Schwere sexuelle GewaltZollstocker Babysitter vor Gericht - „schwer zu ertragen“

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Der Angeklagte verbarg sein Gesicht mit einem Ordner vor den Fotografen im Saal.

Der Angeklagte verbarg sein Gesicht mit einem Ordner vor den Fotografen im Saal.

Insgesamt 23 Kindern im Alter zwischen einem und sechs Jahren soll der Angeklagte aus Köln von November 2019 bis Mai 2022 missbraucht haben.

Bloß nicht erkannt werden! — So lautet die Devise eines 33 Jahre alten Mannes aus Zollstock, als er am Montagmorgen von Justizwachtmeistern in Saal 7 des Landgerichts geführt wird. Bei offener Tür verweilt der Angeklagte noch einige Augenblicke im sogenannten Vorführgang — jener Treppe, die aus dem Gerichtsgefängnis zu den Sälen führt. Denn der Angeklagte kämpft mit einem Leitz-Ordner, den er sich vors Gesicht hält, um sich vor den wartenden Pressefotografen und Kamerateams zu schützen.

Bloß nicht erkannt werden — das gilt in Fällen wie dem des 33-Jährigen nicht nur für die Außenwelt, für Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen oder Familie. Auch vor der Identifizierung durch Mit-Insassen in der JVA wollen sich Angeklagte wie der 33-Jährige schützen. Die Hackordnung im Strafvollzug gilt als gnadenlos gegenüber jenen Insassen, die sich an Kindern vergriffen haben sollen. Sie müssen mit Beschimpfungen und Bedrohungen rechnen.

Angeklagter schüttelt über sich selbst den Kopf

„Kommen Sie jetzt, bitte“, ordnet schließlich ein Wachtmeister an, als ihm das Ordner-Prozedere des Angeklagten zu lange dauerte. Insgesamt 23 Kindern im Alter zwischen einem und sechs Jahren soll der Beschuldigte von November 2019 bis Mai 2022 unter anderem schwere sexuelle Gewalt angetan haben. Darunter befinden sich ein Junge und ein Mädchen, die bis heute nicht identifiziert sind, wie es in der Anklageschrift heißt. Zugriff auf seine Opfer — und das ist das verstörende Detail an dem Fall — soll der 33-Jährige erhalten haben, indem er auf der Internetplattform betreut.de seine Dienste als Babysitter anbot.

Zudem arbeitete er bei der Firma pme Familienservice GmbH aus Berlin, die Kindertagesstätten betreibt, als geringfügig beschäftigter Springer. Laut Anklageschrift soll es selbst in einer Kuschel-Ecke einer Kita zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Zudem wirft ihm die Anklage Besitz und Herstellung von Kinderpornografie vor. Zahlreiche der ihm vorgeworfenen Missbrauchstaten, soll der Angeklagte filmisch oder fotografisch festgehalten haben. Die Aufnahmen dienen in dem Prozess als Beweismittel.

Als die Anklägerin auf den Fall eines Mädchens zu sprechen kommt, über das es heißt, es sei „zu hundert Prozent schwerbehindert“ und „auf dem Entwicklungsstand eines Kleinstkindes“ und „gefüttert, gewickelt und gebadet werden“ müsse, zeigt der Mann sichtliche Reaktionen. Der Angeklagte schlägt seine Hände vors Gesicht, während die Staatsanwältin von „Fesselungsmanschetten“ spricht, mit denen der Beschuldigte die Hände des Mädchens fixiert habe, bevor er sich an ihr sexuell vergangen habe. Der Angeklagte schüttelt den Kopf, so als könne er selbst nicht fassen, dass da gerade über ihn gesprochen werde. Später wischt er sich ein paar Tränen aus den Augen.

Verlesung der Anklageschrift dauert eine Dreiviertelstunde

Am Ende der Anklageschrift, deren Verlesung eine Dreiviertelstunde dauert, heißt es: „Infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten ist der Angeschuldigte für die Allgemeinheit gefährlich.“ Damit geht es für den 33-Jährigen, der bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sein soll, ums Ganze: Für die Staatsanwaltschaft sind die Anforderungen für eine Sicherungsverwahrung nach einer womöglich langjährigen Haftstrafe erfüllt.

Im Anschluss an die Anklageverlesung teilt Verteidiger Jürgen Schüttler mit, dass sich sein Mandant am zweiten Verhandlungstag zu den Vorwürfen „umfassend äußern“ werde. Bislang, so schildert es der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann, sei von dem Angeklagten, trotz anders lautender Ankündigungen, „noch nichts gekommen“.

Vor allem für die vielen Nebenkläger in dem Verfahren ist das eine ungeheure Belastung. „Dass bislang vom Angeklagten im Ermittlungsverfahren keine Angaben gemacht wurden, ist für meine Mandanten mehr als unglücklich“, meint Nebenklageanwalt Markus Haupt. Nicht zu wissen ob sie vor Gericht werden aussagen müssen, sei für die Eltern „nur schwer erträglich“.

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. Ein Urteil ist für Mitte August geplant.

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