Kölns Gesundheitsdezernent Harald Rau will drei Suchthilfezentren. Für die Wut der Anwohner hat er Verständnis.
Brennpunkt Neumarkt„Da müssen wir 15 Millionen Euro doch irgendwie mobilisieren können“

Trauriges Bild: Drogenabhängige prägen den Josef-Haubrich-Hof am Neumarkt.
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Drogenabhängige und Obdachlose prägen das Bild am Neumarkt. Die Situation hat sich zuletzt dramatisch verschärft. Gesundheitsdezernent Harald Rau will mit einem neuen Konzept gegensteuern. Henriette Sohns und Jens Meifert sprachen mit ihm.
Herr Dr. Rau, am Neumarkt ist die Zunahme der Drogenkriminalität und Verwahrlosung für viele unerträglich geworden. Was sagen Sie Gewerbetreibenden, Anwohnenden und Passanten, wenn Sie ihnen begegnen?
Ich bin selbst fast täglich am Neumarkt, ich kenne die Lage. Ich verstehe die Hilflosigkeit und die Resignation derjenigen, die sagen: Wir können das so nicht mehr. Und ich verstehe ihre Wut. Ich kann nur aufrichtig sagen, dass ich großes Mitgefühl habe.
Ist der Stadt die Situation am Neumarkt entglitten?
Ich gebe zu, dass die Entwicklung drastisch ist. Aber es hat in den vergangenen Jahren überall eine Zunahme des Drogenkonsums gegeben. Und wir haben es kommen sehen. Deshalb haben wir mehr Streetworker angestellt, die Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums ausgeweitet, das Nachtcafé am Hauptbahnhof eröffnet. Das alles hat offensichtlich nicht ausgereicht. Es hat alleine zwei Jahre gedauert, bis wir genug Personal für den Konsumraum am Neumarkt gefunden haben. Es lässt sich nicht beweisen, aber wahrscheinlich wären die Sichtbarkeit und das persönliche Elend noch stärker angestiegen, wenn es unsere Hilfen nicht geben würde.
Wenn man die Zustände rundherum sieht, etwa das verwahrloste Parkhaus am Museum Schnütgen, fragt man sich, warum sich hier nichts ändert.
Wir haben einiges auf dem Neumarkt verändert, um ihn zu beleben und dadurch die Situation zu verbessern. Der Brunnen, der Kulturpavillon, das Café und die neue Verkehrsführung — das alles gab es vor zwei Jahren noch nicht. Aber das ist nicht ausreichend.
Wie hat Crack die Kölner Drogenszene verändert?
Es ist bedrückend mitzubekommen, was neue Substanzen mit den suchtkranken Menschen machen. Im Drogenkonsumraum haben noch vor einem Jahr weniger als 20 Prozent der Abhängigen Crack konsumiert, das nähert sich jetzt der 50-Prozent-Marke an. Crack macht einen hochfrequenten Konsum erforderlich. Wer Crack konsumiert, ist zehn Minuten später wieder im Suchtdruck, anders als bei Heroin. Studien sagen, schwer suchtkranke Menschen haben 30 Jahre weniger Lebenszeit. Das ist brutal. Mittelschwere Crack-Nutzer konsumieren vielleicht zehnmal pro Tag, es gibt aber auch die sogenannten „Heavy Users“, die auch mal zwei oder drei Tage ohne Schlaf sind und bis zu 30 Konsumvorgänge täglich haben. In der Zukunft wollen wir in den Konsumräumen die Zahl der inhalativen Plätze verdreifachen und die Plätze für intravenösen Konsum stattdessen zurückfahren. Das Gesundheitsamt hat sich auch auf ein Pilotprojekt beworben, bei dem ein verordneter medizinischer Ersatzstoff von Crack ausgegeben wird.
Es gibt Stimmen, unter Anwohnern, aber auch in der Politik, die das Konzept Drogenkonsumraum als gescheitert sehen.
Das sehe ich nicht so. Die Zahlen zeigen uns, dass der Drogenkonsumraum wirksam ist. Wir haben dort 4000 Konsumvorgänge pro Monat, das sind schon mal 4000 Vorgänge, die nicht in der Öffentlichkeit stattfinden. Zudem gibt es im Drogenkonsumraum mindestens zehn lebensbedrohliche Notfälle pro Monat, etwa durch Überdosierung. Diesen Menschen retten wir das Leben. Wir müssen jetzt vielmehr in die andere Richtung gehen und das Konzept ausbauen und vertiefen.
Was stellen Sie sich vor?
