Ein SelbstversuchLoss mer singe In dieser Session notgedrungen als Stream

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Da geht was: Jens Meifert (l.) und Thorsten Moeck suchen das Karnevalsgefühl.

Köln – Zwei Haushalte, eine Gefühlslage – soviel Gemeinsamkeit ist auch in Zeiten der Pandemie erlaubt. Die neuen Songs zur Session müssen am Jahresanfang durch die Gehörgänge ins Gedächtnis vordringen. Doch volle Kneipen, in denen das Schwitzwasser von der Decke tropft, sind nicht mehr als ein feuchter Traum. Für das Streamingerlebnis von „Loss mer singe“ ziehen wir uns stilecht an einen originalen Austragungsort des traditionellen Einsingens zurück – und suchen im leeren Brauhaus nach ein wenig Gemeinschaftsgefühl.

Gesangswettbewerb in zweistündigem Film

Die hohen Decken, der von Tischen befreite Holzboden, die großformatigen Bilder an den Wänden – das „Gaffel am Dom“ verströmt inmitten des Lockdown musealen Charakter. Die Initiatoren des Gesangswettbewerbs haben 20 Stücke aus über 300 Neuerscheinungen gefiltert und in einem zweistündigen Film liebevoll verpackt. „Willkommen am Endgerät Eurer Wahl“, grüßt Mitbegründer Georg Hinz gut gelaunt aus seiner Küche die Loss-mer-singe-Gemeinde.

Der Ort ist kein Zufall, hier ist vor 21 Jahren die Idee zum Einsingen in die Session entstanden. Und nebenbei ist klargestellt: Wer in Köln eine schöne Wohnung gefunden hat, der zieht so schnell nicht mehr aus.

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Loss mer singe zu Hus

3000 Mal ist der Stream (6 Euro) von „Loss mer singe zo Hus“ angeschaut worden. Rund 2000 Mal sind weitere Stimmzettel (2 Euro) geladen worden. Bis Weiberfastnacht läuft das Angebot, der Sieger wird am Karnevalssonntag bekannt gegeben.

Ein Teil der Einnahmen kommt den  Musikern zu. Die Initiative ruft dazu auf, mehr Downloads zu kaufen, um die Musiker zu unterstützen, auch an die sonst beteiligten Wirte der Kneipentour wurde  gedacht.  Auf der Webseite finden sich viele Unterstützerangebote.

21 Jahre findet das Einsingen  bereits statt, die virtuelle Variante ist eine Premiere. Die Reaktionen seien sehr positiv, sagt Georg Hinz, Mitbegründer der Initiative: „Viele haben es geschaut und sich mit anderen zu einer Zoom-Konferenz verabredet“, erzählt er. Mit Pause und Zuprosten via Bildschirm.

www.lossmersingezohus.de

Die Bläck-Fööss-Hymne „Loss mer singe“ hallt schmerzhaft sakral durchs verlassene Brauhaus – den Freiraum füllen wir notgedrungen mit jeder Menge Wehmut. Wirklich lustig ist das Schunkeln auf Abstand dann nicht („Das geht nicht gegen Sie, Herr Meifert“). Die Künstler stellen ihre Stücke im Film selbst vor und beschwören hoffnungsvoll: Et weed widder besser.

Oder wie Kasalla-Sänger Bastian Campmann in „Midden em Sturm“ singt: „Uch dä jrößte Driss jeiht irjendwann vorbei.“ Für frische Töne sorgt mal wieder das schräge Sprach-Artisten-Duo „Zwei Hillije“, das mit „Weil mir Kölsches su jän singe“ eine frische Nummer auf Sirtaki-Rhythmen gelegt hat („Kommen Sie Herr Moeck, wir tanzen“). Die Nummer lebt vom witzigen Text, der vor uns am Bildschirm aufflimmert. In der vollen Kneipe wären viele der filigranen Zeilen sicher unbemerkt verklungen. Aber hier nicht.

„Es war mehr Beschäftigung mit den einzelnen Stücken möglich“, sagt Georg Hinz. Und die Gelegenheit wurde angenommen. „Insgesamt haben wir deutlich mehr Rückmeldung bekommen als in anderen Sessionen.“ Ebenso sicher hätte Vera Bolten alias „Moni vom Pfarrhaus“ in jeder Gaststube gezündet: „Dat ruckelt sich zeräch“ heißt ihr schmissiger Gute-Hoffnungs-Song aus dem Musical „Himmel und Kölle“, aber nun mit Corona-gerechtem Text: „Pandemie, ich kann nit mieh“. Kategorie: Geheimtipp. Oder? Wie hätte die Kneipe abgestimmt? Fragen, auf die es in dieser Session keine Antwort geben wird. Ob sich kommendes Jahr noch jemand für die alten Stücke interessiert?

Mit Ludwig Sebus in die Kellerbar

Die Qualität der Lieder überzeugt. Meistens jedenfalls – und ja – das Schöne an einem Stream ist die Möglichkeit des gezielten Vorspulens. Manchmal weckt das Bildmaterial auch lustige Erinnerungen („Herr Meifert, sieht der vollbärtige Christian Hecker mit seinem Akkordeon nicht aus wie ein Lehrer aus dem Telekolleg-Mathematik?“). Und natürlich freuen wir uns riesig über die direkte Ansprache der Musiker. „Es ist total cool, dass ihr auch unter diesen Bedingungen abstimmt“, lobt uns Paveier-Sänger Sven Welter. Das tut gut.

Viele Stücke beschwören den Zusammenhalt der Kölschen in grauen Zeiten. „Wat die Zokunf uns och bringk: Mir stonn zesamme, wenn Kölle singt“, stellt Björn Heuser sehr melodisch fest („Ja, Herr Moeck, lassen Sie Ihren Aerosolen ruhig freien Lauf“). Das Singen hinter Mundschutz ist vermutlich ähnlich beklemmend als würde man versuchen geknebelt zu pfeifen.

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Sogar Ludwig Sebus ist mit seinen 95 Jahren an der Seite von Thomas Cüpper dabei und singt von der „Kellerbar“. Und dann empfehlen Brings sehr bedächtig „Mir singe Alaaf“, nur ein bisschen leiser („Herr Meifert, waren Sie mal im Knabenchor?“). Es ist Lied Nummer 20, danach folgt nur noch der Schnelldurchlauf. Bestimmt lägen sich die Menschen jetzt selig in den Armen. Ach ja. Noch kurz online abstimmen. Noch ein kleines Flaschenbier. „Wollen Sie das Programm beenden?“, fragt unser Computer. Was für eine Frage.

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