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Interview mit Carsten SommerDas ist der Kölner, der Hein Blöd Leben eingehaucht hat

Lesezeit 6 Minuten
Mit viel Liebe zum Detail: Carsten Sommer bei der Arbeit in seinem Atelier.

Mit viel Liebe zum Detail: Carsten Sommer bei der Arbeit in seinem Atelier.

Filmausstatter Carsten Sommer entwirft Puppen für TV-Produktionen - die Figur des Hein Blöd stammt von ihm

Kleine Dioramen, seltsame, halbfertige Figuren und gespülte Joghurtbecher zum Anrühren von Silikon: Carsten Sommers Werkstatt an der Lindenstraße wirkt so fantasievoll wie die Welten, für die seine Puppen entworfen werden.

Sie kommen gerade von einem Filmdreh. Worum ging es?

Spannende Sache! Ratpack aus München produziert eine Miniserie für Netflix mit dem Arbeitstitel „Kassandra“, die im kommenden Jahr erscheint. Von April bis Juli habe ich mit meinem Team dafür Tag und Nacht an zwei lebensgroßen Service-Robotern gearbeitet.

Sie arbeiten mit nicht ganz ungefährlichen Stoffen.

Epoxyd, Polyurethan, Ammoniak, Lösungsmittel ... Auf jedem dritten meiner Gefäße klebt ein Totenkopf.

Schlimme Unfälle gehabt?

Beim Arbeiten nicht. Ich trage ja auch eine Maske, nicht zuletzt, weil ich eine 12-jährige Tochter habe.

Früher steckte in Puppen Sägemehl.

Meine sind eher aus Latexschaum, manchmal auch aus Schaumgummi. Bis auf Strom und Haare mache ich dabei alles selbst.

Wie waren Sie im schulischen Bastelunterricht?

Sehr gut, es war immer klar, wo es mit mir hingeht. Ich habe schon mit Zehn angefangen, an aufwendigen Modellen zu basteln. Drei Meter große Raketen und sowas. Das ging über Basteln schnell hinaus.

Wie fanden das Ihre Klassenkameraden?

Denen war klar, dass ich eine Meise habe. Aber ich war nicht sozial isoliert. (lacht)

Sie haben sogar früh Geld verdient mit Ihren Modellen.

Ich habe kleine Dioramen als Guckkästen gebaut − irgendwas mit Drachen oder Weltraumszenen. Und in der Nachbarschaft habe ich fürs Reinsehen 50 Pfennig genommen.

Ein Groschen hätte vielleicht auch gereicht.

Nee, da war ich frech. (lacht)

Wie umfangreich war Ihre Dinosauriersammlung?

Ich hatte an die 200 Skulpturen, mein Zimmer war ein Museum. Meine kleine Schwester habe ich gezwungen, die lateinischen Namen auswendig zu lernen.

Hatte sie Talent?

Ja, auch wenn sie die Wörter dann schnell wieder vergessen hat. Den Unterricht nimmt sie mir bis heute übel.

Sie interessieren sich für Prähistorie und Antike. In welcher Hinsicht?

Ich lebe im Jetzt und bin kein Eskapist. Aber ich interessiere mich für geschichtliche Zusammenhänge. Wir denken normalerweise viel zu eng und bräuchten größere Bögen, um das Leben zu verstehen. Außerdem hat alles Vergangene für mich eine Aura des Entrückten, Fantastischen. Ein Auto von heute juckt mich nicht, eines aus dem 19. Jahrhundert sehr wohl. Dasselbe gilt für die ferne Zukunft.

Hatten Griechen und Römer die besseren Skulpturen?

Finde ich nicht. Die orientierten sich am herrschenden Schönheitsideal, die Kunst ist heute vielseitiger.

Was ist spannend am Hässlichen und Grotesken?

Ich mag es, aber es muss gut gemacht sein. Es gibt zum Beispiel tolle Make-up-Designs in Horrorfilmen. In den 80ern mochte ich den Make-up-Guru Rick Baker.

Friedrich Merz geht super, das ist so ein Graf Zahl mit eckigen Zähnen und tiefen Schatten unter den Augen.
Carsten Sommer

Die besten Zombie-Filme waren die, in denen man sah, dass das Blut mit Lippenstift aufgemalt war.

(lacht) Das waren die italienischen, ja.

Statt Zombiemasken haben Sie zeitweise Politikerköpfe modelliert, etwa Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder.

Mit 20 bin ich zur „Hurra Deutschland“-Produktion gestoßen, die Politsatire-Show des WDR. So bin ich auch nach Köln gekommen.

Worin besteht die Schwierigkeit beim Nachahmen echter Gesichter?

Karikaturen verlangen nach der Essenz einer Physiognomie. Die muss man verstärken, nehmen Sie den Ex-SPD-Chef Jochen Vogel: Sein Gesicht ähnelte tatsächlich einem Vogel, die Frisur habe ich ins Wiedehopf-mäßige überzogen.

Wer würde sich heute eignen für eine Ihrer dreidimensionale Karikaturen?