Ich arbeite derzeit an einem Konzept für drei Suchthilfezentren in Köln, zwei im Linksrheinischen und eines im Rechtsrheinischen. Dort soll es nicht nur einen Raum für den Drogenkonsum geben, sondern auch Aufenthaltsmöglichkeiten, Verpflegung und Ruheplätze. Crack-Abhängige sollen nicht sofort wieder in den öffentlichen Raum gehen müssen. Sie brauchen einen Ort, wo sie bleiben können. Damit können wir sie schützen und auch einen Teil des Konsums aus dem öffentlichen Raum verdrängen. Ein Vorbild ist Frankfurt am Main. Dort wurde vor rund drei Wochen der Beschluss gefasst, ein neues Suchthilfezentrum im Bahnhofsviertel zu etablieren. Mehrere andere große Städte sind auch auf dem Weg, so etwas zu machen. Mein Konzept, über das ich auch mit Polizeipräsident Johannes Hermanns im Austausch bin, soll in Köln als Diskussionspapier direkt nach der Sommerpause in die Gremien gehen.
Ist der Neumarkt der richtige Ort?
Ein Angebot räumlich getrennt von der Drogenszene funktioniert nicht. 2010 wurde ein Drogenkonsumraum in Deutz eröffnet und war nur zwei Jahre in Betrieb — weil niemand gekommen ist. Um die Szene aber nicht zu verfestigen, sondern in Bewegung zu halten, sollen in meinem Konzept nach dem Züricher Vorbild die drei Suchthilfezentren gestaffelte Öffnungszeiten bekommen. Fußläufig vom Neumarkt brauchen wir Räume für ein weiteres Suchthilfezentrum, da werden die Räume am Hauptbahnhof nicht reichen. Der Konsumraum in Kalk soll noch in diesem Jahr fertig werden, auch in dessen Nähe sollen Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen werden.
Der Konsumraum in Kalk sollte schon 2024 eröffnet werden.
Ja, und Sie wissen, dass wir nicht nur bauliche Schwierigkeiten hatten, sondern zunächst keinen Träger gefunden haben, der es zu unseren Bedingungen machen wollte. Ich bin aber jetzt zuversichtlich, dass das in diesem Jahr laufen wird. Der Förderantrag ist gestellt und bewilligt. Der Träger Vision e. V. kann und wird starten. Also das wird kommen. Mein Konzept sieht darüber hinaus vor, dass wir ein größeres Zentrum in der Nähe des Neumarktes brauchen, das wird sich nicht vermeiden lassen, und ein weiteres in etwa einem Kilometer Entfernung linksrheinisch. Da reicht der Hauptbahnhof nicht, weil das Angebot dort zu klein ist. Es sei denn, man könnte die Räume dort vergrößern.
Favorisieren Sie ebenfalls die ehemalige Kaufhof-Zentrale als Standort für ein solches Suchthilfe-Zentrum?
Das will ich noch nicht abschließend beurteilen, aber ich habe das Gefühl, das könnte funktionieren. Die Not ist so groß, wir brauchen vielleicht sogar Interimslösungen. So war es auch in Zürich, dort gab es ein Areal, das mussten sie schließen, und sofort ist die offene Drogenszene wieder aktiv geworden. Daraufhin wurden im gleichen Areal Interimscontainer gebaut. Vielleicht ist die Kaufhof-Zentrale zumindest eine geeignete Interimslösung.
Wäre auch eine Container-Lösung am Josef-Haubrich-Hof denkbar?
Wir werden alle in Frage kommenden Standorte schnell prüfen. Da gehört natürlich der Josef-Haubrich-Hof dazu.
Was würde die Stadt drei Suchthilfe-Zentren kosten?
Pro Zentrum rechne ich mit rund fünf Millionen Euro an jährlichen Betriebskosten. Mal drei ergibt das 15 Millionen Euro. Die haben wir in den Haushaltsplanungen nicht. Aber es geht um Menschen, die Anwohnenden und die Suchtkranken. Da müssen wir 15 Millionen Euro doch irgendwie mobilisieren können.
Was halten Sie von dem Vorschlag einer Citywache?
Für das Sicherheitsgefühl der Bürger ist das sicher gut. Aber wir brauchen vor allem die Suchtzentren, wo die Menschen hingebracht werden können. Eine reine Verdrängung funktioniert für unsere Stadt nicht, denn dann ist das Problem einfach an anderen Plätzen und angrenzenden Wohnvierteln. Wie beim Züricher Modell bin ich für eine hohe Toleranz innerhalb der geschützten Räume, aber außerhalb der Drogenkonsumräume für eine Null-Toleranz-Strategie. Da müssen wir dann auch repressiv sein.
Das Zürcher Modell wird häufig als erfolgreiches Vorbild herangezogen. Aber die Abhängigkeit und der Drogenkonsum sind dort nicht zurückgegangen.
Es hat in den vergangenen Jahren überall eine Zunahme gegeben. Und jetzt vermuten einige: Je mehr Räume wir bauen, desto mehr Drogenabhängige gibt es. Aber die Wirklichkeit ist eine andere. Es gibt jetzt andere Drogen und eine noch stärker organisierte Drogenkriminalität, und das bewirkt bei uns und in anderen Großstädten eine erhebliche Zunahme der Drogenaktivitäten. Wie bereits gesagt: Wahrscheinlich ist es so, dass die öffentliche Sichtbarkeit und das persönliche Elend noch mehr angestiegen wären, wenn es unsere Hilfesysteme und damit auch die Drogenkonsumräume nicht geben würde.