Interview mit „Senftöpfchen“-Chefin„Meine Seele ist halb bayrisch, halb kölsch“

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Alexandra Franziska Kassen in ihrem geliebten Senftöpfchen

„Künstler weiten den Geist“: Alexandra Franziska Kassen leitet die Kölner Kabarett-Institution „Senftöpfchen“.

Alexandra Franziska Kassen hat 2011 das Kölner „Senftöpfchen“ von ihren Eltern übernommen. Mit Bernd Imgrund sprach sie über Literatur, Kabarett und Comedy sowie ihre bayerische Herkunft

Das Senftöpfchen ist leer an diesem Morgen. Auf einem der kleinen Bistrotische stehen Kaffee und Wasser. Alexandra Franziska Kassen kommt verspätet, hat dafür aber leckere Kekse mitgebracht.

Sie haben Germanistik studiert. Welche Autoren gefallen Ihnen?

Meine „Götter“ sind Rilke und Ringelnatz. Rilke lesen ist für mich eine echte Lebenshilfe, denken Sie an die „Briefe an einen jungen Dichter“. Darin geht es um eine Lebensphase des Zweifelns, des Suchens. Da heißt es etwa: „Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich (...) in die Antwort hinein.“ Grandios!

Und Ringelnatz?

Ist einfach köstlich. Er, Tucholsky und Morgenstern stehen für mich auf einem Podest.

Wenn Sie hier Dramen inszenieren würden: von Goethe oder Schiller?

Schiller finde ich toll, aber sehr ernst und schwer. Goethe hingegen schreibt mit einem Augenzwinkern, das ist witzig. Außerdem war Goethe ein „Lebemann“ – von der feinen Sorte.

Was ist Ihre erste Erinnerung an das 1959 eröffnete Theater Ihrer Eltern?

Ich fuhr gern mit dem Dreirad vom Flur zur Bühne. Aber mein liebster Ort war die Küche, wo „Bertchen“, unsere Kaltmamsell Berta regierte. Sie hat für mich Püppchen aus Handtüchern geknotet.

Stand in der Küche ein Senftöpfchen?

Ja, im alten Haus an der Pipinstraße gab es leckeres, gehobenes Essen. Ich habe noch eine der Tassen, in denen Schildkrötensuppe serviert wurde, das darf man heute gar nicht mehr erzählen. Hier in der Altstadt fehlen uns leider die Räumlichkeiten, Speisen zu servieren.

Gab es Ausbruchsversuche, bevor Sie 1990 beim Senftöpfchen einstiegen?

Vermeidungsversuche! Ich habe erst Latein, dann Germanistik und Romanistik studiert. Eine Zeitlang wollte ich Buchhändlerin oder Lehrerin werden, Latein war schon auf der Schule mein Lieblingsfach.


Zur Person

Alexandra Franziska Kassen wurde 1956 geboren und wuchs in Bayern auf. Mit neun Jahren kam sie nach Rösrath. Sie studierte einige Semester Germanistik und Romanistik und machte bei der Zeitung „Welt“ in Bonn eine Ausbildung zur Archivarin. Bereits 1959 hatten ihre Eltern Fred und Alexandra Kassen das Kölner Kabarett-Theater Senftöpfchen gegründet, das zunächst an der Pipinstraße lag, aber seit 1986 an der Großen Neugasse in der Altstadt residiert. Hier traten und treten unter anderen Größen wie Hans-Dieter Hüsch, Alfred Biolek, Gerhard Polt, Lisa Fitz und Lisa Eckhart auf. Auch kölsche Lokalmatadore wie Jürgen Becker, die Bläck Fööss oder die Höhner stehen immer wieder auf der Bühne. Alexandra Franziska Kassen stieg 1990 mit ein in den Familienbetrieb, übernahm 2011 von ihrer Mutter die Leitung des Theaters und führt es bis heute. Sie wohnt in Bonn-Hardtberg. www.senftoepfchen-theater.de


Das Studium haben Sie nicht beendet.

Weil meine Mutter sagte: Wenn du jetzt nicht ins Theater kommst, muss ich es abgeben. Mein Weg war verschlungen, es gab eine Zeit der Irrungen und Wirrungen. Ich bin keine gute Planerin, aber ich bin eine Finderin!

Sie tragen den Vornamen Ihrer Mutter. Warum haben Sie Ihre Tochter nicht auch Alexandra getauft?

Um Gottes Willen! Ich habe selbst genug gelitten unter dieser Namensgleichheit.

„Alexandra Franziska“: Wie werden Sie von Freunden und Verwandten genannt?

Ich habe meine ersten neun Jahre in Bayern verbracht. Dort wurde ich Xandi gerufen. Ansonsten bin ich die Alexandra/Alex oder Franziska/Fränzi. Ganz nach dem nach Zusammenhang.

Welches Verhältnis haben Sie zu exzentrischen Damenhütchen?

Finde ich ganz toll, nur nicht auf meinem Kopf. Zu meiner Mutter und ihren Hütchen haben wir eine kleine Ausstellung gemacht, die hängen zum Teil noch im Theater-Foyer.

Was lernt man von den Künstlern, die über die Jahrzehnte hier auftraten?

Vor allem weiten sie den Geist. Ein guter Abend hier eröffnet neue Blickwinkel auf vermeintlich Altbekanntes.

