„At Eternity´s Gate“ neu im KinoWillem Dafoe brilliert als Vincent van Gogh

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Willem Dafoe als Vincent Van Gogh (1)

Willem Dafoe als Vincent Van Gogh in einer Szene des Films "Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit"

Es gab Zeiten, in denen es durchaus nicht selbstverständlich war, dass ein Paar ausgetretener Schuhe kunsttauglich sei. Oder dass Dienstmägde Modell sitzen dürften und sich in einem Meer aus Sonnenblumen die göttliche Schöpfung offenbare. Mit all diesen Verboten, Bedenken und Tabus war Vincent van Gogh überhaupt nicht einverstanden, genauso wenig wie mit der Doktrin, dass sich die Meisterschaft eines Künstlers allein im ruhigen, sicheren Strich äußere. Er feierte die Nervosität, die flirrende Hitze eines Sommertags, so wie er den Himmel fürchtete, der sich nicht als schützendes Dach über den Menschen wölbt, sondern als Wolkenzelt, das seine ganze Traurigkeit, seine „äußerste Einsamkeit“ umfängt, wie er in einem seiner letzten Briefe an den Bruder Theo schreibt. Van Gogh ging an die Grenzen seiner Zeit und darüber hinaus, und vermutlich hat ihn dies die Gesundheit, den Verstand und das Leben gekostet.

Van Gogh galt als Kauz

Heute würde man Charaktere wie ihn vielleicht als Ausnahmekünstler feiern und gut für seine Bilder bezahlen. Zu Lebzeiten (1853 bis 1890) galt er als Kauz, und seine unbedingte, maßlose Leidenschaft für die Kunst wurde durch das brüderliche Mäzenatentum Theos gefördert. Wenn sich nun also Julian Schnabel und damit einer der wohlhabendsten und arriviertesten Künstler der Gegenwart mit Vincent van Gogh beschäftigt, dann schwingt darin nicht wenig Empörung darüber mit, wie man mit dem älteren Kollegen umgesprungen ist. Es ist dieses wütende Mitleiden, das Schnabels Spielfilm „At Eternity’s Gate“ zu einem nicht unerheblichen Teil prägt und ihm eine ehrlich empfundene, emotionale Wucht verleiht.

Schnabel dreht keine Filme, die sich an den Gewohnheiten eines Biopics, die sich überhaupt an filmische Konventionen hielten. Für seinen unvergesslichen „Schmetterling und Taucherglocke“ wählte er ausgerechnet die Perspektive eines Mannes, der nach einem schweren Unfall gelähmt und nur noch imstande ist, über das Zwinkern der Augen zu kommunizieren – nie wieder gab es einen Film, in dem Botschaften einen so mühevollen, aber auch so berauschenden Weg aus dem Innersten einer gequälten und sich zunehmend befreienden Psyche an die Außenwelt nahmen.

Das Leitmotiv ist die Kunst

„Van Gogh – At Eternity’s Gate“ geht nun gewissermaßen den umgekehrten Weg. Der Film bewegt sich von der Lebensrealität des Künstlers in das Labyrinth seiner zerklüfteten Seele, und was Schnabel dabei leitet, ist die Kunst. Sie besitzt im Film dieselbe überragende Bedeutung, die sie in van Goghs Leben beanspruchte – der Hauptdarsteller Willem Dafoe musste für die Dreharbeiten eigens das Malen lernen, oder genauer: Er musste lernen, wie van Gogh gemalt hat, und dabei ging es nicht allein um den Pinselstrich. Hier ist kein Atelierhocker am Werk, stattdessen sehen wir van Gogh als unermüdlichen Wanderer, der durch Landschaften streift, die er selbst gemalt haben könnte: Schnabels Kameramann Benoît Delhomme unternimmt zwar nicht den Versuch, van Gogh zu imitieren, doch so, wie er die Erdtöne rund um das südfranzösische Arles einfängt, wie er die Felder leuchten lässt und das Licht in seinen Schattierungen zeigt, gewinnt die Szenerie ein Eigenleben von ungeheurer Vitalität. Gut möglich, dass die Eindrücke so auf van Gogh einstürmten, wie Schnabel es hier zeigt.

