Sechs Monate dauert die theoretische und praktische Ausbildung beim Ordnungsdienst. Ein Besuch in Junkersdorf.
Theorie und PraxisSo läuft die Ausbildung beim Kölner Ordnungsdienst

Das Deeskalationstraining findet auch in der Turnhalle statt.
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Der Lieblingssatz von Natalie Riha ist: „Jetzt beruhigen wir uns mal alle wieder.“ Dabei hält sie ihre Hände gleichzeitig beschwichtigend und abwehrend vor den Körper, zwischen Brust und Gürtel. Sie tritt einen Schritt zurück. Deeskalation. Eine der Grundlagen, die in der Ausbildung des Ordnungsdienstes vermittelt wird. Es ist ein Mittwochvormittag in Junkersdorf, zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ordnungsdienstes sitzen in einem Schulungsraum. Sechs von ihnen befinden sich in der sechs Monate langen Probe- und Ausbildungszeit.
Erstmal Theorie. „Das Gehirn reagiert auf bestimmte Reize mit einer Stressreaktion, zum Beispiel mit einer entsprechenden Hormonausschüttung“, erklärt Einsatztrainerin Sarah Ackermann. Warum muss der Ordnungsdienst wissen, wo genau im Gehirn Stress ausgelöst wird? „Um unser Gegenüber besser zu verstehen“, sagt Ackermann. „Wir glauben, es hilft uns, körperliche Reaktionen richtig einzuschätzen und so auch Problemlösungsstrategien zu entwickeln.“

Das Wissen aus den Theoriestunden wird auch in Wissenstests abgefragt.
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Der Ordnungsdienst der Stadt Köln sorgt für die Einhaltung der öffentlichen Ordnung und des Kölner Stadtrechts: der freilaufende Hund im Park, Alkoholverkauf an Minderjährige, Ruhestörung, Obdachlose - das Einsatzgebiet ist groß. In zwölf Dienstgruppen - fünf davon alleine in der Innenstadt - sind sie im gesamten Kölner Stadtgebiet unterwegs. Was Sarah Ackermann nicht hören will: den Ausdruck „Hilfssheriff“. „Den Schuh ziehen wir uns nicht an, wir arbeiten in erster Linie mit den Menschen.“ Dennoch: Wenn sie in ihren dunkelblauen, fast schwarzen Uniformen erscheinen, seien Konflikte nicht selten schon vorprogrammiert, sagt Natalie Riha. Sie und Sarah Ackermann waren selbst viele Jahre im Außendienst auf der Straße, mittlerweile bilden sie Anwärterinnen und Anwärter auf die offenen Stellen im Ordnungsdienst aus.
Einer von ihnen in diesem Jahr ist Michael M., der sich seit April in der Ausbildung befindet. Er ist nicht ganz neu in dem Berufsfeld: Der 38-Jährige arbeitete sechs Jahre beim Ordnungsdienst in Berlin. „Köln ist ganz anders“, sagt M., „zum Beispiel die Evakuierung bei Bombenentschärfungen, das fiel in Berlin gar nicht in unser Aufgabengebiet.“ Die Ausbildung ist komplex: Vor allem Rechtsgrundlagen müssen von den Anwärterinnen und Anwärtern erlernt werden, alles muss am Ende gerichtsfest sein. Das könne man nicht in ein paar Wochen lernen. „Wir greifen auch in Grundrechte ein“, sagt der 38-Jährige. „Das muss wirklich von A bis Z sitzen. Man darf keine Fehler machen.“

Beim Training wird die Reizstoff-Kartusche herausgenommen.
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Geübt wird auch, wie dokumentiert und Berichte geschrieben werden müssen: Alle Einsätze bekommen ein Protokoll, mit Uhrzeiten und Einsatzorten. Regelmäßig gibt es Wissensabfragen. Training gibt es im Bereich Kommunikation und im Bereich Deeskalation und Selbstverteidigung. Gibt es neue Verordnungen, etwa das Verbot von Lachgas, müssen alle Mitarbeitenden auf denselben Stand gebracht werden. „Wir versuchen, die Theorie direkt in die Praxis umzusetzen“, sagt Riha. „Das heißt, wir fahren als Ausbilder auch mit raus.“
Bevor es raus geht, geht es aber erst mal runter. Das Ausbildungszentrum in Junkersdorf wurde in einem ehemaligen RTL-Studio gebaut, fünf Stockwerke unter der Erde befinden sich eine Turnhalle und verschiedene Übungs- und Szenarienräume, in denen die Schulungen stattfinden. „Dieses Dienstgebäude gehört zu den modernsten in ganz Deutschland. Ich habe so was noch nie gesehen“, sagt Anwärter Michael M.. Hier wird vor allem geübt, wie man sich selbst schützt. Sarah Ackermann und ihre Kollegen lehren eine Mischung unterschiedlicher Techniken, unter anderem des Jūjutsu und des Krav Maga. Das sei nötig, so Ackermann. Im Außendienst wurde auch sie schon mit einem Regenschirm geschlagen, ein anderes Mal gebissen.