Erklären Sie mal einem Außerirdischen, was Kleinkunst ist.

Boah. Das müsste man eigentlich gestisch vermitteln.

Ist in der Zeitung schlecht.

(lacht) Kleinkunst ist das Gegenteil der hehren Kunst in Stadttheatern und Opern. Sie ist etwas für den Alltag und sehr vielfältig: Bei uns wird musiziert, gesungen und gesprochen. Und die Gäste sitzen an kleinen Tischen und können etwas trinken während der Vorführung. Außerdem würde ich dem Mars-Männchen sagen, dass es an diesem geschützten Ort gerne verweilen darf.

Existieren noch Unterschiede zwischen Kabarett und Comedy?

Natürlich! Es gibt sehr gute Comedy, und die Grenzen sind fließend. Aber Kabarett hat mehr Geist, mehr Tiefgang, und es vermittelt eine Botschaft. Werner Schneyder und Dieter Hildebrandt sind leider tot, aber es wachsen junge Kabarett-Talente nach. Mit unserem Förderverein will ich auch junge Künstler fördern, das ist mein Anspruch. Aber gerade am Anfang einer Karriere ist es sehr schwierig, selbst ein traditionsreiches Haus wie unseres voll zu bekommen.

Sie veranstalten im Senftöpfchen auch kölsche Abende. Ist das eine Traditionslinie Ihrer Eltern?

Überhaupt nicht. Mein Vater fühlte sich als Berliner. 1903 geboren, hat er die wilden 1920er und ´30er dort erlebt, er war ja auch bei den Comedian Harmonists. Und meine Mutter stammt aus Bayern. Nach Köln wechselten sie nur, weil ein Freund ihnen dort ein Lokal offerierte, das man zum Theater umbauen konnte. Erst nach dem Tod meines Vaters spielten Mitte der 1970er zum ersten Mal die Bläck Fööss bei uns. Seither ist das Senftöpfchen-Theater Wohnzimmerbühne der kölschen Kult-Bands.

Können Sie Kölsch?

Natürlisch kann isch dat. Aber ich liebe auch das Bayrisch meiner Kindheit.

Gerhard Polt oder Jürgen Becker?

Unmöglich zu entscheiden für mich. Meine Seele ist halb bayrisch, halb kölsch. Aber ich bin froh, im Rheinland zu leben, nach Bayern kriegten mich auf Dauer keine zehn Pferde. Hier weht einfach ein offenerer Geist: Drink doch eine met!

Wann gehen Sie abends ins Bett?

Zwischen 3 und 4 Uhr nachts. Und zwischen 8 und 9 stehe ich wieder auf, um dann von meiner Wohnung in Bonn nach Köln ins Theater zu fahren. Termine vor 12 mache ich nur mit meinem Steuerberater. (lacht)

Ohne Förderverein gäbe es kein Senftöpfchen, sagen Sie. Warum?

Dank der finanziellen Unterstützung der Mitglieder können wir weiter neue Talente fördern und die spielfreie Zeit im Sommer überstehen. Wenn ich jeden Abend hundert Gäste hätte, bei maximal 180 Plätzen, ginge es uns gut. Konrad Beikircher zum Beispiel hat hier früher wochenlang vor ausverkauftem Haus gespielt. Aber diese Zeiten sind vorbei. Thomas Freitag sagte einmal zu mir: Es gibt eben nur einen Kuchen, den sich immer mehr Leute teilen.

Kommen ins klassische Kabarett nur noch Ü70-Bildungsbürger?

Wir arbeiten erfolgreich auf ein Mehrgenerationentheater hin. Zuletzt hatten wir die Kölnerin Tina Teubner hier, da war die Hütte voll und das Publikum sehr altersgemischt. Auch Jürgen Becker und Wilfried Schmickler ziehen zunehmend ein jüngeres Publikum an. Schließlich wollen wir nicht die Asche anbeten, sondern die Flamme weitertragen, wie es so schön heißt.

Das Senftöpfchen residiert in der Altstadt. Wie beurteilen Sie deren Entwicklung über die letzten Jahrzehnte?

Tränenreich! Wo soll ich anfangen? Die Atmosphäre hier ist leider ballermann-touristisch geworden. Der Umgang miteinander ist häufig sehr unfreundlich, die Gassen sind laut und dreckig, überall wird gegen die Wände uriniert. Das Schlimmste sind sicherlich die Junggesellenabschiede, das ist häufig komplett drüber. Ich bin Mitglied im Bürgerverein Altstadt, der Konzepte entwickelt, um die Lebensqualität wieder zu erhöhen. Aber die Stadt muss da natürlich mitziehen.

Umziehen würden Sie mit dem Theater aber nicht?

Ich bin immer noch gern hier im Windschatten des Doms, das ist ein besonderer, spiritueller Ort. Der Dom beschützt uns, so empfinde ich das.

Wie scharf sollte der Senf im Senftöpfchen sein?

Er sollte eine schöne Schärfe haben, aber nicht in den Augen brennen, jedoch sind Lachtränen erlaubt. Ich bin sehr für kritisches Kabarett, die Künstler dürfen recht viel bei mir auf der Bühne. Unsere Abende sollen interessant sein und die Gäste aus der Reserve locken. Schärfe, das heißt für mich immer auch: intellektuelle Schärfe.

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