Nach erster Corona-WelleKölner Pflegekräfte stehen weiter unter großem Druck

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Trägt viel Verantwortung bei engen Zeitvorgaben: Krankenschwester Claudia Lenden.

  • Zu wenig Fachpersonal, viel zu wenig Zeit für die Patienten, zu geringe Bezahlung und extreme Anforderungen belasten Pflegende schon länger.
  • Doch auch jetzt, nach der Bewältigung der ersten Welle, ist überdurchschnittlich viel zu tun.
  • Die Zahl der Pflegekräfte sank und ist seit 15 Jahren auf dem gleichen niedrigen Stand geblieben.

Köln – Als Helden und Engel wurden sie über Wochen beklatscht. Mit großem persönlichen Einsatz haben sie infizierte Menschen gepflegt, anfangs sogar ohne Schutzkleidung. Doch nach Bewältigung der ersten Corona-Welle sind die Pflegekräfte in Krankenhäusern und der Altenpflege weiter massiv gefordert – und stehen wieder alleine da.

Zu wenig Fachpersonal, viel zu wenig Zeit für die Patienten, zu geringe Bezahlung und extreme Anforderungen an die persönliche Flexibilität belasten Pflegende schon seit langem. Dennoch haben die Pflegekräfte auf die Corona-Krise beeindruckend geschlossen reagiert: Urlaube wurden verschoben, Überstunden geleistet, viele kamen freiwillig in die Pflege zurück.

So auch Claudia Lenden. Wegen ihrer Erfahrung als Intensivschwester arbeitete sie auf einer Covid-19-Station des Porzer Krankenhauses. „Anfangs wusste man nur wenig darüber, wie sich das Virus ausbreitet“, erinnert sich die 56-Jährige. „Aber mir war klar, wenn ich krank werde, wird das kein Spaziergang.“ Die Arbeit in kompletter Schutzkleidung war extrem anstrengend.

Überdurchschnittlich viel zu tun

„Abends konnte ich nur noch trinken und schlafen, zum Essen war ich einfach zu erschöpft“, erinnert sie sich. Um ihre Tochter und ihre Enkelkinder nicht zu gefährden, habe sie diese wochenlang nicht gesehen. „Es gab keinen Ausgleich mehr, nichts, wo man auftanken konnte.“

Doch auch jetzt, nach der Bewältigung der ersten Welle, ist überdurchschnittlich viel zu tun. Stationen müssen in ihren ursprünglichen Zustand zurückgebaut, aufgeschobene Operationen durchgeführt werden. Gleichzeitig werden abgesagte Urlaube nachgeholt und die massiv angehäuften Überstunden zumindest teilweise abgebaut. Gearbeitet wird oftmals weiter in knapper Besetzung.

Zahl der Pflegekräfte zu gering

„Im Normalfall können wir die Versorgung noch gerade leisten, aber schon bei einer Grippewelle arbeiten wir in Unterbesetzung oder müssen Überstunden machen. Und in Porz ist die Situation eigentlich gut“, schildert Lenden ein Problem, das alle Krankenhäuser betrifft. Denn durch das System der Fallpauschalen wurden die Ärztekontingente aufgestockt, damit der Krankenhausbetrieb wirtschaftlich funktioniert.

Die Zahl der Pflegekräfte sank und ist seit 15 Jahren auf dem gleichen niedrigen Stand geblieben. Seit 2019 ist die Pflege aus diesem System wieder ausgegliedert. Jetzt könnte mehr Personal eingestellt werden, doch bis die dringend nötigen zusätzlichen Pflegekräfte zur Verfügung stehen, vergehen noch Jahre (s. Interview).

Michael Isford, Professor für Pflegewissenschaft, Kath. Hochschule NRW

Fachkräfte ausbilden

Pflegende klagen seit langem über Stress und Überlastung. Was sind die Folgen?

Es passieren mehr Fehler, Pflegekräfte können das, was sie gelernt haben, nicht mehr umsetzen und ihre Arbeitsplatzzufriedenheit ist sehr gesunken. Auch sind die Krankheitszeiten in Pflegeberufen seit langem überproportional groß; hinzu kommt ein starker Anstieg psychischer Erkrankungen. Die Chance, eine Pflegetätigkeit bis zum 67. Lebensjahr auszuüben, sind derzeit sehr gering.

