Serie „Babylon Köln“Wie es 1932 zu einem blutrünstigen Doppelmord in Ehrenfeld kam

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Menschen gehen über eine Straße und werfen Schatten.

Licht und Schatten: Blick vom Dom im Jahr 1931. 

  • Wie Berlin war auch Köln in der 20er Jahren und folgenden geprägt von Kriminalität und politischen Unruhen, aber auch vom ausschweifenden Leben.
  • In unserer Serie „Babylon Köln“ geht es heute um einen blutrünstigen Doppelmord in Ehrenfeld.

Mit schwerer Schussverletzung quer durch den oberen Hals, von Ohr zu Ohr, wurde die 23 Jahre alte Else Schorsch am Sonntag, 24. Januar 1932, am späten Nachmittag ins israelitische Krankenhaus in der Ottostraße eingeliefert. Gemeinsam hatten sie, so berichtete ihr frischvermählter Ehemann Gottlieb, einen Spaziergang entlang des Grüngürtels gemacht. Da habe er in etwa auf Höhe der Herkulesstraße in der Dunkelheit ein Ding im Gras liegen gesehen. Um es seiner Frau zu zeigen, habe er es aufgehoben. Plötzlich habe sich ein Schuss gelöst. Ein Unglück, wie Gottlieb Schorsch versicherte. Er habe nicht bemerkt, dass es sich bei seinem Fund um einen geladenen und entsicherten Armeerevolver gehandelt hatte.

Die Geschichte klang wenig glaubwürdig. Else Schorsch aber, der es rasch wieder besser ging, stellte sich schützend vor ihren Gatten. Der Schuss sei durch einen unglücklichen Zufall losgegangen, beteuerte sie. Nach ihrer Entlassung kehrte sie wie selbstverständlich in die gemeinsame Wohnung zurück.

Waffe im Grüngürtel gefunden

Gottlieb Schorsch aber hatte sehr wohl die Absicht gehabt, seine Frau zu erschießen. Ein Sachverständiger sollte später vor Gericht aussagen, dass es sich nach der Verletzung zu urteilen zweifellos um einen unmittelbaren Nahschuss gehandelt habe, bei dem die Mündung der Waffe ganz dicht auf dem Hut der Frau aufgesetzt worden war. Diese Erkenntnis kam aber zu spät.

Als Dienstmädchen hatte die aus Vaihingen, nordöstlich von Stuttgart, stammende Else Kötzle gearbeitet, als sie 1927 in Köln den sieben Jahre älteren Gottlieb Schorsch kennenlernte. Schließlich wurde sie schwanger. 1929 brachte sie den gemeinsamen Sohn Günter zur Welt. Gottlieb Schorsch aber dachte gar nicht daran, sie zu heiraten. Und auch für den Unterhalt seines Kindes kam er, obwohl er nicht zum Heer der Arbeitslosen gehörte, nicht auf – insgesamt gerade einmal 200 Mark ließ er seinem Sohn im Laufe der Zeit zukommen. Über die Mutter sprach er in der Öffentlichkeit abfällig. Plötzlich aber willigte er doch in die Hochzeit ein, die im Dezember 1931 geschlossen wurde.

Die junge Familie wohnte in der Glasstraße 27 in Ehrenfeld. Die Atmosphäre zwischen den Eheleuten sei nach jenem Grüngürtel-Vorfall im Monat nach der Hochzeit recht gut gewesen, erzählten die Nachbarn. Der am 21. Mai 1901 in Köln-Ehrenfeld geborene Schorsch war auch ein unbescholtener Bürger. Die Schule hatte er mit gutem Erfolg absolvierte. Zeugnisse wiesen den Elektromonteur als zuverlässigen und tüchtigen Arbeiter aus. Allgemein bekannt war aber auch, dass er fast krankhaft pedantisch war. Und jähzornig. Wenn etwas seinem Ordnungssinn widersprach, konnte er schon einmal eine Tür eintreten. Kleinste Anlässe führten dann auch in der Ehe zu Streitereien.

