100. GeburtstagMuseum Ludwig würdigt Chargesheimer – Bilder vom Nachkriegs-Köln

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Museum Ludwig, ML, Chargesheimer, Selbstporträt, Köln, ML/F 1994/0064, Köln

Museum Ludwig, ML, Chargesheimer, Selbstporträt, Köln, ML/F 1994/0064, Köln

Die Schau zeigt seine kontrastreichen Aufnahmen aus einer sich transformierenden Stadt nach dem Krieg.

Dass er mit der Kamera unterwegs war, dürfte nicht zu übersehen gewesen sein. Auf der Hohestraße stieg Chargesheimer sogar auf die Leiter. Die autofreie Einkaufsstraße stand für das sogenannte „Wirtschaftswunder“.

Aufnahmen des Wiederaufbaus

Mit ihren Menschenströmen bot sie in der Nachkriegszeit ein ungewohntes Szenario, in dem sich Bewegung abzeichnete. Trotzdem gewann Chargesheimer ganz intime Einblicke. Die Porträtierten öffneten sich ihm, um ganz bald wieder bei sich selbst zu sein. Irgendwann in diesem Prozess löste er aus. Zwei Buchprojekte nimmt Kuratorin Barbara Engelbach in der kleinen Chargesheimer-Ausstellung, die das Museum Ludwig anlässlich des 100. Geburtstags (19. Mai) des Kölner Fotografen im Studio unter dem Dach zeigt, nun näher in den Blick: Die 1957 erschienenen Bilder für das Buch „Cologne intim“ und das ein Jahr später herausgekommene Fotobuch „Unter Krahnenbäumen“, das Chargesheimer selbst verantwortete. Als „kompromisslos und experimentierfreudig“, bezeichnet ihn Barbara Engelbach.

Layout und Beschreibung des ersten Buchs betreute der damalige Leiter des Kölner Nachrichtenamtes, Hans Schmitt-Rost, der dem Fotografen den Auftrag gab, repräsentative Aufnahmen des Wiederaufbaus zu machen. Schmitt-Rost schrieb zu den Bildern selbst die Texte, mit denen er sich nicht nur Freunde machte. Dass sich auch in den 1950er Jahren Bürger gegen Übergriffigkeiten zu wehren wussten, bewiesen drei in „Cologne intim“ abgebildete Männer aus dem Severinsviertel, zu denen Schmitt-Rost schrieb: „Sie sehen zum Fürchten aus, sind aber eigentlich ganz freundlich.“ Sie klagten und bekamen Recht und Geld.

Frau mit Gummibaum

Auch Chargesheimer eigentlich Karl Heinz Hargesheimer (1924 bis 1971), schien sich in dem Projekt nicht ganz wohl gefühlt zu haben. Wie Engelbach erklärt, schaute er sich schon sehr bald nach einem Verlag um, der ihm freie Hand gab. Mit Greven wurde er für „Unter Krahnenbäumen“ handelseinig. Heinrich Böll schrieb das Vorwort zur kontrastreichen Motivserie aus dem Kunibertsviertel. Feste, Prozessionen, Einzelpersonen und Massenaufläufe wie beim 77. Katholikentag, der 1956 rund 800 000 Besucher in die Domstadt gelockt hatte, zeichnete Chargesheimer in seinen Aufnahmen ganz unverwechselbar. Engelbach hat neben den Fotografien an der Wand in Vitrinen die jeweiligen Seiten des Bildbands aufgeschlagen, auf denen zu sehen ist, welche Bildausschnitte er wählte und wie er was in den Kontext setzte.

Eine Frau mit Gummibaum zum Beispiel ist auf der gleichen Seite zu sehen wie der Gummibaum, der auf einem mit gestärktem Leinen geschmückten Straßenaltar platziert wird. Ungeschönt, aber auch liebevoll dokumentierte der Fotograf seine Stadt. Das Kneipenleben mit dem Liebespaar am Tresen hielt er im Foto fest, aber auch den Eingeschlafenen, der nach der Sperrstunde am Tisch zurückbleibt. Es gibt Fernsehdokumentationen über den Fotografen und in zwei abgelegenen Räumen werden Chargesheimers abstrakte Arbeiten gezeigt, die er ab 1967 schuf.

Er experimentierte im Labor mit Chemikalien sowohl mit den Negativen, als auch auf dem Papier. Für Aufsehen sorgte damals seine Ausstellung mit Kölner Prominenten. Er hatte die Fotos nicht fixiert, bereits während der Ausstellung vergilbten sie. Immerhin drei seiner kinetische Skulpturen aus Plexiglas zeigt das Ludwig. Seine Meditations- oder auch Gebetsmühlen. Eine solche Skulptur aus Draht wurde sogar vom Publikum zerstört.

Stadt kritisch begleitet

Chargesheimer meinte dazu, das habe ihn nicht weiter erstaunt, er habe eigentlich nichts anderes erwartet. Unter der verbreiteten Machtstruktur im Fotobetrieb, bei der Bilder bestellt, beschnitten und verändert wurden, litt er. Man gehe mit seinen Fotos um „wie Deutschland im Krieg mit den Polen“ wurde er in der letzten großen Retrospektive im Museum Ludwig 2007/08 noch zitiert. Seine Stadt begleitete er kritisch, wie ihren Wandel, der beim Wiederaufbau in der Betonorgie endet.

27. April bis 10. November. Di bis So 10 – 18 Uhr, Bischofsgartenstr.1.

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