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Die ewige Steh-auf-FrauIn diesem Jahre wäre Hildegard Knef 100 geworden

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Hildegard Knef in der Graphic Novel „Die Knef“ von Moritz Stetter

Hildegard Knef in der Graphic Novel „Die Knef“ von Moritz Stetter.

Autorin, Sängerin und Schauspielerin: Am 28. Dezember vor 100 Jahren wurde das Multi-Talent Hildegard Knef geboren.

„Von nun an ging's bergab“ heißt es in einem ihre bekannten Lieder. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, denn bei Hildegard Knef, die am 28. Dezember vor 100 Jahren in Ulm geboren wurde, waren Leben und Karriere eine fortwährende Berg- und Talbahn, ein stetes Auf und Ab.

Die Höhepunkte sind bekannt: Mit dem ersten Nachkriegsfilm „Die Mörder sind unter uns“ wird sie schlagartig berühmt. Dann geht’s mit einem üppig dotierten Vertrag nach Hollywood, und Hilde passiert dasselbe wie Jahrzehnte später Poldi beim Wechsel nach Bayern München: Man sitzt auf der Bank.

Zurück in Deutschland macht sie 1950 mit dem Film „Die Sünderin“ Furore, aber sorgt durch eine fünf Sekunden dauernde Aufnahme ihres nackten Körpers für einen Skandal – unter anderem bei den Kinogängern, die enttäuscht waren, dass der Anblick nur so kurz gewährt wurde. Darüber hinaus steht vor allem die Szene, in der sie ihren Geliebtem beim Suizid unterstützt, für Diskussionen und Kritik.

Erneut flüchtet Hilde über den Großen Teich, dreht, wie sie es später zusammenfasst, mit guten Regisseuren schlechte Filme und wird Broadway-Star mit dem Cole Porter-Musical „Silk Stockings“.

Im nächsten Karriereschritt widmet sie sich ganz dem Gesang, sicherlich die künstlerische Ausdrucksform, mit der sie sich am nachhaltigsten im kulturellen Gedächtnis Deutschlands verewigt. Denn hier beschreitet sie neue Wege: 1966, da ist sie 41, erscheint mit „Ich seh die Welt durch deine Augen“ ein Album, auf dem alle Texte von ihr stammen.

In einer Zeit, in der in den Aufnahmestudios die Männer bestimmen, was und vor allem wie die Interpretinnen zu singen haben, ist das eine Sensation. Dass die Knef nicht dumm ist, hat sie immer schon demonstriert. Mit der Tatsache, dass in ihr eine Poetin steckt, verblüfft sie Kritik und Publikum gleichermaßen. Es ist nicht zu unterschätzen, welche Pfade sie für jüngere Kolleginnen in dieser Zunft geebnet hat.

Der spätere, auch internationale Erfolg mit ihren autobiografischen Romanen „Der geschenkte Gaul“ oder „Das Urteil“, in dem sie ihre Krebserkrankung verarbeitet, ist da die logische Konsequenz.

1972 wechselt sie die Plattenfirmen, geht von der Decca zu Philipps, und den neuen Alben merkt man die privaten Probleme an. Aufgrund von Krankheit und Operationen textet sie weniger. Mitte der 70er trennt sich sie von zwei wichtigen künstlerischen Wegbegleitern: Von Ehemann David Cameron, der viele ihrer Platten produzierte, lässt sie sich scheiden.

Und auch Hans Hammerschmid, der seit Mitte der 1960er Jahre die meisten ihrer Texte vertonte, und sie gehen fortan getrennte Wege. Gemeinsam hatten sie Evergreens wie die „roten Rosen“, „Von nun an ging’s bergab“, „Ich brauch’ kein Venedig“, „Ich möchte am Montag mal Sonntag haben“ oder „Ich brauch’ Tapetenwechsel“ kreiert. Ein echtes Dreamteam, das auf dem Album „Knef“ von 1970 sogar mit psychedelischen Elementen spielt.

Die Knef das Multitalent: Schauspielerin, Autorin, aber es ist vor allem die Musikerin, als die sie die Zeit überdauert hat. Da ist zum einen ihr Gesang, für Ella Fitzgerald „die größte Sängerin ohne Stimme“. Und damit hat die First Lady of Jazz nicht unrecht: Die Knef schlägt mit ihrem Instrument keine Kapriolen, setzt nicht zu Höhenflügen jenseits der Oktaven-Grenzen an.

Sie ist eine Interpretin in dem Sinn, dass ihre starke Persönlichkeit die Interpretation bestimmt. Wenn die Knef singt, steht sie im Mittelpunkt und nicht mehr das Lied. Das hat sicher auch damit zu tun, dass viele ihre Songs autobiografisch sind oder zumindest so klingen.

Und natürlich ist der entscheidende Faktor, dass viele der bekannten Liedtexte von ihr selbst stammen (oder etwa von Charlie Niessen perfekt für sie geschrieben wurden) und dass sie die Definition dessen erweitert, wie und worüber man in unterhaltender Musik singen kann. Wenn sie fragt, „Was hab ich vom Doppelbett, wenn du auf Nachtschicht bist“, wenn sie vom „Salz in der Suppe“ oder dem „Nachthemd“ singt, erhebt sie das Banale zur Poesie. Es sind gesungene Alltagsbeobachtungen wie „Die alte Frau“. Oder ein Satz wie „Sie hat ihr Leben an den Kleiderhaken Mensch gehängt“, auf dem man erst einmal herumkauen muss, ehe er sich vollends erschließt.

Hier ist eine Frau am Werk, die genau zu wissen scheint, was sie tut. Und die sich ihr Image nicht aus der Hand nehmen lässt. Die den Blick umschattenden, doppelt geklebten künstlichen Wimpern. Das raue Lachen, die Kippe lässig zwischen den Fingern, die Hände, die die Haare ordnen. Berliner Schnauze und Glamour gehen bei ihr Hand in Hand.

Gleichzeitig macht sie ihre Verletzlichkeit öffentlich, zeigt sich nach ihren schlimmen Krebs-OPs, diskutiert ihre Pläne in Sachen Lifting und Co. Moritz Stetter findet in seiner neuen Graphic Novel „Die Knef“ dafür ein Bild, das unter die Haut geht: Er zeigt die Künstlerin wie eine Papierpuppe in acht Teile zerschnitten ein Körper, den die Stehauf-Frau immer wieder zusammenflicken lässt.

Wie heißt es so schön in den „Roten Rosen“: „Ich will alles oder nichts!“ Ganz oder gar nicht, Sekt oder Selters, keine Fragen, die sich die Knef gestellt hat oder stellen musste.

Buch-Tipp: Moritz Stetter „Die Knef“, eine Graphic Novel, in der die Texte von Hildegard Knef selber oder aus ihren Interviews stammen (Carlsen Comic, 208 S. 26 Euro).

TV-Tipp: „Hildegard Knef So oder so ist das Leben“, Dokumentation von André Schäfer in der Arte Mediathek.