Versuchter Raubmord vor 36 Jahren in KölnFreispruch im „Cold Case“-Fall von Neuehrenfeld

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Das Strafgesetzbuch und Akten liegen in einem Gericht auf dem Tisch.

Das Strafgesetzbuch und Akten liegen in einem Gericht auf dem Tisch.

Angeklagt war ein heute 56 Jahre alter Mann. Ihm wurde versuchter Raubmord vorgeworfen.

Die Erleichterung nach dem Freispruch stand dem 56-Jährigen ins Gesicht geschrieben. Während der Urteilsbegründung hielt der Vorsitzende der 4. Großen Strafkammer, Arne Winter, plötzlich kurz inne und fragte den Angeklagten: „Geht’s?“ Der 56-Jährige wischte sich Tränen der Erleichterung aus den Augen, seufzte einmal hörbar tief und nickte dem Richter zu.

Knapp 36 Jahre, nachdem ein damals 50-Jähriger nach einer Kneipentour in seiner Ehrenfelder Wohnung brutal niedergeschlagen worden war und lebensgefährliche Kopfverletzungen erlitten hatte, von denen er sich zeitlebens nicht mehr erholte, endete das erste sogenannte „Cold Case“-Verfahren vor dem Landgericht mit einem Freispruch. Zwar zeigte sich das Gericht überzeugt, dass der damals 20 Jahre alte Angeklagte den 50-Jährigen in der Nacht auf den 25. Mai 1987 niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt hatte. Doch anders als die Staatsanwaltschaft, die eine fünfjährige Haftstrafe nach Jugendstrafrecht gefordert hatte, sah das Gericht das Mordmerkmal der Habgier nicht als bewiesen an. „Letztlich ging es um die Frage: Versuchter Mord, ja oder nein?“, brachte Winter das, worum es in dem Fall ging, auf den Punkt. Alle anderen möglichen Tatvarianten, wie versuchter Totschlag, waren wegen der knapp 36 Jahre zwischen Tat und Prozess längst verjährt.

Gericht glaubt, dass er der Täter war

Winter machte aber deutlich, dass das Gericht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt war. Wäre der Prozess vor 20 Jahren verhandelt worden, der heute 56-Jährige wäre wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen worden. Einen Mordversuch aus Habgier habe die Kammer jedoch „nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen“ können. Bis zuletzt sei aufgrund widersprüchlicher Zeugenaussagen zweifelhaft geblieben ob — und wenn ja, wie viel — Bargeld das Opfer in seiner Wohnung aufbewahrte. Von einer „Niederlage des Rechtsstaats“ wollte der Richter nichts wissen. Der Fall sei nach vielen Jahren aufgeklärt. Das Signal, das vom Prozess ausgehe, laute: „Täter schwerster Straftaten können sich in Deutschland niemals sicher sein.“

Im Oktober 2022 war der 56-Jährige nach einem DNA-Treffer von der Polizei festgenommen worden. Eine erneute Überprüfung der Tatwaffe, einem Kegelpokal aus der   Wohnung des Opfers, hatte die Kölner „Cold Case“-Ermittlergruppe zu dem Verdächtigen geführt, dessen Erbgut sich wegen eines früheren Delikts noch in einer DNA-Datenbank befunden hatte. Lange hatte der Angeklagte, der bis zur Verhaftung als Köbes arbeitete, geschwiegen. Erst am drittletzten Verhandlungstag räumte er über seinen Verteidiger   ein, in der Tatnacht in der Wohnung des 50-Jährigen gewesen zu sein und den Mann niedergeschlagen zu haben. Aber nicht, um an Geld zu kommen, sondern weil der 50-Jährige sexuell übergriffig und dann auch handgreiflich geworden sei. Aus Panik habe er nach dem Erstbesten gegriffen und mehrmals zugeschlagen. Der 56-Jährige verließ nach fast siebenmonatiger U-Haft das Kölner Justizzentrum auf freiem Fuß. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Revision einlegen wird.

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