Camilla Hoitenga zählt zu den herausragenden Flötisten ihrer Generation. Als Wegbegleiterin der Komponistin Kaija Saariaho erzählte sie Jan Sting über gemeinsame Stationen mit der Porträtkünstlerin des Festivals Acht Brücken.
Acht BrückenKaija Saariaho baut Spannung mit Licht und Schatten auf

Kaija Saariaho und Camilla Hoitenga
Copyright: Juha Roininen
Sie trafen Kaija Saariaho das erste Mal 1982 bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Wie war Ihr Eindruck?
Ich habe sie angesprochen, als wir in der Cafeteria angestanden haben. Wir waren Studentinnen. Die meisten trugen Turnschuhe und Hippieklamotten. Sie nicht. Sie hatte immer lange schwarze Röcke an und schwarze Schuhe. Ich fand sie schon damals sehr interessant und apart.
Noch im gleichen Jahr gab sie Ihnen ihr Stück „Laconisme de l'aile“ für Flöte. Ein Schlüsselwerk. Aber Sie haben es gut ein Jahr liegen lassen. Warum?
Ich habe das irgendwie zur Seite gelegt, weil ich bis dahin mit Karlheinz Stockhausen gearbeitet hatte, dessen Sprache komplett anders ist, eher etwas von Olivier Messiaen hat. Aber als wir Freundinnen wurden, dachte ich, dass ich Kaijas Stück dann vielleicht irgendwann doch spielen sollte. Ihre Inspiration kam aus der Ecke von Claude Debussy. Die Phrasen werden durch das Atmen bei ihr ganz anders gestaltet. Sie hatte keine überflüssigen Klänge, sie wusste genau, was sie schrieb.
Licht ist in Saariahos Werk zentral. In diesem Jahr steht es als Motto für das Acht-Brücken-Festival. Wie kann man Licht hören?
Das muss jeder für sich selbst rausfinden (lacht). Licht lässt sich nicht mit Helligkeit gleichsetzen, auch der Schatten ist in ihrer Musik sehr gegenwärtig. Sie baut die Spannung auf, indem sie zum Beispiel ein Spektrum zwischen Geräuschen und reinem Flötenklang aufbaut. Es läuft bei ihr nie nach der Devise, dass man mal ein paar verrückte Klänge macht. Alles dient ihrer Sprache und ihrem Konzept, ist sehr organisch. Ich denke, das Publikum kann das hören oder merken, ohne es analytisch verstehen zu müssen.
Als Tochter eines finnischen Metallbauers war ihr die Musik nicht in die Wiege gelegt. Die Sibelius-Akademie torpedierte ihren Wunsch, Komposition zu studieren. Das sei Zeitverschwendung, denn sie sei hübsch, werde bald heiraten. Sie ging später nach Paris und entwickelte sie sich zu einer der meistgespielten und innovativsten zeitgenössischen Komponistinnen. Wurde sie auch zur Feministin?
Sie selbst hing weder dem Feminismus noch sonst einem Ismus an. Wir waren beide zu einer Frauenmusiktagung eingeladen. Dort hat man ihr vorgeworfen, sich nicht genug für Frauen in der Musik einzusetzen. Und sie meinte, das Beste, was sie für die Frauen machen kann, sei, selbst so gut zu komponieren, wie sie kann.
Der internationale Durchbruch kam bei ihr aber nicht sofort ..
.Die Tatsache, dass sie sich durchgesetzt hat, ist auch ein Statement. In der frühen Zeit, als sie noch nicht angekommen war, gab es ein Porträtkonzert von ihr in Paris. Obwohl der Abend Kaija gewidmet war, saßen die Männer später alle unter sich am Tisch, ein Old Boys Club. Es hat wirklich gedauert, bis sie Fuß gefasst hat. Auch in Finnland erhielten die Männer die meiste Aufmerksamkeit. Aber sie schrieb einfach weiter. Sie war eine sehr, sehr großzügige Person und hat später bei den Festivals sehr viel Wert darauf gelegt, dass Aufträge an junge Komponistinnen vergeben wurden. Aber sie unterstützte auch junge Männer, die übersehen wurden.
An was erinnern Sie sich besonders gern im Zusammenhang mit ihr?
Sie lachte gerne. Und wir hatten eine Tradition, uns gegenseitig Geburtstagskarten zu schreiben. Später zeigten sie oft zwei alte Damen nach dem Motto „Lass es uns einfach zeigen, sag es nicht, wenn du es nicht ernst meinst“. Das war lustig. Aber ich erinnere mich auch an eine Probe, bei der ich fragte, ob wir nicht weniger Hall im Saal haben könnten. Und sie sagte „spiel einfach.“
Eine klare Ansage. Also konnte sie auch sehr direkt sein.
Gut, ich kannte das. Sie wollte das, sie hatte den Überblick über den Klang im Raum. Aber ich bin stolz, sie in Richtung Rhythmus geleitet zu haben, als sie ein Konzert für mich schrieb. Bis dahin war sie immer für Klangfarben, Cluster. Der Rhythmus brachte das Tänzerische hinein. Eines ihrer letzten Werke, ein Trompetenkonzert, geht wirklich unter die Haut. Sie entwickelte eine enorme Bandbreite, es gibt immer eine Dringlichkeit und Intensität in der Musik. Sie hat alles aufgegriffen, später auch ihre Krankheit.
Sie selbst kamen Anfang der 1980er Jahre mit zwei Koffern und 200 Dollar aus den USA und kehrten nicht mehr zurück.
Ich wollte mich eigentlich für ein Fulbright-Stipendium bewerben, schrieb in meiner Heimat an meiner Doktorarbeit. Aber ich hatte Pech mit dem Rückflug. Es gab eine Warteliste, das hätte drei Wochen gedauert. Und ich konnte nicht einfach ein neues Ticket kaufen. Aus dem Stipendium wurde nichts. Ich habe Straßenmusik gemacht.
Und wurden entdeckt, haben Preise gewonnen. Viele Komponisten haben eigens für Sie geschrieben ...
Und ich hätte damals nie gedacht, dass man so viel mit Soloflöte spielen könnte. Anfang der 1980er Jahre gab es noch nicht so viel Literatur.
Was bewegt Sie gerade, wenn Sie auf Ihr Heimatland schauen, geben Sie noch Konzerte in den USA?
Das nächste Konzert dort ist heikel. Jean-Baptiste Barrière, Kaijas Mann, hat die Oper „The Art of Change“ an der New School in New York komponiert, und wir sind eingeladen, sie aufzuführen. Hauptakteurin ist die italienische Philosophin Chiara Bottici, die sehr viele feministische Themen publiziert hat. Wir haben Zitate von James Baldwin oder Greta Thunberg. Auch um die Umweltzerstörung und Gleichberechtigung geht es. Alles Themen, die in den USA momentan nicht so erwünscht sind. Aber solche Tendenzen gibt es auch hier, in Frankreich, überall. Ich denke, unsere Aufgabe ist es, besonders als Musiker, die besten Schwingungen in die Welt zu bringen. Wenn genügend Menschen das machen, auf Änderungen hinarbeiten, kommen sie vielleicht ganz plötzlich. Es nutzt nichts, negativ zu sein. Es könnte alles auch ganz anders gehen. Wir machen das Konzert, um unseren Beitrag zu leisten.