Das Zentrum dieses Sehens, der Maler selbst, ist der unverrückbare Mittelpunkt auch des Films. Willem Dafoe verleiht der Figur eine Intensität, die mitunter fast schmerzt – nicht, weil er ihn unentwegt als depressiv Leidenden darstellte, so wie van Gogh es im Selbstporträt „An der Schwelle zur Ewigkeit“ getan hat, dem der Film seinen Titel entleiht.

Nein, er ist in Dafoes Interpretation auch ein nahezu enthusiastischer Entdecker, der sich auf der Suche nach dem perfekten Motiv in Delirien hineinsteigern kann. In den Pariser Kunstzirkeln bewegt sich Dafoe im grauen Zwirn ebenso überzeugend wie später mit ausgebeultem Hut über den unendlich melancholischen Augen, wenn Seelenklempner an ihm herumdoktern und Theo ihn aus Anstalten auslösen muss, die entfernt an Psychiatrien erinnern. Sehr zu Recht hat Dafoe auf dem vergangenen Festival in Venedig den Preis als bester Darsteller davongetragen – er ist der Motor des Films.

Willem Dafoe als Vincent Van Gogh

Der Film kommt am 18.04.2019 in die deutschen Kinos.

Dazu fügt sich Schnabels kluges Konzept, sich auf wenige prägnante Eckpunkte und Personen in van Goghs Biografie zu beschränken. Sein Hauptdarsteller aus „Schmetterling und Tauchglocke“, Mathieu Amalric, tritt als Arzt Paul Gachet auf, Oscar Isaac spielt den Maler Paul Gauguin, Rupert Friend ist als van Goghs Bruder Theo zu sehen. Und Mads Mikkelsen schließlich verkörpert einen Pfarrer, dessen Unverständnis angesichts der Bilder der Künstler mit dem schwerwiegenden Satz quittiert: „Vielleicht bin ich ein Maler für Menschen, die noch nicht geboren sind.“

So konzentriert sich Schnabel auf die letzten Lebensjahre seines Helden, auf eine Zeitspanne, die vom Scheitern in Paris bis zum körperlichen und psychischen Niedergang reicht und dabei den Blick auf die Ewigkeit freigibt: Van Gogh wird sterben, nur 37 Jahre alt, aber seine Kunst wird die Nachwelt erobern. Als Pionier eines neuen Sehens bezieht der Künstler diese Perspektive mit ein.

Nicht der erste Film über van Gogh

Zahlreiche Filme haben sich bereits mit seinem Schicksal beschäftigt und dabei mitunter ziemlich unbekümmert die Ikonographie des Werks geplündert: Kirk Douglas etwa sollte schon allein deshalb zum „Maler des Sonnenlichts“ geadelt werden, weil er eben dieses frühmorgens durch sein Zimmer fluten ließ. Auf solche Marotten verzichtet Schnabel komplett, zum Glück, und auch Motive wie die Nähe des Genies zum Wahnsinn bekommen bei ihm keine Chance. Stattdessen, und das ist neben Dafoes Leistung die größte Stärke seines Films, verankert er van Goghs Kunst in der Gesellschaft – in einem aristokratisch und autoritär gestimmten Umfeld, das buchstäblich noch nicht so weit ist, über die eigenen Konventionen hinauszudenken. Dadurch gewinnt „At Eternity’s Gate“ bei allem Sinn für Psychologische und Spirituelle eine handfeste Qualität, eine Bodenständigkeit, durch die man niemals vergisst, dass auch die sonnendurchflutetste Kunst nichts Ätherisches ist.

Infos zum Film

Van Gogh – At Eternity’s Gate

Schweiz/IR/GB/F/USA 2018, 111 M., R Julian Schnabel, D Willem Dafoe

Hommage eines großen Künstlers an einen noch Größeren: Schnabel erdet sein Porträt des seelisch zerrütteten van Gogh im Gesellschaftsumfeld.

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