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Von Körperverletzung bis Beleidigung55 antisemitische Vorfälle in Köln gemeldet

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Ein Mann mit einer Kippa auf dem Kopf. (Symbolbild)

Köln – Die Tat hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Am Abend des 20. August 2021 wurde ein 18-Jähriger jüdischen Glaubens aus dem Iran, der eine Kippa trug, im Park am Kaiser-Wilhelm-Ring von einer Gruppe von rund zehn Heranwachsenden als „Judenschwein“ beleidigt und brutal zusammengeschlagen. Er erlitt einen Joch- und Nasenbeinbruch. Es war die folgenschwerste Attacke auf einen Menschen jüdischen Glaubens, die sich voriges Jahr in Köln ereignete, aber beileibe nicht die einzige.

In ihrem ersten Jahresbericht, den die neu gegründete Meldestelle am NS-Dokumentationszentrum vorgelegt hat, sind für 2021 insgesamt 55 antisemitische Vorfälle auf Kölner Stadtgebiet dokumentiert, darunter auch ein weiterer tätlicher Angriff: Am 4. April wurde in der Südstadt ein Mann (52) mit Kippa von hinten niedergeschlagen und ausgeraubt, der Täter konnte nicht ermittelt werden. Wie die Rundschau erfuhr, soll im Fall des jungen Iraners in Kürze Anklage erhoben werden. Die Ermittlungen seien fast abgeschlossen, man warte noch auf Stellungnahmen von Anwälten, sagte Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. Neben den beiden 18 und 19 Jahre alten Tatverdächtigen, die noch in der Tatnacht festgenommen worden waren, habe man inzwischen zahlreiche weitere Verdächtige ermittelt.

Vorfälle sollen systematisch erfasst werden

Ziel der neuen Meldestelle sei es, „antisemitische Vorfälle in Köln systematisch zu erfassen, gerade auch solche unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“, betont Daniel Vymyslicky vom NS-Dok. Diese seien bisher meist im Dunkeln geblieben. Nun wolle man darlegen, wie verbreitet antisemitische Argumentationsmuster im öffentlichen Raum sind. Ziel sei, „die Stadtgesellschaft für Antisemitismus als ein reales Problem der Gegenwart zu sensibilisieren“. Neben zwei tätlichen Angriffen erfasst der Bericht drei Fälle von Bedrohung und fünf Sachbeschädigungen. In vier Fällen wurden Mails und Briefe mit antisemitischem Inhalt an zahlreiche Personen verschickt, etwa an Lehrkräfte von Gymnasien. 41 Vorfälle betreffen verletzendes Verhalten, bei denen jüdische Institutionen oder Personen böswillig oder diskriminierend adressiert werden; dazu zählen auch antisemitische Graffiti und Aufkleber.

Der Report basiert zum großen Teil auf direkten Meldungen von Zeugen oder betroffenen Personen. In einem Fall vom 9. Oktober 2021 grölten zwei Neonazis im Zug zwischen Köln und Bonn ein antisemitisches Lied und drohten einem Mann, der sich darüber beschwerte, mit Gewalt. In der Südstadt wurden drei Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig für die von den Nazis ermordete Familie Hirsch mit den Buchstaben „NSU“ beschmiert – dem Kürzel für die rechtsextreme Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“. In Lindenthal schmierten Unbekannte Hakenkreuze an eine Bildungseinrichtung.

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Der Bericht analysiert auch Antisemitismus und Israel-Hass bei einer pro-palästinensischen Demo in Köln am 15. Mai 2021sowie antisemitische Vorfälle in Bezug auf Verschwörungsideologien, insbesondere in Zusammenhang mit Kritik an Corona-Maßnahmen. Laut Vymyslicky hatten 12 Vorfälle einen rechtsextremen Hintergrund, sieben hingen mit Verschwörungsideologien zusammen, und je drei waren islamistisch und antiisraelisch motiviert. Mehr als die Hälfte der Fälle lasse sich nicht eindeutig zuordnen.