Für ein inklusives Stück richtet die sozial ausgerichtete Theater-Company Un-Label in der alten Versteigerungshalle des Großmarkts eine Sammelstelle ein.
Bühne im GroßmarktKölner können „unverschickte Nachrichten“ loswerden für ein inklusives Theaterstück

Regisseurin Philine Velhagen und der Künstlerische Leiter des Projekts, Nils Rottgardt, schicken ihre Botin mit lila Rad und Verstärker durch die Straßen der Stadt.
Copyright: Thomas Dahl
„Jeder Mensch trägt vermutlich unverschickte Briefe in sich. Darin stehen Zeilen, die man dem eigentlichen Empfänger nie mitgeteilt hat“, mutmaßt Nils Rottgardt. Angst vor der emotionalen Offenbarung oder die Gefahr kommunikativer Missverständnisse verhindere nicht selten die „Zustellung“ dieser persönlichen Dokumente, so der künstlerische Leiter, Produzent und Dramaturg der Un-Label Performing Arts Company – einem Kölner Sozialunternehmen, das bundesweit Inklusion und Barrierefreiheit für Akteure im Kulturwesen realisiert sowie eigene Inszenierungen erfolgreich auf die Bühnen bringt.

Philine Velhagen (Regie) und Nils Rottgardt (Künstlerische Leitung) gewähren einen Blick ins performative Archiv für nicht abgeschickte Nachrichten.
Copyright: Thomas Dahl
In Zusammenarbeit mit der Freien Regisseurin Philine Velhagen entstand in den letzten Wochen die neue Produktion „Botin – Das performative Archiv für nicht abgeschickte Nachrichten“, dessen Premiere auf den 11. September in der Alten Versteigerungshalle des Großmarkts datiert ist. Das Ensemble aus sechs Darstellerinnen und Darstellern sowohl mit als auch ohne Behinderungen lädt dazu in eine temporär eingerichtete Sondierungsstelle ein, in der die anonymen Schreiben nach Themenfeldern geordnet werden, etwa „Verdrängung“, „Alkohol/Drogen“ oder „Probleme, zu groß für einen allein“.
Die Botschaften sind dabei nicht fiktional sondern allesamt real. Dafür wurde in der Ehrenfelder Körner Galerie auf Höhe der Körnerstraße 17 ein lilafarbener Briefkasten installiert, der die Mitteilungen bis kurz vor dem Start des theatralen Stücks entgegennimmt. Zudem ist unter www.botin.services eine digitale Post-Leitstelle eingerichtet. Auszüge der Sendungen werden darüber hinaus per Lastenrad mittels Lautsprecher entlang der Straßen verkündet. „Bisher haben wir bereits mehr als 70 Briefe erhalten“, freut sich Regisseurin Velhagen über die Resonanz rund zwei Wochen vor der ersten Aufführung. Darin eingeflochten sind unter anderem Klartexte an nervende Nachbarn, Brandreden gegen Vermieter, Vorwürfe gegen einstige Vorgesetzte, die in prägnante Worte gefasste Enttäuschung an den Ex-Partner oder späte Reue. Auch ein Brief an Gott wurde nach der Leerung des Briefkastens gesichtet. Die Zustellung soll demnach prompt erfolgen. Unmittelbare Antworten sind nicht einkalkuliert.
Bunt gefächertes Klangbild der Stadtgesellschaft
Die Besucher des ungewöhnlichen Archivs werden im Zuge der Öffnungszeiten ebenfalls darum gebeten, wartende Botschaften endlich zu versenden. „Wir sortieren, kategorisieren und machen hörbar, was bisher nicht hörbar war“, fasst Velhagen die gemeinschaftlichen Aktionen während der Proben und der vier kommenden Darbietungen zusammen. Dass es dabei zu einem amüsanten wie nachdenklich-stimmenden Klangbild der Stadtgesellschaft komme, sei wahrscheinlich. „Vielleicht kommt es zu Momenten, in denen wir uns wiedererkennen. Es geht ja um zutiefst Menschliches, denn ‚Botin ...‘ erzählt auch von den Ängsten und Versäumnissen, etwa ein nicht zu Stande gekommenes Gespräch mit dem verstorbenen Vater“, informiert Philine Velhagen.
Freier Zugang für Menschen mit und ohne Behinderungen
Im Zuge der Barrierefreiheit des Stückes arbeiten die Veranstalter mit audiodeskriptiven Anteilen, einem Leitsystem für Menschen, die Langstöcke nutzen sowie Brailleschrift zur Orientierung. Auch Assistenzhunde sind willkommen. Die Vorstellungen am 13. und 14. September finden mit einer Verdolmetschung in Deutscher Gebärdensprache statt. Ferner sind rollstuhlgerechte Toiletten auf dem Areal aufgestellt. Assistenzpersonen und ein Abholservice von den Bahn- oder Bushaltestellen ergänzen die Offerten der Initiatoren.
„Botin – Das performative Archiv für nicht abgeschickte Nachrichten“, Eine Un-Label Produktion, Regie: Philine Velhagen, Künstlerische Leitung: Nils Rottgardt, Mit: Karen Bentfeld, Konrad Bohley, Petr Hastik, Justine Hauer, Jonas Relitzki, Vita Zuiderwijk, Termine: 11./12./13./14. September 19.30 Uhr, Alte Versteigerungshalle, Marktstraße 10, 50968 Köln, ab 12 Jahren, Telefon: 0221 5501544, www.un-label.eu