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Jürgen Becker im Interview„Das Einzige, was wir wirklich ernst nehmen, ist der Karneval“

Lesezeit 5 Minuten
Jürgen Becker sitz im Schneidersitz und lächelt.

Jürgen Becker kann auch ganz entspannt.

Jürgen Becker spricht über sein neues Programm „Deine Disco“, den fehlenden Sound der Klima-Bewegung und den Nahost-Konflikt.

Das Gespräch mit Jürgen Becker findet in der Rundschau statt. Als die Fotografin spontan die Dachterrasse für ein Foto vorschlägt und der Schlüssel nicht sofort greifbar ist, steigt Becker mal eben flott durchs Fenster. Tobias Wolff sprach mit ihm.

Wie würden Sie der jungen Generation „Disco“ übersetzen?

Club, ganz einfach. Aber als Programmname fand ich „Dein Club“ missverständlich, deshalb bin ich doch lieber beim alten Wort Disco geblieben. Mein Publikum ist ja auch nicht mehr ganz jung.

Wobei Senftöpfchen-Chefin Alexandra Franziska Kassen kürzlich erst noch in der Rundschau festgestellt hat, dass gerade Namen wie Jürgen Becker oder Wilfried Schmickler vermehrt jüngere Menschen anziehen.

Das stimmt, aber die werden in der Regel dann doch eher von den Älteren ans Kabarett herangeführt. War bei mir ja nicht anders: Erst war Otto mein Idol, dann habe ich gemerkt, es gibt ja auch den Hanns Dieter Hüsch.

Welche Idee steckt hinter dem Programm?

Ich habe als junger Mensch immer die Discothek im WDR gehört. Damals habe ich mich darüber geärgert, dass die Moderatoren immer in die Musik hineingequatscht haben. Ich wollte die doch mit dem Kassettenrekorder mitschneiden. Später dachte ich, dass so eine Radioshow ein fulminantes Kabarettformat werden könnte.

Was ist der Rote Faden?

Es fing damit an, dass ich mir Gedanken über die Erfindung der E-Gitarre gemacht habe, das wichtigste Instrument der letzten 100 Jahre. Bei den großen Jazz-Orchestern kamen die Gitarristen einfach nicht mehr durch, bis Orville Gibson eine elektrische Variante entwickelte. Die Widerstände dagegen waren erheblich, man befürchtete eine Verwahrlosung der Musik völlig unbegründet. Das ist dann der Moment, wo ich im Programm dann laut „Star spangled banner“ von Jimi Hendrix einspiele.

Die Gitarre als Ausdrucksform des Protests.

Man kann gar nicht hoch genug würdigen, was diese Tüftler weltweit bewirkt haben. Ohne die E-Gitarre hätte vermutlich Vieles nicht diese Wucht und Resonanz entfalten können: Die 68er-Bewegung nicht, die Hippies nicht, die ganzen revolutionären Bewegungen dieser Zeit hätten ohne den entsprechenden Sound niemals die verknöcherte Gesellschaft mit einem so gewaltigen Tritt in den Hintern in die Moderne befördern können. Von der Gleichberechtigung über die Aufhebung überkommener Strukturen bis hin zur freien Sexualität. Heute müssen wir uns von der Attitüde verabschieden, eigentlich gegen die Gesellschaft zu sein. Jetzt müssen wir sie verteidigen.

Sie haben immer Sympathie für die Aktivisten der Klimabewegung gezeigt.

Die Klimabewegung hat alle Wissenschaftler auf ihrer Seite, aber es fehlt der Sound. Ich habe mich sehr gefreut, als ich zu einer Kundgebung von „Fridays for Future“ eingeladen wurde. Dann habe ich nach der Band gefragt und es hieß, es gibt keine. Ich schüttelte den Kopf. Wenn man ein Thema nach vorne bringen will, muss man die Emotionen bedienen. Musik erzeugt Resonanz.

Tut es weh, wenn man die Diskussionen um propalästinensische Äußerungen bei „Fridays for Future“ verfolgt?

Ja. Die wird vom Antisemitismus zerfressen. Ich finde gut, dass sich Luisa Neubauer (bekannte deutsche Klima-Aktivistin, Anmerkung d. Red.) ganz klar davon distanziert hat. Man muss das Leid der Palästinenser benennen und auch Verhältnismäßigkeit einfordern, aber dieser entsetzliche Antisemitismus und Rassismus gehen überhaupt nicht. Da muss man eine ganz klare Linie ziehen.

Hätten Sie sich mehr von der Kölner Stadtgesellschaft gewünscht?

Ja. Ich war dankbar, dass die Kirchen zum Schweigemarsch am Vorabend des Novemberpogroms aufgerufen haben. Ich hätte selbst gerne am 9. November etwas an der Synagoge gemacht, aber die Polizei hat uns und „Arsch huh“ gebeten, darauf zu verzichten. Die Sicherheit war nicht gewährleistet. Also haben wir ein anderes Datum genommen. Nun wird es eine Kundgebung am Sonntag am Aachener Weiher geben.

Kürzlich lief die Vorpremiere Ihres neuen Programms „Deine Disco“ im Ehrenfelder Club „trafic“. Warum gerade da?

Das „trafic“ gehört einem Freund von mir, den ich seit einem Projekt an der Hauptschule Borsigstraße kenne. Jetzt hatte ich endlich ein Programm, das ich in seinem Club spielen konnte. Bei den anderen passte es irgendwie nicht.

Wie kam es an?

Sehr gut. Am Abend vorher war ich noch in der Torburg in der Südstadt, das war etwas gequetscht, der Laden ist ja nicht groß. Auch da war die Resonanz klasse.

Wo werden Sie mit ihrem neuen Programm zu sehen und zu hören sein?

Am 13. April im Theater am Tanzbrunnen. Aber ich bin eine treue Seele. Ich spiele gerne in kleineren Locations, im Senftöpfchen oder auch in den Kölner Bürgerhäusern. Die haben mich ja auch genommen, als ich noch nicht so bekannt war. Und sie machen eine großartige Arbeit dort.

Wie werden Sie außerhalb des Rheinlands aufgenommen?

In Nord- und Süddeutschland nimmt man die Rheinländer nicht ganz ernst. Und das ist auch schön so, schließlich nehmen sich die Kölner ja selbst nicht so ernst. Das Einzige, was wir wirklich ernst nehmen, ist der Karneval.

Feiern Sie noch selbst?

Klar. Sechs Tage lang. Mittwochs Stunksitzung, an Weiberfastnacht ziehen wir dann zusammen mit dem ganzen Freundkreis los. Ich koche vorher immer Hühnersuppe, damit man eine schöne Grundlage mit viel Gemüse hat und der Körper ausreichend gestärkt ist.

Wie erleben Sie die Auswüchse zu Sessionsbeginn?

Was die Zülpicher Straße angeht, kann ich das nicht beurteilen, da war ich eigentlich nie. Der 11.11. war früher auch kein Event: Da hat man kurz mit der Ostermann-Gesellschaft am Heinzelmännchenbrunnen angestoßen und das war's. 1823 wurde ja der offizielle Karneval mit dem Festordnenden Komitee gegründet, die wollten die damals herrschende Anarchie in den Griff bekommen. Jetzt haben sie genau diese Aufgabe wieder.

Und die Kirche? Die spielt bei Ihnen überhaupt keine Rolle mehr.

Nein. Bei jemandem, der so am Boden liegt, sollte man nicht austeilen.