Wenn die KI bereit ist, soll sie per Sprecherkennung Infos über den Patienten sammeln und künftig auch Handlungsempfehlungen geben.
Krankenhaus MerheimKünstliche Intelligenz soll in Schockräumen helfen – Start vermutlich Mitte 2026

Aktuell ist das KI-Modell noch in der Entwicklung. Das Krankenhaus Merheim spielt dabei eine maßgebliche Rolle. Bei Simulationsübungen werden Tonaufnahmen erstellt, aus denen das Modell dann lernen soll.
Copyright: Meike Böschemeyer
Im Schockraum einer Notaufnahme zählen Sekunden. Unter hohem Zeitdruck arbeitet eine Gruppe aus verschiedenen Expertinnen und Experten dort zusammen, um Schwerstverletzten das Leben zu retten. Beatmungsschläuche einführen, Blut abnehmen, Spritzen setzen, Röntgenaufnahmen machen, Narkosen vorbereiten: All das und vieles darüber hinaus muss so schnell wie möglich passieren. „Dabei müssen sehr viele Informationen immer wieder an alle im Raum weitergegeben werden“, erklärt Dr. Jérôme Defosse, leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin im Krankenhaus Merheim.
Ein KI-Modell soll die Arbeit in Schockräumen zukünftig vereinfachen. Aktuell wird es mit Daten gefüttert, die aus dem sogenannten „Skills Lab“ des Krankenhauses kommen. Dabei handelt es sich um Trainings-Schockräume, in denen Notfallsituationen mit hochmodernen Patienten-Puppen simuliert werden. „Die Grundidee ist es, ein Modell zu schaffen, das mit Spracherkennung arbeitet und alles wichtige Gesagte auf einen Bildschirm bringt“, sagt der Mediziner. Gleichzeitig solle die KI den Behandlungsablauf im Schockraum dokumentieren und dem Personal somit Zeit sparen. „Wir hoffen, dass wir Mitte 2026 das fertige Produkt haben, das wir in echten Schockräumen einsetzen können.“
Bereits 2020 sei das Forschungsprojekt gestartet, durch die Pandemie habe es einige Verzögerungen gegeben. Seit September seien die Übungseinheiten zur Entwicklung des KI-Modells nun in die wahrscheinlich finale Phase gegangen. Finanziert werde das Projekt durch Gelder der EU, die über die Projektpartner Telekom und das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) vergeben werden. Sei das Modell einmal fertig trainiert, können es auch in anderen Krankenhäusern verwendet werden. Dabei bekomme jedes Klinikum, in dem die KI im Einsatz ist, seinen eigenen lokalen Server, damit die Daten der Patienten sicher bleiben.
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Prof. Dr. Frank Wappler (l.), Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin und Priv. Doz. Dr. med. Jérôme Defosse, leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Copyright: Meike Böschemeyer
Ein Bildschirm, durch den alle einen ständigen Überblick haben: Allein das sei eine große Erleichterung. Denn schon beim Eintreffen des Verletzten müssen zahlreiche Informationen kommuniziert werden, darunter Unfallhergang und Vorerkrankungen. „Im Schockraum arbeiten manchmal bis zu 15 Personen zusammen. Es gibt überlebenswichtige Faktoren wie Medikamentenallergien, die dabei immer wieder erfragt werden. Das kann man dann vermeiden.“
Und auch den Ablauf der Behandlung soll die KI auf dem Bildschirm im Schockraum zukünftig zeigen. „Wir arbeiten im Schockraum das ABCDE-Schema ab. Dabei steht jeder Buchstabe für ein Organsystem“, erklärt Nina Waloßek, Fachärztin für Anästhesiologie im Krankenhaus Merheim. Die KI solle zukünftig die Diagnosen, die das Team ausspricht, dem richtigen Buchstaben zuordnen und sie je nach Status der Behandlung rot oder gelb einfärben.
Alles, was die Behandelnden im Schockraum tun und auch zu welchem Zeitpunkt sie es tun, müssen sie sich merken, um später eine lückenlose Dokumentation zu gewährleisten. „Es ist natürlich viel besser, wenn die KI einfach ein Transkript erstellt, mit dem wir dann später arbeiten können“, sagt Dr. Defosse. Wenn der Patient den Schockraum verlässt, muss aktuell noch am Computer alles akribisch aufgeschrieben werden. „Im Extremfall habe ich auch schonmal zwei Stunden daran gesessen“, erklärt Waloßek. „Durch die KI könnte man schneller wieder beim Patienten sein.“
KI-Modell soll Handlungsempfehlungen geben
Noch rund hundert weitere Trainingseinheiten sollen im „Skills Lab“ zur Schulung der KI stattfinden. Dabei nehmen erfahrene Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegepersonal an Simulationen teil. „Was sie sagen, wird dabei aufgenommen“, erklärt Dr. Defosse. Diese Aufnahmen werden an das Fraunhofer-Institut geschickt, das die KI trainiert. Dann ist die Expertise des ärztlichen Teams aus Merheim gefragt. Jeden Satz, den das Modell ausspuckt, muss das Team auf Richtigkeit kontrollieren. So fließt die Erfahrung aus 400 bis 600 jährlichen Schockraumeinsätzen in das KI-Modell ein.
„Langfristig ist es auch angedacht, dass das Modell im Schockraum Handlungsvorschläge auf dem Bildschirm anzeigt“, sagt der Mediziner. „Davon könnten vor allem kleinere Kliniken profitieren, die nicht so viel Erfahrung haben wie wir.“ Eine Funktion, die allerdings noch mehrere Jahre brauche, bevor sie einsatzfähig sei. Dafür könne man die KI zusätzlich mit Daten aus medizinischen Handbüchern füttern. „Ich werde immer gefragt, ob ich mir nicht Sorgen mache, dass die KI dann die Arbeit der Ärzte übernimmt. Aber ich finde, davon müssen wir weg. Es ist mitnichten der Fall, dass die KI Entscheidungen treffen wird. Sie ist ein wertvoller Baustein im Rahmen unserer Therapiemöglichkeiten.“
Auch der Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und operativer Intensivmedizin am Klinikum Merheim, Prof. Dr. Frank Wappler, spricht sich für die Nutzung von KI im Schockraum aus – auch in Bezug auf Handlungsempfehlungen. „Bei einem Patienten, der multipel verletzt ist, sind mehrere Tausend Seiten an Leitlinien zu beachten. Es wäre für einen Menschen nicht leistbar, das alles auswendig zu können. Handlungsempfehlungen durch die KI können extrem hilfreich sein, weil sie schneller und vielleicht präziser zur Verfügung stehen.“ In jedem Anwendungsfall der KI seien Medizinerinnen und Mediziner als Kontrollinstanz unerlässlich, betont Dr. Defosse. „Die Aussagen der KI müssen immer akribisch geprüft werden. Unsere Erfahrung wird deshalb nicht ersetzbar sein.“
