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KlimawandelKölns heißeste Viertel

Lesezeit 6 Minuten

Die Wärmekarte zeigt die Temperaturen an einem Juni-Tag in Köln an. Die Temperaturen schwanken von Viertel zu Viertel stark. Unten finden Sie die Karte als pdf zum Download und die Legende.

Köln – Der Kampf gegen den Klimawandel beginnt in Köln an den Bahngleisen zwischen Hauptbahnhof und Rhein. Auf einem eingezäunten Stück Wiese, direkt hinter dem Schienenstrang, steht eine Wetterdaten-Messstation. Auf die Bahnfahrer, die hier täglich vorbeirauschen, muss sie wirken wie eine Mischung aus Strommast und moderner Kunst - wenn die sie überhaupt bemerken. Ihre Unauffälligkeit hat die Station gemein mit der Erderwärmung. In Mitteleuropa soll es bis zum Jahr 2100 im Schnitt um zwei bis fünf Grad wärmer und im Sommer trockener werden, so hat es der Weltklimarat der Vereinten Nationen Anfang des Jahres in einem Sonderbericht prognostiziert. Auch wenn man davon im deutschen Sommer 2012 bislang nicht so viel spürt - ganz anders als an in den USA, die seit Wochen unter extremer Hitze und einer historischen Dürreperiode leiden.

Bis zum Jahr 2100 wird es zwei bis fünf Grad wärmer

Temperatur, Niederschläge, Luftfeuchte, Windrichtung, Sonnenein- und -abstrahlung: Das alles wird von der Klimastation hinter dem Hauptbahnhof und ihren 13 über die Stadt verteilten Schwestern seit 2010 Tag und Nacht gemessen. Ihre Zahlen und Daten sind Futter für die Rechner des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Offenbach. Die sollen, so die Idee, aus diesen und anderen Werten berechnen, worauf sich Köln in Sachen Klimawandel einstellen muss. "Köln 21" heißt das Gemeinschaftsprojekt von Stadt, Land und DWD, das der größten Stadt Nordrhein-Westfalens helfen soll, sich gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu wappnen. Nicht zuletzt gegen die gesundheitlichen Folgen.

Forscher rechnen im Zuge des Klimawandels mit verschiedenen gesundheitlichen Belastungen:

Hitzewellen: Gesunde Erwachsene haben, wenn sie genug Flüssigkeit aufnehmen, auch bei längeren Hitzewellen nichts zu befürchten. Älteren, Kranken oder Kleinkindern drohen dagegen wegen mangelnder Anpassungsfähigkeit Gefahren wie Hitzschlag, Dehydrierung oder Kreislaufprobleme. So wurden im Hitzesommer 2003 in Baden-Württemberg 2000 zusätzliche Todesfälle registriert - zwei Drittel davon im August.

Neue Infektionskrankheiten: Krankheitserreger, die in Europa als ausgerottet galten, könnten sich hier im Zuge des Klimawandels wieder ausbreiten. Erwärmt sich etwa die Ostsee weiter, könnten Durchfallkeime und sogar Choleraerreger einwandern. Schon 2010 gab es in Frankreich und Kroatien Fälle, in denen das tropische Dengue-Fieber vor Ort übertragen wurde. Auch der West-Nil-Virus und die Fieberkrankheit Chikungunya sind laut Robert-Koch-Institut auf dem Weg nach Europa.

Allergien: Schon in den vergangenen Jahren ist die Pollenmenge europaweit deutlich angestiegen, zeigt eine Studie der Technischen Universität München. Der Klimawandel werde diesen Trend verstärken.

Hautkrebs: Noch ist unklar, ob sich mit dem Klimawandel auch die UV-Strahlung der Sonne intensiviert. Weil aber die Deutschen bei mehr Sonnentagen mehr Zeit in der Sonne verbringen, befürchten Experten eine steigende Hautkrebsrate.

Psychische Belastungen: Extremwetterereignisse wie Tornados, Überschwemmungen oder Hitzewellen wie jene, die seit Wochen den Osten der USA zum Backofen macht, können Menschen aufs Gemüt schlagen. Experten des Umweltbundesamts rechnen mit einer Zunahme der psychischen Erkrankungen im Zuge des Klimawandels. (ma)

"Der Klimawandel ist die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts", überschrieben Mediziner des Londoner University College schon 2009 eine Studie im renommierten Fachjournal "The Lancet". Dass sich der Klimawandel auf Körper und Geist auswirkt und neue Risiken mit sich bringt, gilt inzwischen als sicher (siehe Kasten). "Sommerliche Hitzewellen haben direkten Einfluss auf die Sterblichkeit", informiert die Bundesregierung auf ihrer Webseite. Vor allem ältere Menschen, Kleinkinder und Patienten mit Vorerkrankungen müssten bei steigenden Temperaturen besonders geschützt werden. Gesundheit ist deshalb eines der 13 Handlungsfelder der deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel und ein zentrales Thema im "Aktionsplan Anpassung", den die Bundesregierung im vergangenen Sommer verabschiedet hat. In Köln steht der große Aktionsplan noch aus. Hier wartet man auf die Ergebnisse von "Köln 21", die Ende des Jahres vorliegen sollen. Erst dann, so Projektleiter Christian Hartwig aus dem Umweltamt, könne man in der Stadt einen "Maßnahmenkatalog definieren", der durch den Rat beschlossen werden muss.