Auch Selbstverteidigung gehört zu der Ausbildung dazu.
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In der Turnhalle stellen sich alle auf. „Kommunikation ist unsere stärkste Waffe“, sagt Natalie Riha. Weil das alleine zur Deeskalation einer Situation oft nicht hilft, über die Anwärter hier auch die richtige Körpersprache ein. „Hände zwischen Brust und Gürtel, das ist euer positiver Bereich“, gibt Ackermann die Anweisung. „Dann baut ihr mit euren Händen einen Zaun, geht einen Schritt zurück. Schafft Abstand.“ Jemandem, der aggressiv reagiert, wollen die Ordnungsdienstmitarbeiter nicht zu Nahe kommen. „Auch Unsicherheit wollen wir uns nicht anmerken lassen.“
„Das mildeste Mittel zu unserer Selbstverteidigung ist das Pfeffer“, erklärt Ackermann weiter. „Das Pfeffer“ ist hier die Kurzform für die beiden Reizstoffsprühgeräte (RSG), die alle am Körper tragen. Die Wirkung lasse nach spätestens 45 Minuten nach, bleibende Schäden entstehen nicht. In der praktischen Übung ziehen die zukünftigen Beamten das Spray aus ihrem Gürtel, gehen einen Schritt rückwärts, halten es vor sich und rufen laut: „Halt! Stopp! Sonst gibt's Pfeffer!“ Bei den Übungen sind keine scharfen Waffen erlaubt, die Kartuschen haben sie vorher entfernt. Das tatsächliche Zielen auf die Schleimhäute wird mit einer Videoprojektion ein paar Türen weiter im „Sprühkino“ geübt. Bis zu acht Meter weit können sie den „Pfeffer“ sprühen.

Natalie Riha (r.) simuliert mit den Anwärtern eine Kontrolle in einer Diskothek.
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Ist der Abstand zum anderen zu gering, wird geübt, wie Schläge abgewehrt werden oder wie man sich selbst aus dem Griff eines anderen befreit. Eine spezielle Weiterbildung brauchen die Ordnungsdienstmitarbeiter für den Einsatz des sogenannten Teleskopabwehrstocks. Fünf aufeinanderfolgende Tage dauert diese und ist vor allem zur Abwehr von gefährlichen Gegenständen gedacht. Erst danach darf der Stock getragen werden.
Ebenfalls im fünften Untergeschoss des Trainingszentrums in Junkersdorf befindet sich ein Raum, in dem verschiedene Szenarien geübt werden können. Eine Holztheke, Musikanlage und Diskolicht simulieren den Einsatz in der Gastronomie. „Kontrollen unter erschwerten Bedingungen, also bei Dunkelheit und lauter Musik, müssen geübt werden“, erklärt die Ausbilderin.„ Wer das noch nie gemacht hat, für den ist das Stress pur.“ Während buntes Licht flackert, zückt Michael M. seine Taschenlampe und führt eine Ausweiskontrolle im Sinne des Jugendschutzes durch. Es gibt Lob von Natalie Riha. „Im Laufe der Ausbildung werden die Szenarien immer komplexer“, sagt sie.

Der Einsatz in einer Obdachlosenunterkunft könnte hier geprobt werden.
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Noch einen Raum weiter stehen zwei Stockbetten und ein Tisch - eine Unterkunft für Obdachlose oder für Flüchtlinge könnte das sein, geprobt wird hier auch ein Einsatz im Bordell. „Da geht es vor allem um die Ansprache“, sagt Riha. „Manche Menschen sind traumatisiert, da müssen wir behutsamer vorgehen.“ Im Obdachlosenmilieu finde man gerade als Frau oft einen besseren Zugang, sagt Ackermann, männliche Kollegen würden öfter angefeindet. Doch von gemischten Teams sei man weit entfernt: Auf zwölf Teammitglieder pro Dienstgruppen kommen höchstens zwei bis drei Frauen.
Irsad S., der seit drei Jahren beim Ordnungsdienst arbeitet, fühlt sich gut ausgebildet. Aber Frauenfeindlichkeit und Rassismus sei gegenüber den Mitarbeitenden gestiegen, bestätigt auch er. Wie geht man also mental damit um, wenn man täglich Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt ist? „Das darf man nicht so nah an sich heranlassen. Die Menschen sehen nicht mich persönlich, sondern nur die Uniform, die ich trage. Mich als Privatperson meinen die ja gar nicht“, sagt der 26-Jährige. Ihm helfe es, bei Konflikten mit Bürgerinnen und Bürgern, locker und auf Augenhöhe zu bleiben. „Manche Menschen sind wie Kinder, die ein Nein bekommen. Auch wer selbst den Fehler gemacht hat, kann das oft nicht einfach akzeptieren.“
Es gibt auch öfter mal Lob für uns. Und vielen können wir nahe bringen, dass die Stadt nicht nur von einzelnen bewohnt wird, sondern von allen.
Manchmal aber prallen Worte - oder auch Schläge - nicht an den Ordnungsdienstbeamten ab. „Der Austausch mit den Kollegen hilft“, sagt Michael M., auch aus der Erfahrung aus Berlin. Wie man Stress abbaue, sei individuell, so Ackermann. Nach Dienstschluss darf auch die Turnhalle zum Badminton oder Fußball spielen genutzt werden. Auch ausgebildete Psychologen können innerhalb der Behörde konsultiert werden. „Wenn eindeutig Grenzen überschritten werden, bringen wir Gewalt uns gegenüber auch zur Anzeige“, sagt Natalie Riha.
Ein großer Teil der Kölnerinnen und Kölner begegne ihnen aber erstmal wohlgesonnen, so die Ausbilderinnen. Das Image einer „Verbotsbehörde“ verändere sich aktuell. „Es gibt auch öfter mal Lob für uns. Und vielen können wir nahe bringen, dass die Stadt nicht nur von einzelnen bewohnt wird, sondern von allen.“ Wenn man das verloren gegangene Kind auf der Domplatte zurück zu seinen Eltern bringe, oder Hundewelpen aus einer Qualzucht rette - das gebe ein gutes Gefühl, sagt Riha. In der nächsten Woche steht sie jedoch wieder vor Gericht - um in einer ihr widerfahrenen Gewalttat im Dienst auszusagen.