Die 100-jährige Frieda Wegner hat lebhafte Erinnerungen an das Kriegsende 1945. Zum Kriegsende hatte sie nur ein Ziel: Zurück ins 400 Kilometer entfernte Köln.
„Ich muss die Domspitzen sehen“So erinnert sich die 100-jährige Kölnerin Frieda Wegner an das Kriegsende

Sie erlebte das Kriegsende vor 80 Jahren mit: die 100-jährige Kölnerin Frieda Wegner.
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„Zurück nach Köln!“ Das war Frieda Wegners erster Gedanke, als sie am 8. Mai 1945 vom Kriegsende erfuhr. Seit gut einem halben Jahr war die damals 20-Jährige mit ihrer Schwester, der Mutter und dem Vater in Ilmenau in Thüringen. Zwangsweise. Anfang November hatte die Familie die Aufforderung erhalten, die Wohnung in der Münsterstraße in Mülheim zu verlassen. Schnell, ohne langes Planen.
Zu stark war der Beschuss durch die Bomben der Alliierten geworden. Beim verheerendsten Bombenangriff in der Nacht des 29. Juni 1943 verloren laut der offiziellen Statistik 4377 Menschen in Köln ihr Leben. Es gab mehr als 10.000 Verletzte. Vieles war zerbombt. Oft flüchteten die Kölnerinnen und Kölner in die Luftschutzkeller. „Wenn die Bomben in den Rhein einschlugen, spitzte eine riesige Fontäne hoch“, erinnert sich Frieda Wegner. „Furchtbar“ sei der Krieg gewesen, sagt die inzwischen 100-Jährige. „Natürlich haben wir Angst gehabt. Und wie!“ Doch die agile Seniorin beschwört kaum Schreckensbilder, jammert nicht.

Frieda Wegner
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Auch nicht über die verlorene Jugend. Als der Zweite Weltkrieg 1939 begann, war sie gerade 14. „Ich hatte es geschafft, eine Ausbildung bei der Sparkasse zu bekommen“, erzählt sie nicht ohne Stolz. Dass Feiern, Tanzen, die erste Liebe keine Zeit fanden in den Turbulenzen des Kriegs, verschmerzte sie. „Ich war nicht versessen.“
Haare schneiden war immer gefragt
Ihr Vater, ein Friseur, war eingezogen worden, hatte in Frankreich gekämpft. „Dann war er von den Franzosen freigesprochen worden und ist wieder zur Familie zurückgekehrt.“ Mit Haareschneiden hielt er die Familie über Wasser. Ab 1945 wieder im zerstörten Nachkriegs-Köln. Man habe „organisiert“, sich über Wasser gehalten.
„Entweder, oder“, das sei ihr Motto gewesen. Das betont Frieda Wegner gerne. Die Nachricht vom Kriegsende war eine Erleichterung. Die Entscheidung: Zurück nach Köln, eine ganz eindeutige. „Als ich vom Kriegsende erfahren habe, hab' ich zu meiner Familie gesagt: ‚Also, ihr könnt machen, was ihr wollt. Ich bleibe nicht hier. Ich muss nach Hause. Ich muss die Domspitzen sehen‘.“

Kriegsende in Köln Mai 1945
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Eigentlich wollte sie sich zusammen mit einem Kollegen aus Düren auf den Weg ins Rheinland machen. Doch dem war es dann doch nicht geheuer. „Da bin ich dann alleine los. Einfach. Ab die Post. Entweder, oder. Ich habe nicht gewusst, ob ich mal nach Mülheim komme. Aber ich habe es geschafft.“ Leider ohne die Landkarte des Düreners.
400 Kilometer Fußmarsch
„Der Kollege, der nach Düren wollte, der hatte eine wunderbare Karte“, schwärmt Frieda Wegner auch noch 80 Jahre später. Immerhin hatte sie sich den Weg gemerkt. Sie wusste also ziemlich genau, in welche Richtung sie gehen musste, welche Städte auf dem Weg lagen.
Am 17. Mai 1945 bricht Frieda Wegner von Thüringen Richtung Westen auf. Zu Fuß. 16 Tage lang läuft sie. An die 400 Kilometer. Zuerst hat sie einen kleinen Handwagen dabei, aber den lässt sie nach einer Weile stehen.
Amerikaner versorgten sie gut
„Da waren ja alles die Amerikaner unterwegs. Und die waren so nett, die haben mich versorgt mit Essen, mit Trinken. Wir haben Spaß gehabt. Also, ich kann über die Amerikaner nur Gutes sagen, alle waren sehr, sehr freundlich.“ Oft lassen Bauern sie bei sich übernachten.
„Angst, dass mir etwas passiert, hatte ich nicht. Und mir ist auch nichts passiert“, sagt Frieda Wegner. In Bonn angekommen, übernachtet sie in einer Schule. „Und da hat mich dann ein Polizist auf ein Brikett-Auto gesetzt. Bis nach Mülheim konnte ich mitfahren.“
Die Familienwohnung gibt es noch. „Zwar waren alle Fensterscheiben kaputt, aber man konnte dort leben.“ Frieda lernt das Schneidern, näht. Solange, bis sie wieder bei der Stadtsparkasse Köln anfangen kann. 1986 hat sie dort aufgehört.
Seit gut einem Jahr lebt sie in einem Kölner Seniorenheim. Ihre Enkel und Urenkel fragen manchmal nach dem Krieg. Dann erzählt sie. Wichtig ist ihr aber vor allem, auf das Positive zu gucken. „Wenn es heute nicht schön ist, morgen ist es schon wieder positiv.“ Die aktuellen Nachrichten versucht sie zu vermeiden. Da schaut sie lieber hinaus in den schönen Garten, der direkt vor ihrem Fenster ist.