahrheit, es deutet nichts darauf hin, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird.