Interview mit Roger Waters„Eine Tour steckt noch in mir“

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Roger Waters hat in den 80er Jahren mit Pink Floyd den Höhepunkt seines Schaffens erlebt. (Foto: dpa)

Roger Waters hat in den 80er Jahren mit Pink Floyd den Höhepunkt seines Schaffens erlebt. (Foto: dpa)

Sie haben aus dem Erfolgsalbum und Ihrer letzten Tour einen Film gemacht, der jedoch keine Dokumentation sein soll. Warum nicht?

Wir haben viel Dokumentarmaterial gesammelt, aber es sollte immer ein Konzeptfilm und ein Roadmovie fürs Kino werden. Er protestiert gegen die Idiotie, als Konfliktlösungs-Taktik in den Krieg zu ziehen.Trotzdem ist er auch sehr persönlich.Nachdem wir unsere Tour beendet und die Konzerte gefilmt haben, dachte ich: Etwas fehlt. Ich wollte das Grab meines Großvaters in Nordfrankreich besuchen, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Außerdem starb mein Vater im Zweiten Weltkrieg und nun war ich zum ersten Mal bei der Gedenkstätte. Ich bin ein Kind des Zweiten Weltkriegs, für mich hat das eine große Bedeutung.

Der Film ist ein Protestfilm. Die Konflikte aber haben sich seit den 70er Jahren, als das Erfolgsalbum "The Wall" veröffentlich wurde, gewandelt. Spielt das eine Rolle?

Der britische Sänger, Bassist, Komponist und Texter George Roger Waters(72) war im Jahr 1965 Mitbegründer der Band "Sigma 6", aus der später die Rockgruppe Pink Floyd hervorgehen sollte. Er entwickelte sich zum lyrischen und musikalischen Kopf der Gruppe und ist maßgeblich für das Erfolgsalbum "The Wall" verantwortlich, das viele autobiografische Züge aufweist. Im Streit stieg er 1985 aus der Band aus und veröffentlichte als Solokünstler zahlreiche Alben. An den Erfolg von Pink Floyd konnte er jedoch nie anknüpfen.

Große Gesellschaften tendieren noch immer dazu, von Nationalismus, wirtschaftlichen Faktoren und Wettbewerb getrieben zu sein. Als Konsequenz daraus entscheiden Regierungen immer wieder loszuziehen und Bomben auf Menschen abzuwerfen - welche Gründe sie dafür auch immer haben. Unsere Entscheidungen sind komplett von Geld getrieben. Warum beschweren wir uns darüber, dass der Islamische Staat Menschen köpft, aber wir beklagen uns nicht, dass die Saudis Menschen zu Tode steinigen? Das eine ist unfassbar brutal, aber das letztere nicht? Nein. Ich gebe jedem darin Recht, dass Enthauptungen von Journalisten und Entwicklungshelfern abscheulich sind. Es ist absolut schrecklich. Aber das gilt auch für das Steinigen von Frauen und die regelmäßig stattfindenden Enthauptungen in Saudi-Arabien. Dort haben sie gleichzeitig Tonnen von Öl.

Warum scheint "The Wall" bis heute aktuell?

Es ist ein ursprünglich von meinen Gefühlen abgeleitetes Symbol, die ich bezüglich Rock'n'Roll hegte. Dann habe ich gemerkt, dass es mehr als das ist. Das Symbol, sich vor dem Rest der Welt zu vermauern, ist ein sehr machtvoller Akt. Genau das machen wir politisch. Wir bauen eine verdammte Mauer, damit wir Kriegsmaterial sichern können. Wir setzen eine Demarkationslinie und entscheiden so: Wir sind gut, ihr seid schlecht. Traurigerweise wird das Feuer von Menschen angeheizt, die das Zeug, das wir über die Mauer werfen, produzieren. Allein die USA geben Billionen Dollar jedes Jahr für etwas aus, das nichts mit Selbstverteidigung zu tun hat.

Heute bezeichnen Sie sich als glücklich, zu Ihren erfolgreichsten Zeiten wirkten Sie vor allem frustriert und wütend. Was hat sich geändert?

Bis 1985 war ich bei Pink Floyd und mindestens die letzten zehn Jahre meiner Bandmitgliedschaft war es sehr unangenehm. Ich denke, das war es für uns alle. Wir haben großartige Arbeit geleistet in diesen letzten zehn Jahren, aber das Missbehagen kam, nachdem wir mit unserem Album "The Dark Side of the Moon" irgendwie erreicht hatten, was wir als junge Männer erreichen wollten: Erfolgreich zu sein. Unsere Wege gingen philosophisch und politisch auseinander - obwohl wir aus Angst zusammenblieben. Erst als ich mich Ende der 90er Jahre entschloss, wieder auf Tour zu gehen, habe ich gemerkt, welch enorme Freiheit es ist, nicht von Menschen behindert zu werden, die Meinungen haben, denen ich zuhören muss.

Ist eine Tour aber nicht immer Teamarbeit?

Natürlich und ich mag meine Band, in der alle ihre Ansichten haben und äußern. Gleichwohl weiß jeder, wessen Band es ist. Obwohl ich sehr eng mit meinen Kollegen zusammenarbeite und ich sie verehre, ja wir alle in einem glückseligen Boot sitzen, bin ich trotzdem der Kapitän. Deshalb muss ich mir keine Sorgen mehr machen, mit ihnen über Sachen zu streiten. Das hat viel Gewicht von meinen Schultern genommen.

Mit der Entscheidung zum Solokünstler wurden Sie glücklich?

Ich beschreibe das, was ich mache, oft in Analogie zum Dasein eines Malers. Du hast eine Leinwand vor dir, eine Idee im Kopf und mischst die Farben zusammen. Dann kommt jemand und sagt: Ich denke, da solltest du eine andere Farbe wählen. Da sagt man sich doch: Fuck you! Was hat das mit dir zu tun? Es ist das Werk eines Einzelnen, auch wenn man Menschen hat, die einzelne Bereiche ausmalen. Ich vergleiche mich nicht mit Michelangelo, aber als er die Decke der Sixtinischen Kapelle malte, hatte er zwar viele Helfer und doch: Es war seine Vision.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Gerade arbeite ich an einem neuen Album und ich denke, eine Tour steckt noch in mir, bevor ich meine Stiefel an den Nagel hänge.

Sie wollen in Rente gehen?

An einem gewissen Punkt will ich nicht mehr in Arenen auf der Bühne stehen. Ich werde dieses Jahr 72, ein paar Jahre habe ich also noch.

Und was dann?

Ich werde nie aufhören zu lesen und zu schreiben. Und ich liebe es zu kochen und zu fischen. Ich habe also eine Unmenge an Dingen, die ich mag, aber es ist körperlich ziemlich anstrengend, alle zwei Tage Rock'n'Roll-Shows zu machen.

Wie bewerten Sie die Musikindustrie heute? Sie sind nicht zuletzt noch immer ein Teil davon!

Ich höre nicht wirklich viel Popmusik, eigentlich fast nie. Wenn meine Helden wie etwa Leonard Cohen, John Prine oder Neil Young eine neue Platte herausbringen, kaufe ich die natürlich. Aber das meiste Zeug interessiert mich nicht. Man kann es Isolation nennen, aber die Art und Weise, wie heutzutage alles funktioniert, amüsiert mich fast und ich verstehe es nicht, zum Beispiel dieses ganze Spotify-Ding, bei dem es darum geht, Wörter von anderen Menschen zu stehlen und sie zu verschenken. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man heutzutage in das Geschäft einsteigt, wenn einen niemand dafür bezahlt, dass man ein Album macht. Wie soll man davon leben? Ich betrachte mich als sehr glücklich, dass ich Teil der damaligen Musik-Revolution war, als Künstler ihre eigenen Lieder komponierten und Songs über die Realität ihrer Leben schrieben.

Haben viele der heutigen Künstler nicht mehr genug zu sagen?

Ich bin sicher, dass es viele Menschen gibt, die etwas zu sagen haben und das auch auf ihre eigene Weise mit Liedern, die sie schreiben, ausdrücken. Gleichzeitig gibt es viele Popsongs, die eigentlich von gar nichts handeln. Oder wenn, dann geht es darum: Oh, du hast mich für das andere Mädchen verlassen. Ich bin dagegen besessen davon, was in den nächsten 100 Jahren auf diesem kleinen Planeten passieren und was für meine Enkelkinder und deren Enkelkinder übrig sein wird.

Roger Waters, ehemaliges Mitglied der Rockgruppe Pink Floyd, hat mit "Roger Waters The Wall" einen Film gemacht, der kein reiner Konzertfilm ist, sondern auch eine persönliche Reise. Es geht um Krieg und Verlust. Ende September wird er weltweit gezeigt, der Ticketvorverkauf startet am 19. Juni. Mit ihm sprach Katri Pribyl über seine Motivation, die Zeit bei Pink Floyd, die heutige Musikindustrie und seine Zukunft.

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