Köln – Das von Oberbürgermeisterin Henriette Reker formulierte Ziel, Köln bis 2035 klimaneutral zu machen, hat der von ihr einberufene Klimarat als nicht realisierbar bewertet.
Das Expertengremium hält es aber für möglich, den Ausstoß von Treibhausgasen je Einwohner und Jahr bis 2040 auf höchstens zwei Tonnen zu reduzieren (siehe Text auf Seite 2 dieses Artikels). Diese Pro-Kopf-Menge bezeichnen einige, darunter die Stadt Düsseldorf, bereits als klimaneutral. Klimaschützer stufen sie jedoch als überholt und zu hoch ein.
Berlin und Frankfurt wollen 2050 klimaneutral sein, gemeint ist, den Kohlendioxid-Ausstoß gegenüber 1990 um 95 Prozent zu reduzieren. Das entspricht den Zielen der Bundesregierung. Eine verbindliche Definition für Klimaneutralität gibt es nicht, in der Regel versteht man darunter die Netto-Null-Emission. Das bedeutet, nicht mehr Kohlendioxid zu produzieren, als auf natürliche Weise in Wäldern, Böden und Meeren gebunden wird oder sich mit Hilfe technischer Verfahren der Atmosphäre entziehen lässt. Bei Letzteren wäre neben der unterirdischen Einlagerung auch die Erzeugung synthetischer Kraftstoffe aus Luft-Kohlendioxid mit Hilfe von Ökostrom denkbar – als sehr energieintensive, aber nachhaltige Alternative zu fossiler Energie, die in Verbrennungsmotoren genutzt werden könnte.
Klimarat kassiert Ziele des Ratsbündnisses
In Köln bis 2035 zur Netto-Null-Emission zu kommen, hält der Klimarat für nicht möglich. Damit ist er OB Reker und dem Ratsbündnis aus Grünen, CDU und Volt, die „Klimaneutralität bis spätestens 2035“ angekündigt haben, in die Parade gefahren. Doch Grünen-Fraktionschefin Christiane Martin verteidigt das Wahlkampfversprechen: „Klimaneutralität bis 2035 ist ein politisches Ziel, an dem wir festhalten. Die Aussagen des Klimarats sehe ich als Ansporn für die Politik, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.“ Man müsse jetzt schnellstmöglich die Weichen für mehr Klimaschutz stellen. „Falls es 2035 noch Rest-Emissionen gibt, kann man die über Zertifikate kompensieren.“
Soll heißen: Auf dem Papier kann Köln Klimaneutralität bis 2035 durchaus schaffen. Es muss dann halt Geld bezahlt werden für jede Tonne CO2 . „Mit solchen Ausgleichszahlungen können Klimaschutzprojekte vor allem auf lokaler Ebene finanziert werden“, so Martin. „Um die notwendige konsequente Energiewende im Strom und im Wärmebereich zu erreichen, wollen wir bis Ende 2021 einen Maßnahmenplan für die Stadt und ihre Beteiligungsgesellschaften erarbeiten, der auch eine CO2 -Bilanzierung und ein Controlling der Maßnahmen vorsieht.“
Jetzt müssen alle mitziehen
Doch selbst wenn die Stadt und ihre Firmen jetzt im Rekordtempo in Klimaschutz investieren würden, wäre nur ein Bruchteil der Ziele des Klimarats erreicht. Umweltdezernent Harald Rau rechnet vor: Von 1990 bis 2010 seien die CO2 -Emissionen in Köln nur von 12 auf 10 Millionen Tonnen pro Jahr gesunken, seitdem kaum verändert. Nun wolle man sie bis 2030, also in nur neun Jahren, um weitere vier Millionen Tonnen reduzieren.
Was das bedeutet, erklärt Rau so: „Wenn wir den gesamten Verkehr in der Stadt klimaneutral machen würden, würden wir nur zwei Millionen Tonnen einsparen.“ Nötig sei aber das Doppelte. Gelingen könne das nur, wenn alle mitziehen – Bürger, Wirtschaft, öffentliche Hand.
