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„Ein historischer Moment“Der erste öffentliche Muezzinruf in Köln

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Muezzin Mustafa Kader, Imam der Moschee, ruft in der Zentralmoschee der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) Muslime zum Gebet.

Köln – Als Imam Mustafa Kader um 13.25 Uhr ans Mikrofon tritt, wird es still auf dem Innenhof der Ditib-Zentralmoschee in Ehrenfeld. Umringt von unzähligen Menschen legt der  muslimische Geistliche seine Hände an die Wangen, hält kurz inne und rezitiert dann mit eindringlicher Stimme  den  Ruf, der die Gläubigen zum Gebet ruft. Überall werden Smartphones gezückt, um das Ereignis in Bild und Ton festzuhalten. Nach mehr als sechs Jahrzehnten Einwanderungsgeschichte erklingt in Köln erstmals öffentlich der Muezzinruf.

Rund 3000 Menschen sind gekommen, um das live mitzuerleben. Neben den Gläubigen und einem Großaufgebot der Medien sind auch interessierte Bürger dabei. „Ich bin heute morgen extra aus Brühl hierher gekommen. Das ist ein historischer Moment, da wollte ich dabei sein“, erzählt Horst Wagner (75). Dass der Muezzin jetzt über Lautsprecher ruft, sei „völlig in Ordnung. Religionsfreiheit gilt für alle.“

Lautstarker Protest gegen das Regime im Iran

Zwei Minuten und 36 Sekunden dauert der religiöse Sprechgesang, der über zwei kleine Lautsprecher neben dem Haupteingang übertragen wird. Damit bleibt der Gebetsruf deutlich unterhalb   der im Rahmen des Modellprojekts  zulässigen fünf Minuten. Im Innenhof ist er klar und deutlich, aber nicht übermäßig laut zu vernehmen.

Draußen auf der  Venloer Straße hört man den  Muezzin dagegen kaum noch, was weniger am Verkehrslärm liegt als an den Demonstranten, die gegenüber der Moschee   ab 13.15 Uhr  lautstark protestieren. Es geht vor allem um Kritik  am Regime im Iran und die Unterdrückung der Frauen dort, einige Demonstrantinnen zeigen sich   mit nacktem Oberkörper. Andere halten ein Transparent mit der Aufschrift:  „Kein Muezzin-Ruf in Köln! Der öffentliche Raum sollte weltanschaulich neutral sein“.

„Protest hat immer seine Daseinsberechtigung“

Auch Sonja Combüchen (79) aus Bergisch Gladbach ist eigens nach Ehrenfeld gekommen, um den ersten Muezzinruf mitzuerleben. „Unangemessen“ findet sie es, dass eine Demonstration gegen die politischen Verhältnisse im Iran ausgerechnet hier und heute stattfindet.  „Das eine hat mit dem anderen ja gar nichts zu tun.“ Dagegen meint Zekeriya Altuğ,  Abteilungsleiter der Ditib für Gesellschaft und Zusammenarbeit: „Protest hat immer seine Daseinsberechtigung. Ob das Thema etwas mit uns zu tun hat oder nicht, sei mal dahingestellt.  Wichtig ist, dass wir sehr viel Zuspruch aus der Nachbarschaft erfahren haben. Darauf können wir aufbauen.“

Die aktuelle Situation im Iran könne man diskutieren, und den Zwang müsse man kritisieren dürfen,  so Altuğ. „Was in der Welt passiert überall, sehr unschöne Sachen, das können wir von hier aus zwar nicht ändern. Aber wir können schöne Signale des Zusammenlebens liefern.“

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Und wie hat er den ersten öffentlichen Muezzinruf in Köln erlebt? „Das ist ein emotional sehr wichtiger Moment für uns, ein historischer Moment. Wir werden als Teil von Köln gesehen und gehört. Das ist eine schöne Message des Gebetsrufs: Wir  gehören zusammen, wir können gemeinsam koexistieren.“

Anwohnerin Johanna (67) verfolgt das Geschehen von gegenüber.  Sie wohne seit 1985 hier, als   die Moschee in einer ehemaligen Fabrik eröffnet wurde, erzählt sie. Das Gezerre um den Neubau hat sie hautnah miterlebt. Heute habe sie den Muezzinruf auf der anderen Straßenseite durchaus gehört. „Es war aber leiser als in der Corona-Zeit, als an der Moschee die Türen offenstanden.“ Dass der Muezzin freitags für wenige Minuten  rufe, sei „absolut okay“, findet sie. „Was mich aber geärgert hat ist, dass Frau Reker das einfach von oben herab verkündet hat, ohne dass man vorher die Menschen vor Ort einbezogen hat.“

Der Direktor des Moschee-Forums, Murat Şahinarslan, geht davon aus, dass bald weitere  Moscheegemeinden den Gebetsruf bei der Stadt beantragen werden. Die Ditib biete ihnen Unterstützung bei der technischen Abwicklung an.

Reaktionen zum Muezzinruf

Studentin Ebrar Sert (20) aus Ossendorf: „Es ist ein sehr besonderer Tag für uns, weil es in Köln ja bisher keinen öffentlichen Gebetsruf  gab. Ich kannte das vorher nur aus der Türkei. Ab jetzt können wir den Ruf jeden Freitag hier miterleben, das ist sehr schön. Ich hoffe, dass  es dauerhaft so bleibt.“

Mohammed Rafique (23), Geflüchteter aus Myanmar: „Ich  lebe seit einem Jahr in Köln und bin sehr  glücklich, heute Teil dieses besonderen Moments zu sein. Ich danke der Stadt, dass sie den Gebetsruf möglich gemacht hat. In Köln sind die Menschen sehr tolerant und gerne bereit, andere Menschen zu integrieren. Das gefällt mir außerordentlich gut.“

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime: „Der Gebetsruf, fester Bestandteil des muslimischen Gebets und in einigen Städten Deutschlands längst Alltag, ist im Rahmen unserer  Religionsfreiheit durch das Grundgesetz gedeckt und sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Durch manch Politisierung des Gebetsrufes mit unterschiedlichen Vorzeichen  – sei es, indem man suggeriert, ein bestimmter Moscheeträger stünde angeblich zur Disposition, oder durch fadenscheinige politische Umdeutung des Ruftextes, nimmt am Ende der Religionsfrieden und damit die Freiheit, Religion zu leben oder auch nicht, Schaden. Leben und leben lassen, heißt ein allseits und gerade am Rhein bekanntes und gerne praktiziertes Lebensmotto – an dem sollten und können wir uns doch eigentlich orientieren, oder?“

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