Praxisbus in KölnDieser Chefarzt behandelt ehrenamtlich obdachlose Patienten

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Chefarzt Oette

Chefarzt Mark Oette in seinem Sprechzimmer im Severinsklösterchen. 

Köln – Größer kann die Kluft nicht sein. Als Chefarzt rettet er Leben, dank Hochleistungsmedizin und stationärer Nachsorge. Als Obdachlosenarzt versorgt er im Praxisbus Wunden, versucht, schmerzhafte Hautkrankheiten zu lindern. „Notfallversorgung. Mehr sieht das Gesundheitssystem für Menschen ohne Krankenschein nicht vor“, sagt Prof. Mark Oette. Das will er ändern. Sein Ziel: „Allen Menschen den Zugang zu einer ganz normalen medizinischen Versorgung ermöglichen.“

Manchmal verändern Orte Menschen. Für den jungen Assistenzarzt Mark Oette war das Severinsklösterchen so ein Ort. „Alles was in einer Millionenstadt so aufschlägt, schräge Persönlichkeiten, Menschen mit sehr großem Hilfebedarf, die auf der Straße leben, kommt zu uns“, sagt er. „Menschen, von denen im Medizinstudium nie die Rede war.“

Freude an der „ganz normalen Krankenhausmedizin“

Als „ganz normaler junger Arzt“ kommt Oette 1993 in das Krankenhaus der Augustinerinnen, das im Volksmund Klösterchen heißt. Er lernt in der Notaufnahme psychisch beeinträchtigte oder suchtkranke Menschen zu behandeln; viele von ihnen leben auf der Straße. Ihm gefällt der spezielle Geist in dem damals noch von der Genossenschaft der Cellitinnen geführten Haus. Und ebenso sehr, dass er hier auch „ganz normale Krankenhausmedizin machen kann“. Er engagiert sich in der Aidsforschung und erhält dafür den Heinz-Ansmann-Preis, qualifiziert sich in Gastroenterologie, Infektiologie, medikamentöser Tumortherapie und Palliativmedizin. Seit 15 Jahren leitet er die Abteilung „Innere Medizin“ mit Schwerpunkt Magen-Darm-Erkrankungen, deckt auch Diabetes und Parkinson ab. „Weil die Menschen aus dem Veedel gerne zu uns kommen, sind unsere Betten immer gut ausgelastet. Damit schaffen wir dem Krankenhaus finanzielle Luft“, sagt er. „Auch dafür, obdachlose Menschen über die akute Notfallversorgung hinaus zu behandeln.“

Mark Oette kommt dahin, wo die Menschen sind

Das nur im Krankenhaus zu tun, reicht ihm von Anfang an nicht. Seit über zwei Jahrzehnten ist er Mitglied des Vereins „Gesundheit für Wohnungslose“, sucht die Menschen da auf, wo sie sind. „Menschen ohne Krankenversicherung kann ich nur akut versorgen, auch wenn sie eigentlich eine OP benötigen. Einfach nur, weil niemand zahlt“, sagt er. Aber es gibt auch lichte Momente. Die Operation eines suchtkranken Mannes, der eine entzündete Herzklappe hatte, konnte der Verein aus Spenden finanzieren. „Die Entzündung wäre sonst sein Todesurteil gewesen“, sagt Oette.

Solche Erlebnisse lassen ihn nicht los. Auch, dass obdachlose Menschen viel kränker sind als der Durchschnitt, sie im Schnitt nicht älter werden als 50 Jahre. Das hat viele Ursachen. Um an manchen etwas zu ändern, gründet er „Caya“. „Das bedeutet Come as you are, komm wie Du bist – in die Praxis für obdachlose Menschen, die wir im März eröffnen werden“, sagt der 59-Jährige. „Viele schämen sich, in einer ,normalen’ Praxis zu sitzen. Manche sind sehr unruhig, reden mit sich selbst.“

Gesundheit für Wohnungslose und Arche für Obdachlose

2021 Am Rosenmontag gründete sich der Verein Arche für Obdachlose. Sein Ziel: Der großen Not obdachloser Menschen in Köln etwas entgegenzusetzen. Mit Spenden wurden bisher über 60 Initiativen unterstützt. Am Montag wird das bisher größte Hilfsprojekt eröffnet: In zehn Containern am Bergischen Ring 40 in der Nähe des Wiener Platzes gibt es ein Mittagessen, Sanitäranlagen, Sozialarbeitende und später auch eine Arztpraxis.

26 Jahre ist der Verein Gesundheit für Wohnungslose bereits aktiv. Die von Chefärzten und ehemals Obdachlosen gegründete Initiative betreibt mit rund 40 ehrenamtlichen Ärzten und Pflegekräften zweimal wöchentlich eine mobile Praxis am Appellhofplatz. Parallel dazu gibt es eine warme Mahlzeit der Emmaus-Gemeinschaft. (bos)

Die Obdachlosenpraxis findet Platz in einem von zehn Containern, die der Verein „Arche für Obdachlose“ in der Nähe des Wiener Platzes fest installiert hat; dort gibt es außerdem einen Aufenthaltsraum, sanitäre Anlagen, eine Essensausgabe und ein Beratungsangebot. „Wer sich von uns behandeln lässt, findet im nächsten Container auch weiterführende Hilfsangebote.“ Diese ganzheitliche Herangehensweise ist Oette wichtig. Auch für die medizinische Versorgung sei das niederschwellige Angebot ein großer Fortschritt. „Hier können die Menschen auch am nächsten und am übernächsten Tag zu uns kommen, um sich einen Verband wechseln zu lassen. Und wir können etwa eine Antibiotikaeinnahme begleiten, weil Menschen, die auf der Straße leben, dabei oft Unterstützung brauchen.“

„Da bleibt extrem viel auf der Strecke“

Die Praxis soll eine Speerspitze sein, „ein Anfang, den uns keiner kaputtmacht“, sagt Oette, und für wenige Momente ist Schluss mit dem Maß an professioneller Distanz, ohne die er im Klinikalltag nicht funktionieren könnte. „Krankenhäuser müssen immer stärker wirtschaftlich orientiert geführt werden, viele unserer älteren erfahrenen Krankenschwestern sind schon gegangen. Da bleibt extrem viel auf der Strecke.“

Seine Vision: Deutlich mehr als nur eine Obdachlosenpraxis, denn der Bedarf sei riesig. Deshalb betreibt er auch Lobbyarbeit, hält Vorträge, um Spenden zu sammeln, spricht mit Verantwortlichen der Verwaltung, denn „auf Dauer kann die Finanzierung nicht ausschließlich über Spenden laufen“. Neben seiner bisweilen 60-Stunden-Woche im Klösterchen ist er verantwortlich für die Caya-Praxis und will die Arbeit dort wissenschaftlich dokumentieren. „Gerade ist es viel“, sagt er. „Aber es ist auch sehr faszinierend, so viele Menschen zu treffen, die sich mit dem Status quo nicht abfinden.“

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Ehrenamtlich Ärzte, Ärztinnen und Pflegekräfte zu finden, sei nicht schwer. „Viele wollen helfen. Aber jetzt müssen wir mit unserem Team erstmal die Praxis in Mülheim ans Laufen bringen“, sagt er. „Und Schritt für Schritt das Vertrauen der Menschen dort gewinnen. Damit sie zu uns kommen. Um hier eine normale hausärztliche Versorgung zu bekommen, wie sie jeder Mensch hat.“

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