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Bundeskunsthalle BonnNeue Schau zeigt das Werk von Konzeptkünstlerin Anna Oppermann

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Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet Konzeptkünstlerin Anna Oppermann eine "Retroperspektive".

Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet Konzeptkünstlerin Anna Oppermann eine „Retroperspektive“.

Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet der Konzeptkünstlerin Anna Oppermann eine „Retroperspektive“. 

Sie hat sexy zu sein, aber auch normal und eine gute Hausfrau. Ferner naiv und adrett, Hüterin des „perfect house dream“. Und  ein „Häschen auf Eiern“. Soweit die Stoffsammlung und inhaltliche Anleitung zu der wandfüllenden Collage „Hausfrau sein“ (1968) von Anna Oppenheim.

Begehbare Zettelkästen

Außerdem: Ihr zugeordnet sind Pflanzen wie Kaktus, Graslilie, Kalla und Haselnuss. In einer Metaebene verbindet sich das Frausein mit Begriffen wie Deprivation, also Entbehrung, Verdrängung. Fotos, Zeichnungen und Zitate, Kitsch und Kunst, Banales und hoch Philosophisches, Klischee und Ironie – das füllt auf engsten Raum eine Art Hausaltar in der Bundeskunsthalle, die Oppermann eine großartige „Retroperspektive“ widmet.

61 solche quasi begehbaren Zettelkästen zu allen erdenklichen Themen – Oppermann nannte sie „Ensembles“– hat die Künstlerin in ihrem kurzen Leben realisiert. 16 davon sind jetzt mitunter raumfüllend in Bonn zu sehen. Außerdem 150 Einzelwerke, Zeichnungen, Fotos und Fotocollagen. Bei „Hausfrau sein“ sind wir mitten in den Debatten der 68er Jahre. Da trifft das überkommene Rollenbild der Frau auf das moderne und das der Frau als Künstlerin. Mitten in diesem teuflischen Dreieck, in diesem Konflikt, steckt die damals 28-Jährige auch privat.

1940 als Regina Heine geboren, studierte sie Grafik, Malerei und Philosophie, heiratet 1963 den Hamburger Künstler Wolfgang Oppermann, dessen Familiennamen sie annimmt und sich Anna nennt, bringt 1964 den Sohn Alexander zur Welt. Ihr künstlerisches Werk entsteht quasi unter dem Radar, erst 1968 hat sie ihre erste Ausstellung.

Dada und Surrealismus

Mit frühen, sehr bunten Werken aus den 1960er Jahren startet die spannende „Retroperspektive“, die nahtlos an die 1997 mit Sigmar Polke gestartete, exzellente Reihe anknüpft, in der außerdem Katharina Sieverding, Hanne Darboven und Martin Kippenberger zu sehen waren.

Oppermanns frühe Werke lassen erkennen, dass sie sich intensiv mit Dada und Surrealismus befasst hat, das Prinzip des Surrealen dann in ihr Leben geholt hat, um damit die Wahrnehmung der Wirklichkeit aufzubrechen. Sie zeichnet nicht nur sich selbst und das, was sie bewegt, sondern holt sich mit dem Handspiegel die Außenwelt ins Bild. Hier greift bereits das Prinzip Collage, die Auffächerung der Realität in  verschiedene Perspektiven.

Ihre Bildsprache ist zeitgemäß eine schrille, bunte Pop-Art mit Hang zum Comic. Die Ende der 1960er-Jahre startenden „Ensembles“ packen die Themen der Zeit aber nicht mehr knallig und schrill an, sondern analytisch und sehr präzise. Die Diktion ist politischer. Sinnlichkeit und Ironie bewegen sich auf anderer Ebene. An die Stelle der prägnanten, comichaften Bilder treten Wortwitz und der Spaß mit der freien Assoziation. Zweifellos traf Oppermann damit den Nerv der Zeit. Aber auch heute faszinieren ihre Gedankenspiele, fesselt die Offenheit ihres Systems.

Ihre Themen sind ohnehin aktuell: Kunst und Kommerz, Repräsentanz von Frauen im Kunstbetrieb und auf dem Kunstmarkt, das Spiel mit Realitäten, das Schicksal der Außenseiter, Liebe, Sex und Eros. 1979 wurde sie von Margarethe Jochimsen, Direktorin des Bonner Kunstvereins, zu einer Ausstellung eingeladen, in der sich 37 Künstler zu Thema eines Kunstzentrums des Bundes in Bonn Gedanken machen sollten – Oppermanns herrlicher Beitrag „Problemlösungsauftrag an Künstler“ zeigt Bildmaterial aus der Zeit, das sich um einen vier Meter hohen „Elfenbeinturm“ gruppiert, in dem Zettel und durchaus kritische und ironische Notizen zum Thema versammelt sind.

Mitten drin zwei Säulen – als hätte sie 1979 geahnt, dass Architekt Gustav Peichl in der 1992 eröffneten Bundeskunsthalle exakt mit solchen Elementen arbeiten würde. An einer der Säulen klebt ein Zettel: „Kundesbrunsthalle“. Ende der 1970er-Jahre ist Oppermann ohnehin sehr begehrt. 1977 lädt Manfred Schneckenburger sie zur documenta 6 ein, wo sie mit dem Ensemble „Künstler sein“ ihr Dilemma formuliert. 1980 ist Oppermann auf der Kunstbiennale in Venedig vertreten, 1987 präsentiert sie sich auf der documenta 8. Ein Jahr später erkrankt sie schwer und stirbt 1993 gerade einmal 53-jährig.

Kein Plan, keine Partitur

Seitdem steht jede Werkschau vor dem Problem: Wie inszeniert man diese Hundert bis Tausende Elemente umfassenden Arbeiten, zu denen es keinen Plan, keine Partitur gibt? Das Zauberwort heißt „interpretierende Neuinstallation“ anhand von Fotos. Vier Wochen lang haben das Susanne Kleine, Bundeskunsthalle, und Anna Schäffler, die den Nachlass von Oppermann in Berlin betreut, mit einem Team von rund zehn Leuten grandios über die Bühne gebracht. Eine unbedingt sehenswerte Schau.

Unter dem Titel „Retroperspektive“ widmet die Bundeskunsthalle der Konzeptkünstlerin Anna Oppermann (1940-1993) eine mit 18 Installationen und 150 Einzelbildern üppig geratene Ausstellung, die bis 1. April 2024 zu sehen ist. Geöffnet: Di 10-19 Uhr, Mi bis 21 Uhr, Do-So 10-19 Uhr. Der Katalog zur Schau mit aktuellen Fotos soll im Februar 2024 erscheinen. (t.k.)