Ehefrau in der Wohnung in der Glasstraße erstickt

Etwa ein halbes Jahr nach dem Vorfall am Grüngürtel, am Sonntag, 8. Mai 1932, kam Schorschs 22-jährige Schwester Gertrud, eine Näherin, die in der Wohnung ein Zimmer hatte, am späten Abend heim, um sich früh schlafen zu legen. Der kleine Günter schlief ebenfalls schon im Nebenzimmer, als es gegen 20.30 Uhr zum Streit kam.

Auslöser war ein Glas heißer Grog, das Else ihrem Gatten machen sollte. Er habe seine Frau ohrfeigen wollen, sagte Gottlieb später beim Verhör, sei aber, als er die Narbe am Hals, die noch vom Revolverschuss am Grüngürtel zeugte, von Mitleid gerührt worden. Das hielt jedoch nicht lange an. Wenige Augenblicke später nahm er eine Kordel, machte eine Schlinge, warf sie Else um den Hals und erstickte sie. Im ganzen Haus war es still geblieben. Niemand hatte etwas mitbekommen. Nur das Kind im Nebenzimmer wurde unruhig.

Polizei fand Ehefrau und Sohn in der gemeinsamen Wohnung in Ehrenfeld

Tags darauf, am Montagmorgen des 9. Mai 1932, trank er mit seiner Schwester Gertrud noch einen Kaffee in der Küche und rauchte in aller Ruhe eine Zigarette. Auf ihre Frage, wo denn seine Frau und das Kind seien, erklärte Schorsch, sie seien am vergangenen Abend im Streit fortgegangen. Gertrud verließ mittags um 12 Uhr das Haus. Und kurz darauf ging dann auch Schorsch aus der Wohnung. Gegen 14.30 Uhr kam er beim Polizeirevier, Am Weidenbach 10, an. „Jetzt sind sie alle beide kaputt!“, teilte er den schockierten Beamten mit und gestand, Ehefrau und Sohn ermordet zu haben. Einzelheiten wolle er noch nicht angeben, weil er zu sehr erschüttert sei.

Als die Kriminalpolizei seine Wohnung in Ehrenfeld aufsuchte, fand sie in seinem Schlafzimmer die 24-jährige Else und den zweieinhalbjährigen Günter. Nebeneinander lagen sie tot unter jenem Bett, auf dem Schorsch die vergangene Nacht geschlafen hatte. Von Würgemalen am Hals, die von Stricken herrühren, berichtete Medizinalrat Dr. Fritz Plempel vor Gericht und diagnostizierte, dass beide Opfer unzweifelhaft durch Ersticken zu Tode gekommen waren.

Während Schorsch vorher noch ganz präzise Angaben über seine Tat gemacht hatte, erklärte er in der Hauptverhandlung am Appellhofplatz apathisch, er könne sich an nichts mehr erinnern. Der Sachverständige, Privatdozent Dr. Schrader, versicherte allerdings, dass er keine Voraussetzungen für die Anwendung des Paragraphen 51 erkennen könne, der besagte, dass von einer Strafe abzusehen wäre, „wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war“.

Im Gerichtsgefängnis Klingelpütz hingerichtet

Spuren einer Geisteskrankheit oder einer vorübergehenden Geistesstörung seien bei Schorsch, so Dr. Schrader, nicht nachzuweisen. Auf die Frage des Verteidigers, ob der Angeklagte während der Ausführung der Tat im Besitze der Überlegung im Sinne des Strafgesetzes gewesen sei, erklärte Schrader zudem er habe nichts gefunden, was diese Überzeugung ausschließen würde.

Die Geschworenen verurteilten Gottlieb Schorsch am Mittwoch, 3. Mai 1933, nach zweitägiger Verhandlung wegen des Doppelmordes zweimal zum Tode und wegen des Mordversuchs im Grüngürtel zu 15 Jahren Zuchthaus. Der Anklagevertreter, Staatsanwaltschaftsrat Kurt Hermann Stiehl, hatte zweimal die Todesstrafe und lebenslängliches Zuchthaus beantragt. In der Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Theisen, das Gericht habe nicht die allerleisesten Bedenken gehabt, einen vorsätzlichen und überlegten Mord für erwiesen anzunehmen.

Am Freitag, 1. Dezember 1933, vormittags gegen 7.30 Uhr, wurde Gottlieb Schorsch im Gerichtsgefängnis Klingelpütz hingerichtet.

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