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„Zortify“Kölner Wissenschaftler entlarven mit künstlicher Intelligenz Narzissten

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Symbolbild

Köln – Das T-Shirt von Marcus Heidbrink ist ein bisschen verwaschen. Die Hose von Florian Feltes eher salopp. Nicht einmal eine Uhr tragen die beiden am Arm. Sind die Turnschuhe den wenigstens von einer Trend-Marke? Hallo! Geht’s noch! Sind solche Äußerlichkeiten wirklich wichtig für diesen Artikel? Sie sind es. Denn die Kölner Wissenschaftler sind einem ganz besonderen Schlag von Mensch auf der Spur. Einem, der bei Bedarf gerne Statussymbole benutzt, um seine Bedeutung zu unterstreichen. Zumindest die Bedeutung, die er sich selbst zuschreibt. Marcus Heidbrink und Florian Feltes entlarven Narzissten.

Marcus Heidbrink ist Organisationspsychologe. Er unterstütz unter anderem Aufsichtsräte bei der Besetzung von Positionen im Topmanagement. Florian Feltes ist Professor an der XU University in Potsdam. In seiner Forschung und Lehre beschäftigt er sich unter anderem mit Erfolgsfaktoren für Gründerteams.

Künstliche Intelligenz wertet Antworten aus

Eines Tages, Heidbrink kam gerade von einer Beratung zurück nach Köln, setzten sich die beiden bei einer Flasche Rotwein zusammen. Ein Wort gab das andere, der Wein beflügelte. Am Ende war eine Geschäftsidee geboren. Ein auf künstlicher Intelligenz basierender Algorithmus, der schriftlich verfasste Antworten auswertet. Vereinfacht gesagt, eine Computersoftware, die Täuschungsmanövern gegenüber unempfänglich ist und mit hoher Treffsicherheit erkennt, in welcher Ausprägung narzisstische Züge beim Befragten vorliegen. Das Produkt ihrer Firma „Zortify“.

„Nein, es reicht nicht, wenn man ein paar mal weniger „ich“ und stattdessen mehr „wir“ in die Antworten schreibt“, lacht Heidbrink. Die Auswertung erfolgt weitaus subtiler. Und muss es auch, denn Narzissen sind manipulative Menschen. Sie verstehen es, für sich einzunehmen, einen perfekten ersten Auftritt hinzulegen.

Aber wenn es doch dem Erfolg dient? Was kümmert’s das Unternehmen, solange unter dem Strich Gewinne dabei rausspringen. Heidbrink winkt ab. „Investoren haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass Totalverluste bei ihren Investments immer mit strafrechtlich relevantem Verhalten der Vorstände einhergingen. Es waren schmerzhafte Verlust in Folge narzisstischer Selbstüberschätzung.“ Und das sind die direkten finanziellen Folgen.

Narzissten erzeugen Narzissten

Ganz zu schweigen davon, welche Schäden Narzissten in Teams anrichten. Sie zerstören Menschen, sie lassen neben sich niemanden hochkommen. Schlimmer: Narzissten erzeugen Narzissten. „Erfolgsorientierte Menschen nehmen sie sich als Vorbild“, sagt Feltes. Noch schlimmer: Managerkurse, in denen Führungskräfte zu Narzissten ausgebildet werden.

Ein Phänomen, begrenzt auf die Wirtschaft? Natürlich nicht. Narzissmus ist auf allen Wegen anzutreffen ist, die nach oben führen. Florian Feltes schlägt die Brücke in die Politik: „Söder und Laschet in der Frage der Kanzlerkandidatur. Zwei Alphatiere. Keiner will zurückziehen. Der eigene Erfolg wird über den drohenden Schaden gestellt.“

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Narzissmus, ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber doch ersichtlich auf dem absteigendem Ast, oder? Josef Ackermann war gestern. Manager werden hemdsärmeliger. Oh ja, die beiden Kölner Wissenschaftler kennen Beispiele für Gegenströmungen. Heidbrink kann von Unternehmen berichten, in denen Narzissten keine Plattform für ihre Selbstdarstellung bekommen. Doch der Trend ist ein anderer, ein erschreckender. Die beiden Kölner haben zusammen mit ihrer Kollegin Victoria Berg eine Studie dazu vorgelegt.

Sie zeigt die Leistungsfähigkeit ihrer Software – und die Notwendigkeit eines Kontrollinstrumentes. Mit ihr haben es die drei Autoren auf die Titelseite des Magazins „Havard Business manager“ geschafft. Das Ergebnis: Narzissmus ist auf dem Vormarsch. Tritt die alte Garde der Narzissten ab, kommt eine neue nach, die sogar noch stärker zum Narzissmus neigt.

Aber was ist das Gegengift, was braucht es zum Gegensteuern? Die Antwort von Marcus Heidbrink wirkt wie aus der Zeit gefallen – und unterstreicht damit wohl nur den aktuellen Trend: „Demut.“

Die Studie – Einige Zahlen

9918 Menschen nahmen deutschlandweit an der Studie im Jahr 2020 zum Thema Narzissmus von Florian Feltes, Marcus Heidbrink und Victoria Berg teil: 5303 Frauen, 4615 Männer. 2510 von ihnen waren zum Zeitpunkt der Befragung auf der Vorstandsebene von Unternehmen tätig,

59,8 der Männer im Alter von 30 Jahren und jünger zeigten die höchsten Narzissmuswerte auf. Heidbrink und Feltes sprechen vom „Jungbullen-Phänomen“. Der Wert für Frauen unter 30 Jahren liegt bei 51,5 Prozent. Narzissmus ist also auch bei ihnen verbreitet, aber ihre Werte übertreffen in keiner Altersgruppe die der Männer.

69,3 Prozent der Männer in Vorständen oder unter Geschäftsführern und Inhabern zeigen laut der Studie hohe Narzissmuswerte auf. Je höher die Führungsebene, desto mehr Narzissten. Frauen in diesen Positionen kommen auf 61,6 Prozent. Je „geringer“ die gesellschaftliche Position, desto geringer der Wert.

42 Milliarden Dollar betrug 2019 weltweit der Verlust von Unternehmen aufgrund betrügerischer Geschäfte. Die beruhen zwar nicht immer auf Narzissmus – aber häufig, sagen Feltes und Heidbrink.

3 Merkmale von Narzissten: Sie umgeben sich mit Jasagern, agieren rücksichtslos, beanspruchen Erfolge nur für sich.

0 Prozent: Diesem Wert nähert sich der Therapieerfolg bei Narzissten an. Denn Einsicht ist Voraussetzung.