Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen (Rias) hat für das Jahr 2024 eine deutlich steigende Zahl antisemitischer Vorfälle erfasst.
Steigende VorfallzahlenAntisemitische Angriffe in NRW 2024 um 42 Prozent gestiegen

Die Zahl der antisemitischen Übergriffe und Bedrohungen steigt, berichteten Ministerin Josefine Paul und Jörg Rensmann von Rias NRW.
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Die Zahl antisemitischer Vorfälle ist von 664 im Jahr 2023 auf 940 im Jahr 2024 gestiegen - ein Plus von 42 Prozent. Im Jahr 2022 waren es noch 264 Fälle. „Für mich persönlich sind diese Zahlen und Entwicklungen erschreckend und schwer erträglich“, sagte NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne). Antisemitismus sei für viele Jüdinnen und Juden in NRW heute eine „allzu alltägliche Erfahrung“.
Der terroristische Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe eine Zäsur dargestellt, die weiter spürbar sei, so Paul. Der folgende Gaza-Krieg habe das Jahr 2024 geprägt. „Die Ereignisse in Gaza waren und sind ein vordergründiger Anlass, eine Gelegenheit für israelbezogenen Antisemitismus, also für jene Erscheinungsform des Antisemitismus, die im vergangenen Jahr am häufigsten gemeldet wurde“ erläuterte Paul.
In 101 Fällen Gedenkorte angegriffen
Der Leiter von Rias NRW, Jörg Rensmann, beschrieb das Phänomen so: „Das bedeutet, dass antisemitische Einstellungen vorher schon vorhanden sind, und dann nach einer Gelegenheit gesucht wird, den Antisemitismus auszuleben.“ Rias zählte im vergangenen Jahr insgesamt 590 Fälle dieses israelbezogenen Antisemitismus in NRW. Die meisten Vorfälle dieser Art (327) hätten sich auf der Straße ereignet, viele auch in öffentlichen Verkehrsmitteln.
„Scheuklappen fallen. Die Menschen sind noch viel offener antisemitisch als früher“, so Rensmann. In 101 Fällen seien im Jahr 2024 Gedenkorte, die an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus erinnern, gezielt angegriffen worden - ein Plus von 74 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Häufig Verharmlosung der Schoa
Israelbezogener Antisemitismus gehe häufig einher mit dem Versuch, die Schoa zu verleugnen oder zu verharmlosen, warnte Rensmann. „Oft wird auf Kundgebungen die Schoa gleichgesetzt mit dem israelischen Regierungshandeln. Es gibt da eine Täter-Opfer-Umkehr.“
Unbeschwertes jüdisches Leben sei momentan fast nur noch in geschützten Räumen möglich, berichtete Alexander Sperling, Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe. Seit dem Hamas-Überfall sei die gefühlte relative Sicherheit in NRW vorbei. Auch die Rückversicherung, im Fall der Fälle - zum Beispiel nach einer Regierungsübernahme der AfD - Zuflucht in Israel zu finden, sei durch das Infragestellen der Existenz Israels erschüttert, so Sperling.
Er beobachte eine fortschreitende „Entsolidarisierung“ gegenüber Juden. Insbesondere bei vielen jungen Menschen habe sich ein „komplett antiisraelisches Weltbild“ etabliert. Soziale Medien befeuerten diese Judenfeindlichkeit. „TikTok ist toxisch“, warnte Sperling.