„Es muss noch mehr gemacht werden“Ist das Grundgesetz veraltet? Das würden Teenager ändern

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Vier 16-jährige Jungen sitzen nebeneinander und schauen auf ein aufgeschlagenes Grundgesetz.

Wenn es nach den Schülern Max (v.l.), Exauce, Yunus und Julian geht, kommt Deutschlands Verfassung nicht ohne Änderungen davon.

Zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes hat die Rundschau mit Schülerinnen und Schülern des Herder-Gymnasiums in Köln gesprochen.

Seine Antwort kommt schnell und bestimmt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, sagt Yunus. Das sei das Erste, was dem Schüler zum Grundgesetz einfällt. „Ich verbinde damit Menschenrechte“, ergänzt Exauce aus seiner Klasse. „Die sind essenziell. Wir könnten sonst gar nicht so leben, wie wir es heute tun“, betont er. Die beiden Jugendlichen sind 16 Jahre alt – und somit weit über ein halbes Jahrhundert jünger als das Grundgesetz. Wie beurteilen Menschen ihres Alters Deutschlands Verfassung? Um das herauszufinden, hat die Rundschau mit sechs Schülerinnen und Schülern des Johann-Gottfried-Herder-Gymnasiums in Köln-Buchheim gesprochen.

Eine Selbstverständlichkeit scheint es für die Teenager jedenfalls nicht zu sein: „In Ländern, die keine Verfassung wie das Grundgesetz haben, gibt es oft Krieg und die Menschen leiden“, erklärt Yunus. Wenn man nach Deutschland blickt, gebe es zwar in manchen Teilen Armut, aber eigentlich gehe es den Bürgern gut. Für die16-jährige Jule bedeutet das Grundgesetz nichts Geringeres als „in Frieden, Freiheit, Respekt und Sicherheit zu leben.“

Ich würde für Deutschland in den Krieg ziehen, weil ich mein Land so weit wie es geht unterstützen und schützen möchte.
Loreya (16), Schülerin

Doch was, wenn all das von außen bedroht ist? Das Grundgesetz setzt die rechtliche Möglichkeit einer Wehrpflicht fest. Und die soll auf die eine oder andere Art wieder eingeführt werden, wenn es nach Verteidigungsminister Boris Pistorius geht. Für Deutschland in den Krieg ziehen? Nachdenkliches Schweigen. Dann fasst sich der 16-jährige Max ein Herz: „Wenn Deutschland direkt bedroht wird, in einer Situation wie einem Weltkrieg, dann vielleicht ja. Ich finde, Demokratie und Freiheit ist sehr wichtig. Wenn das also bedroht wird, weil das Land untergehen könnte, dann eventuell schon.“

Geteilte Meinungen zur Wehpflicht

Seine Mitschülerin Loreya (16) ist sich hingegen ganz sicher. „Ich würde für Deutschland in den Krieg ziehen, weil ich mein Land so weit wie es geht unterstützen und schützen möchte.“ Bisher sieht das Grundgesetz die mögliche Wehrpflicht nur für Männer vor. Passt das noch zur heutigen Gesellschaft? Nein, findet auch Loreyas Mitschülerin Jule. Gleiche Rechte bedeuten für die 16-Jährige auch gleiche Pflichten. „Wenn wir von Gleichberechtigung sprechen, sollte es für alle Bereiche gelten. Auch bei der Wehrpflicht“, erklärt sie. Und dass Männer und Frauen gleiche Rechte haben, stehe schließlich auch im Grundgesetz, gibt Loreya zu bedenken.

Die 16-Jährige ist für eine Wehrpflicht. Der Rest der Gruppe ist eher dagegen. Die Idee einer Art Zivildienst, der einige Monate dauert, lehnt Julian (15) aber nicht ab. „Einfach mal dem Land, in dem man aufgewachsen ist, etwas zurückgeben“, erklärt er. Jule kann sich ein soziales Jahr vorstellen. Nach dem Abitur sei das nicht nur ein Schritt aus der Komfortzone, sondern auch Unterstützung für Berufsgruppen, die mit Personalmangel kämpfen. Das sieht Exauce anders: „Oftmals hat man nach dem Abitur schon Träume oder Pläne. Da kann ein Pflichtjahr viel zerstören. Und von Personen, die ihren Job lustlos machen, hat auch keiner was.“

Ist das Grundgesetz fit für die digitale Welt?