Dass "Köln 21" ein so wichtiges Planungsinstrument ist, liegt an den Prognosen, die die Mammut-Studie zulässt. Ziel der Messungen und Berechnungen ist es, mit Hilfe des sogenannten Mikroskaligen Urbanen Klimamodells, kurz Muklimo, Hinweise zu bekommen, wie sich die Stadttemperaturen in den kommenden Jahrzehnten entwickeln werden. In NRW ist es das erste derartige Projekt.

Die Daten aus den über die Stadt verteilten Messstationen sollen, so der Plan, die Entwicklung derart genau abbilden, dass häuserblockgenaue Voraussagen über das künftige Köln-Klima möglich werden. Die Muklimo-Ergebnisse seien keine Wettervorhersage für einzelne Sommer, es gehe eher um Durchschnittswerte über Jahrzehnte, sagt Projektleiter Hartwig. Bisherige regionale Klimamodelle bilden solche Klimaunterschiede nur im 20-Kilometer-Maßstab ab. "Wir wollen die Hitzebelastung in der Stadt auf 100 Meter genau erfassen und daraus - zusammen mit weiteren Daten über den Klimawandel - Prognosen für die Jahre bis 2050 ableiten", so Hartwig.

Die Hitzebelastung, der Menschen in der Stadt ausgesetzt sind, unterscheidet sich je nach Aufenthaltsort stark. Wie sich auf Wärmebildern des Umweltamts Köln erkennen lässt (siehe Karte unten), sind Temperaturunterschiede von knapp zehn Grad zwischen Stadtrand und Innenstadt keine Seltenheit. Auch Werte wie Luftfeuchte und Wind variieren je nach Straßenzug. Für Menschen, die sich an Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit schlecht anpassen können, ist der Aufenthalt in den sogenannten Hitze-Inseln an heißen Tagen über 30 Grad - die nach Berechnungen der Klimaforscher bald häufiger werden - nicht zu empfehlen.

Deshalb könnte eine der Folgen von "Köln 21" sein, dass neue Empfehlungen für Bauprojekte für solche empfindlichen Gruppen erlassen werden. "Wenn wir in Zukunft ein Krankenhaus, einen Kindergarten oder ein Seniorenheim bauen wollen, müssen wir wissen, wo die Hitze-Inseln der Stadt sind", sagt Rainer Liebmann, Abteilungsleiter im Kölner Umweltamt.

Zudem könnte die weitere Bebauung bestimmter Freiflächen in Zukunft Tabu sein, um kühlende "Frischluftschneisen" zu erhalten, wie die Biologin Yvonne Wieczorrek erklärt, die im Umweltamt auch am Projekt "Köln 21" arbeitet. "Das kann natürlich in einer Boomstadt wie Köln, in der Wohnraum knapp ist, zu Konflikten führen", glaubt Wieczorrek. Sinnvoll könne auch sein, die Trinkwasserbrunnen im Innenstadtbereich zu reaktivieren. "Auch über den Einsatz klimatisierter Fahrzeuge in der KVB müsste man nachdenken."

Lernen könnte Köln im Kampf gegen den Klimawandel von anderen Kommunen. So betreibt etwa Kassel seit 2010 das bundesweit erste Hitzetelefon: Von Juni bis August rufen dort Ehrenamtliche an Hitzetagen bei älteren Mitbürgern an und geben ihnen Tipps zum richtigen Verhalten. In München lässt sich die Stadt jährlich einen Bericht über das Auftreten von tropischen Krankheiten vorlegen. Und in Frankfurt wollen die Stadtplaner in den nächsten Jahren Speichen vom Grüngürtel in dicht bebaute Quartiere legen, um die Frischluftzufuhr zu verbessern. Auch Frankfurt hat sein Stadtklima kleinräumig messen lassen. Das Fazit der DWD-Forscher dort: Hitzewellen werden in Frankfurt häufiger und sie werden "deutlich mehr gesundheitliche Schäden" verursachen. Wenn die Stadt nicht vorsorge, werde es hier mancherorts in 40 Jahren so gemütlich sein wie in einem Backofen.