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„Am Ende des Monats nichts mehr zu essen“So wird den Ärmsten in Köln geholfen

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Geduldig stehen die Bedürftigen an, um eine Tüte mit Lebensmitteln oder Kleidungsstücke zu bekommen.

Köln – Unter den geschwungenen Goldlettern von Café Reichard stehen sie. Manche stützen sich auf eine Gehhilfe oder ihren Trolley, viele warten seit Stunden in der Kälte. Anderen sieht man an der Kleidung an, dass sie auf der Straße leben müssen. Meter für Meter rücken sie vor. „Wenn das Café auf ist, dürfen wir hier nicht stehen“, sagt Jutta Schulte, die mit ihrem Team an der Domplatte Kleidung und Lebensmittel an obdachlose und bedürftige Menschen verteilt. Fast 200 sind gekommen.

Auch Andreas (51) steht an für warme Kleidung. Er lebt seit eineinhalb Jahren in einer Notunterkunft, teilt sich sein Zimmer mit zwei Männern. Für seinen kleinen Elektro-Reparaturbetrieb hat er nach einer Lebenskrise Insolvenz anmelden müssen, verlor seine Wohnung. Man sieht ihm sein Schicksal nicht an, er achtet auf sich. „Das ist nicht immer leicht, ganz ohne privaten Bereich“, sagt er. Und hofft auf die Vermittlung einer Wohnung, um den beruflichen Wiedereinstieg zu versuchen – „Hauptsache Arbeit, egal was“.

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Kraftanstrengung: Jutta Schulte muss bei der Kleiderausgabe auf Abstand achten.

Arbeiten, das würde auch Maria sehr gerne wieder. Sie ist Landschaftsgärtnerin und liebt ihren Beruf. „Ich bin 57 Jahre, ich suche, aber für mich gibt es nichts mehr.“ Seit 10.30 Uhr steht sie in der Schlange am Domforum. Sie kommt alle zwei Wochen. Seit sieben Jahren. „Juttas Suppenküche“ ist einer ihre Anlaufpunkte, auch am Breslauer Platz steht sie regelmäßig für ein warmes Essen an. „Ich lebe von Hartz IV und muss Schulden zurückzahlen. Ab Mitte des Monats hab’ ich kein Geld mehr“, sagt sie. Wenn sie alle Essensausgaben nutze, komme sie gerade so hin. Das geht auch den vielen Rentnerinnen und einigen Rentnern so, die zu den Stammbesuchern zählen. Wie Barbara (66) und Anneliese (73). „Essen, Hygieneartikel, Fahrkarte, Zuzahlungen für Medikamente, Handy-Kosten, dafür reichen unsere kleinen Renten einfach nicht“, sagen sie unisono. 30 Jahre als Melkerin in der Ex-DDR, sechs Jahre als Putzfrau und diverse Nebenjobs – trotzdem bleiben Barbara nur 425 Euro zum Leben. Die 79-Jährige Edelgard wartet neben ihnen. Alle drei Frauen haben warme Winterjacken an – „aus der Kleiderkammer“.

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Bedrückend:   Viele der bedürftigen Menschen  sind schon im Rentenalter. Die meisten kommen seit Jahren.

Viele der Wartenden kennen sich, sprechen miteinander. Menschen aus Osteuropa stehen zusammen, Rentnerinnen, alle haben Plastiktüten dabei. Zuerst kommen die Obdachlosen dran, dann die Schwerbehinderten, dann die Bedürftigen. Das wissen auf der Domplatte alle, sortieren sich schon, bevor Jutta Schulte, Helmut Brügelmann und die Helfer mit der Ausgabe der durch Spenden finanzierten Lebensmittel beginnen. Suppe gibt es keine, wegen Corona. „Ein Drittel unserer Leute kommen aus Osteuropa, oft haben sie auf Baustellen gearbeitet, für wenig Geld. Ein Drittel sind Obdachlose“, sagt Schulte. Vor 25 Jahren entschloss sie sich spontan, an Weihnachten eine Suppe auszugeben. „Aufhören ging nicht mehr.“ Sie gründete den Verein „Juttas Suppenküche“, fährt bis heute jeden zweiten Freitag aus der Eifel an den Dom.

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Geduldig stehen die Bedürftigen an, um eine Tüte mit Lebensmitteln oder Kleidungsstücke zu bekommen.

Lisa (55) kommt schon viele Jahre her, sie lebt in einem Mehrbettzimmer: „Wenn man labil ist, kommt man nicht damit klar, und dann geht es immer weiter abwärts.“ Auch deshalb tue es gut, dass sich Menschen engagieren. „Jutta und Helmut, die sind Vorbilder für unsere Gesellschaft. Sie helfen mit großer Empathie und Respekt vor den Schicksalen derjenigen, die zu ihnen kommen.“

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Wie Monika, die mit 28 Jahren an Krebs erkrankte. Der Krebs kam zweimal wieder, dann eine psychische Beeinträchtigung. Mit 37 Jahren war sie erwerbsunfähig. Zum Leben hat sie rund 1000 Euro. „Ohne die gespendeten Lebensmittel hätte ich am Monatsende nichts mehr zu essen“, sagt die 66-Jährige. Das geht auch Mäxi (22) so. Sie lebte mit ihrem Partner in einem Zelt. Jetzt hat sie ein Zimmer in einer Jugendherberge, dank der Initiative Helping Hands. „Wir sind einfach nur glücklich“, sagt Mäxi. „Und wir wollen auf keinen Fall zurück ins Zelt.“ In der Jugendherberge bekommt sie Hilfe durch eine Sozialarbeiterin. Sie steht zum dritten Mal an, jetzt für Tierfutter, und fröstelt.

Die ebenfalls verfrorenen Helfer packen die übrig gebliebenen Kleidungsstücke in Tüten, räumen den Platz. Das Emblem von Café Reichard funkelt im trüben Winterlicht.