Warum dauert es so lange, bis zusätzliche Fachkräfte verfügbar sein werden?

Wir müssen deutlich mehr Ausbildungsplätze schaffen. Als Voraussetzung dafür werden in NRW jetzt die Ausbildungsmöglichkeiten zum Pflegelehrer verdoppelt – nach vier Jahren Diskussion. Und wir arbeiten daran, den Pflegeberuf zu einem attraktiven Arbeitsfeld zu machen; ein Weg ist, ihn für akademisches Personal zu öffnen.

Was ist kurzfristig möglich?

Gebraucht wird qualifiziertes Personal, nicht nur Hände. Das geht nur mittelfristig. Schnell helfen könnte die Wiedereinsetzung der Personaluntergrenzen: Fehlt Personal, müssen Betten frei bleiben. Und natürlich eine Tariferhöhung.

Ambulant Pflegende fordern regelmäßige Tests...

Das unterstützen wir voll und ganz: Pflegende müssen sich jederzeit ohne Diskussion kostenlos testen lassen können, um sich zu vergewissern, ob sie ein Risiko darstellen.

Interview: Gabi Bossler

Eine Folge der dauerhaften Belastung: Psychische Erkrankungen treten in Pflegeberufen fast doppelt so häufig auf wie im Schnitt der anderen von der BKK erfassten Berufe. „Wer in die Pflege geht, weiß, dass er damit nicht reich wird. Man tut das, weil man die Arbeit als sinnvoll erlebt“, sagt Lenden. „Aber wenn die Arbeitsbedingungen so sind, dass man jeden Abend das Gefühl hat, den Patienten nicht gerecht werden zu können, dann kann man auf Dauer einfach nicht mehr."

Große unbewältigte Probleme sieht auch Anke M. (Name geändert). Die Altenpflegerin arbeitet bei einem mobilen Pflegedienst und besucht pro Schicht 20 bis 30 Menschen. Anfangs habe man die Pflegebedürftigen ohne Maske versorgen müssen, jetzt gebe es zumindest Einmalmasken. Während Pflegekräfte in Kölner Altenheimen einmal im Monat kostenlos getestet werden, gibt es diese Vorgabe für die mobile Pflege nicht. „Und das, obwohl wir täglich zu ebenso vielen älteren Menschen Kontakt haben wie unsere Kollegen“, kritisiert Anke M. Dazu komme, dass die mobilen Pflegekräfte sehr flexibel in großen Gebieten eingesetzt würden. Hier müsse man dringend versuchen, kleinräumiger oder in festen Teams zu arbeiten, um eine mögliche Infektion nicht weit zu verbreiten.

Pflegebündnis

„Wir haben hier immer noch denselben Stand wie zu Beginn der Krise, obwohl die Gefahren klar erkennbar sind.“

Auf Missstände wie diese will das Pflegebündnis mit einer Demonstration aufmerksam machen (s. Kasten).

Pflege-Demo und Volksinitiative

Solidarität zeigen: Zu einer Demonstration für besser Pflegebedingungen und ein bedarfsgerechtes Gesundheitswesen ruft das Kölner Pflege-Bündnis auf. Am morgigen Samstag, 5. September, kann ab 13 Uhr auf dem Roncalliplatz mit Pflegekräften und Patienten demonstriert werden. Corona-gerecht mit Maske und 1,5 Metern Abstand.

66 000 Unterschriften benötigt die Initiative „Für gesunde Krankenhäuser NRW“, die sich für die Abschaffung der Fallpauschale, eine wohnortnahe Versorgung und mehr Personal einsetzt. Kommen genügend Unterschriften zusammen, muss sich der Landtag mit den Forderungen befassen.

www. gesunde-krankenhaeuser-nrw.de

Sprecher Marco Kammholz: „Wir müssen jetzt etwas ändern, damit wir in zukünftigen Krisen noch handlungsfähig sind.“

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