Scholz wäre schwer: eine Murmel mit Nase. Friedrich Merz geht super, das ist so ein Graf Zahl mit eckigen Zähnen und tiefen Schatten unter den Augen.

Carsten Sommer: Hein-Blöd-Puppe ist von ihm

Wie stellen Sie sich ein Marsmännchen vor?

Es muss keine Ähnlichkeit mit uns haben. Vielleicht handelt es sich um gewürfelte Anatomie, die sich unter völlig anderen physikalischen Bedingungen entwickelt hat.

Aber es gibt Leben im All?

Das ist statistisch wahrscheinlich, aber wohl sehr weit entfernt. Bis wir darauf stoßen, ist unser oder deren Planet vielleicht schon ausgelöscht.

Wenn diese Wesen dann nichts als Ihre Puppen auf Erden vorfinden: Was werden sie denken?

(lacht) Die würden sich wundern.

Hätten Sie statt H.R. Giger gern die Aliens gestaltet?

Ein Freund von mir hat für Giger gearbeitet. Mein Giger heißt Walter Moers, mit dem ich seit über dreißig Jahren zusammenarbeite.

Die Figur des Käpt´n Blaubär, wie wir sie kennen, stammt von Ihnen?

Käpt´n Blaubär entstand nach Walters Vorlage. Hein Blöd aber bestand damals, vor dreißig Jahren, nur aus drei Strichen. Den habe ich dann als Puppe ausgestaltet − vielleicht mein bedeutendstes Werk! (lacht) Viele von Walters Büchern wurden verfilmt, und ich habe die Ensembles um rund vierzig Puppen aufgepumpt.

Nach Moers´ Entwürfen?

Das ist manchmal ein Ping-Pong-Spiel. Den Hildegunst von Mythenmetz etwa, ein Lindwurm aus dem Zamonien-Kosmos, habe ich ganz neu definiert. Aber was seinen eigenen Figurenkosmos betrifft, ist das allermeiste natürlich Walters Design.

Der ist nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber eben ein sehr wichtiger Gegenpart und Stichwortgeber.
Carsten Sommer über Hein Blöd

Was ist das Erfolgsrezept von Käpt´n Blaubär?

Dass die Komik für Kinder und Erwachsene funktioniert. Es existiert immer ein vordergründiger Humor für die Kleinen, aber auch eine zweite Ebene für die Eltern.

Ist Hein Blöd blöd?

Ich fürchte, ja. (lacht) Der ist nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber eben ein sehr wichtiger Gegenpart und Stichwortgeber.

Ist Walter Moers lustig?

Auf jeden Fall! Er fing ja mit U-Comics an, und denken Sie an Figuren wie das Kleine Arschloch und den Alten Sack. Wir haben einen ähnlichen Humor, und wie in einer alten Ehe schreien wir uns auch einmal im Jahr an.

Stichwort Merchandising: Allein die von Ihnen entworfene Käpt´n Blaubär-Spardose hat sich über drei Millionen Mal verkauft. Was landete davon bei Ihnen?

War okay, aber reich bin ich damit nicht geworden. Die Dose sehe ich bis heute an den unmöglichsten Orten − nicht nur in Kinderzimmern, sondern auch bei Schlachtern und in Bestattungshäusern.

„Von unserer Art gibt es nicht mehr allzu viele“, sagen Sie.

Ich arbeite fast ausschließlich analog und manuell. Beim derzeitigen Roboterprojekt setzen wir auch mal 3D-Drucker ein, wenn es nicht anders geht.

In Zukunft werden Computeranimationen Ihren Berufszweig abbrechen?

So wird es wohl kommen, auch wenn es kleine Revival gibt. Regisseure wie Wes Anderson etwa arbeiten lieber mit handgemachten Miniaturen als Computerwelten. Damit das Wissen und die Handfertigkeiten nicht verloren gehen, unterrichte ich auch an der Kölner Ecosign Akademie für Gestaltung.

Das Charmante an manuell gefertigten Objekten sind die kleinen Fehler, die trotz aller Perfektion bleiben.
Carsten Sommer

Was ist an Originalen schöner als an Animationen?

Viele Animationen scheinen aus der immer gleichen Suppe zu kommen. Das Charmante an manuell gefertigten Objekten sind die kleinen Fehler, die trotz aller Perfektion bleiben − Werkspuren. Licht reflektiert auch anders auf echten Objekten.

Feiert man in Ihrer Heimatstadt Kamp-Lintfort Karneval?

Ja, ein bisschen. Als Kind habe ich mich auch verkleidet. Ägypter, Zombie, Astronaut: Das waren immer Kostüme zu Themen, die mich beschäftigten.

Wer in Köln von Puppen spricht, landet schnell beim Karneval. Könnten Sie nach dem Sieg der Computeranimation Karnevalswagen gestalten?

Sicher. Aber das wäre nichts für mich, ich bin kein Karnevalstyp. Ich wohne nur rund hundert Meter von der Zülpicher Straße entfernt. Wenn es hier losgeht, verbarrikadiere ich mich in der Wohnung. (lacht)

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