Doch die Teenager machen sich nicht nur über eine mögliche Wehrpflicht Gedanken. Das Internet ist genauso ein Teil ihres Universums, der ganz eigene Herausforderungen mit sich bringt. Nachdem das Grundgesetz in Kraft trat, dauerte es noch rund 40 Jahre, bis das Internet so, wie wir es kennen, die ersten Entwicklungsschritte machte. Die Generation der Schülergruppe wurde eingeschult, als es seit langem die ersten Smartphones gab und die meisten Jugendlichen schon von Facebook nach Instagram emigrierten. Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Hoheit über die eigenen Daten sieht das Grundgesetz vor. Aber ist das genug?

Julian fühlt sich im Internet zwar sicher, bei seinen Daten sieht das aber anders aus. „Ich weiß, dass meine Daten eigentlich nicht sicher sind, sobald ich irgendetwas anklicke“, sagt er gelassen. „Aber das geht schon klar“. Dass Websites sich ihre Daten zunutze machen, scheint für den Teenager zu sein wie ein Naturgesetz. Viel mehr als der Datenschutz beschäftigen einige der Teenager Beleidigungen oder Hetze im Netz, auch Hatespeech genannt.

Die Betreiber der Plattformen bei der Bekämpfung von Hass im Netz gesetzlich mehr einzuspannen, lehnt Max ab. „Ich finde, die Firmen sollten das selbst entscheiden können.“ Exauce befürchtet, die Meinungsfreiheit in sozialen Medien könnte durch weitere Regeln oder Gesetze zu stark eingeschränkt werden. Seine Mitschüler stimmen ihm zu, Loreya und Jule sehen das jedoch anders. Loreya hält es für eine gute Idee, Online-Hass zum Thema im Grundgesetz zu machen, denn Mobbing und Hate-Kommentare würden ein immer größeres Ausmaß annehmen. „Appellieren und hoffen, dass niemand böse ist, hilft nicht, wie man sieht“, findet auch Jule.

Trotz aller Gefahren: Zugang zur digitalen Welt ist schon heute essenziell, um normal an der Gesellschaft teilhaben zu können. So essenziell, dass das Recht auf digitale Bildung Teil der Grundrechte werden sollte. Da sind fast alle einer Meinung. Zu dieser Art der Bildung gehören für die Schülerinnen und Schüler nicht nur Verhaltensregeln im Internet, sondern der Umgang mit Programmen und Technik. „Schüler sollten vielleicht ab der vierten oder fünften Klasse schon darüber aufgeklärt werden, wie sie sich im Internet zu verhalten haben und wie das funktioniert“, sagt Max.

Kölner Jugendliche sind sich einig: „Es muss noch mehr gemacht werden“

Yunus fühlt sich an die Pandemie erinnert. Für ihn gehört zu dem Recht auf digitale Bildung auch der Zugang zu einem internetfähigen Gerät wie einem Tablet. „Ohne diese Technik konnte man vor ein paar Jahren ja gar nicht am Unterricht teilnehmen“, merkt er an. „Vielleicht sollte man zukünftig in der Schule ein iPad bekommen, das man auch mit nach Hause nehmen kann. Das wäre vor allem für Familien, die kein Geld für elektronische Geräte haben, eine gute Lösung.“

Es muss noch mehr gemacht werden. Klimaschutz ist in diesen Zeiten ein sehr ernstes Thema.
Exauce (16), Schüler

Neben der digitalen Welt macht einigen der Teenager aber auch die Natur Sorgen. 1994 fand der Umweltschutz seinen Weg in die Verfassung. Sollte auch der Klimaschutz oder sogar Klimaziele explizit im Grundgesetz festgeschrieben sein, um die Politik dazu zu bringen, aktiver zu werden? Max hat Zweifel, er will einen zu großen Eingriff in den Alltag der Deutschen vermeiden. „Ich finde Klimaschutz wichtig. Aber er sollte nicht so weit gehen, dass die Lebensqualität von Menschen eingeschränkt wird.“

Einig ist sich die Gruppe bei diesem Punkt aber nicht: „Es muss noch mehr gemacht werden. Klimaschutz ist in diesen Zeiten ein sehr ernstes Thema. Viele Menschen glauben einfach, dass sich von allein etwas tut“, betont Exauce. „Aber jeder Mensch muss anfangen, damit sich etwas ändert. Deswegen gehört da auch einfach mehr ins Grundgesetz.“

Die Teenager wachsen in einer Welt auf, die in vielen Belangen anders ist als die, die 1949 das Grundgesetz hervorgebracht hat. So viel ist nach dem Gespräch klar. Einige Änderungen sind für die Jugendlichen deshalb   fällig. Schlecht gealtert ist das Grundgesetz trotzdem nicht, findet Yunus. Und das liege vor allem an den grundlegenden Werten, die es vertritt. Denn egal, wie viel Zeit vergeht: „Die Rechte der Menschen ändern sich ja nicht einfach so.“

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