Die bisherigen Klima-Projekte der Stadt blieben teils deutlich hinter den Erwartungen zurück. 2019 wurde das Förderbudget für Klimaschutzmaßnahmen nicht mal zu 40 Prozent ausgeschöpft, weil Bürger an bürokratischen Hürden scheiterten und die Bearbeitung der Anträge in der Koordinierungsstelle Klimaschutz stockte. Die sollte unter einem neuen Chef mehr Schwung bekommen, doch der frisch berufene Leiter Prof. Tobias Gößling warf nach nur drei Monaten das Handtuch. Nun steht der kommissarisch von Alice Bauer geleiteten Klimaschutz-Truppe ein weiterer Umbruch bevor. Sie zieht in das neu geschaffene Dezernat VIII „Umwelt, Klima und Liegenschaften“ um. Bevor es loslegen kann, muss erst eine geeignete Führungskraft gefunden werden. An die muss Rau dann seine Zuständigkeit für Umwelt und Klima abtreten.
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An Potenzial für erneuerbare Energie mangelt es nicht. Laut Landesumweltamt (Lanuv) ließe sich der Jahresstromverbrauch in Köln von derzeit rund 8700 Gigawattstunden zu 56 Prozent aus Ökostrom decken, der im Stadtgebiet erzeugt wird. Aktuell sind es lediglich 1,4 Prozent.
Würden alle geeigneten Dächer und Freiflächen mit Photovoltaik-Modulen ausgestattet, ließe sich ein dezentrales Kraftwerk mit 5000 Megawatt (MW) installierter Leistung schaffen. Zum Vergleich: Das Gaskraftwerk Niehl III der Rheinenergie erzeugt bis zu 450 MW Strom für eine Million Haushalte und 265 MW Fernwärme für 30 000 Haushalte. Auch die Nutzung von Erdwärme bietet lautet Lanuv in Köln großes Potenzial.
Klimarat fordert 15.000 neue Solar-Dächer pro Jahr in Köln
12 Mitglieder aus Stadtverwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft bilden den Klimarat, darunter Marion Sett (AG Kölner Wohnungsunternehmen), Hans Richter (Chemion Logistik), Witich Roßmann (DGB Köln) und Reiner Priggen (Landesverband Erneuerbare Energien NRW). Dazu kommen viele weitere Beteiligte in sechs Projektgruppen.
2030 ist die erste Zielmarke des Klimarats, bis dahin sollen in Köln Photovoltaik-Anlagen im Umfang von 2420 Megawatt (MW) realisiert sein. Das Expertengremium schlägt vor, bis 2025 auf alle städtischen Gebäude Solarstrom-Module zu setzen. Man müsse zudem erreichen, dass im Privatsektor künftig auf rund 15 000 Dächern pro Jahr Photovoltaik installiert wird.
Zu den weiteren Zielen gehört der Ausbau der Windkraft bis 2030 auf 62 MW, das wäre rund die Hälfte des gesamten vom Landesumweltamt ermittelten Windenergiepotenzials (maximal 123 MW), das bis 2040 erschlossen werden soll. In der Abfallwirtschaft sowie der Land- und Forstwirtschaft soll bis 2030 ein Bioenergie-Potenzial im Strombereich von rund 273 Gigawattstunden gehoben werden. Das entspricht einem durchschnittlichen Jahresstromverbrauch von rund 68 000 Vier-Personen-Haushalten. Zusammen soll der Ausbau an Photovoltaik, Windkraft und Bioenergie 1,52 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einsparen. Bis 2040 soll die jährliche Pro-Kopf-Emission von CO2 von derzeit 9,4 auf maximal 2,0 Tonnen sinken.
Im Bereich Verkehr sollen die CO2 -Emissionen bis 2030 um 42 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Der Klimarat will, dass ab 2030 in Köln nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden. Der Anteil der Verbrenner soll bis dahin auf 75 Prozent, bis 2040 auf 25 Prozent sinken. 2030 soll es in Köln 3200 Ladepunkte für E-Autos geben (Foto), 2040 sollen es 12 800 sein. Weitere Ziele: Fernwärmenetz ausbauen und auf erneuerbare Energien wie Erdwärme und Solarthermie umstellen, energetische Sanierung von Gebäuden beschleunigen, nur noch klimaneutrale Neubauten. (fu)