Im Düsseldorfer K 20 entfalten rund 60 Werke des belarussischen Künstlers Chaïm Soutine eine eigene Welt von Pagen und Messdienern.
Ausstellung in DüsseldorfKunstsammlung NRW widmet sich Chaïm Soutine

Landschaft bei La Gaude um 1923 von Chaïm Soutine.
Copyright: bpk | CNAC-MNAM | Adam Rzepka
Auf die Stuhllehne drapiert gewinnt der Stachelrochen fast menschliche Züge. Die Schuppen schillern in den kräftigsten Farben, Fischmaul und Augen sind dem Betrachter frontal zugewandt. Ein Teepott und Granatäpfel erden das Bild mit warmen Rot.
Künstlerische Leitfigur
Chaïm Soutine (1893 – 1943), Pionier der gestischen Malerei, bei der jeder Pinselstrich sichtbar ist, dürfte auf Kompositionen herkömmlicher Stillleben gepfiffen haben. Nie hat der in einem belarussischen Schtetl in der Nähe von Minsk geborene Sohn eines Flickschusters in einer Künstlergruppe gearbeitet. Er machte sein eigenes Ding.
„Gegen den Strom“ heißt die Ausstellung, die die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen mit dem Kunstmuseum Bern und dem Louisiana Museum of Modern Art kuratierte. Die retrospektive Schau mit rund 60 Gemälden im K 20 ist die erste seit 40 Jahren. Die letzte Museumsausstellung fand 1981 im Westfälischen Landesmuseum in Münster statt.
Lange konnte Soutine – anders als in den USA oder der Schweiz – in der deutschen Kunstszene keine Neugier wecken. Gerade einmal acht Gemälde gibt es von ihm bundesweit. Wie Kunsthistorikerin Sophie Krebs betont, ist er heute aber „auf dem besten Weg, zu einer künstlerischen Leitfigur zu werden, gleichauf mit Francis Bacon, Willem de Kooning und Jackson Pollock.“
Wankende Landschaften
Verzerrt, wankend und mitunter mit atemberaubenden Perspektiven stecken seine Landschaften Südfrankreichs voller Poesie. Märchenhaft wirkt auch die persönliche Geschichte Soutines, der beharrlich seinen Wunsch zu malen verfolgte. Da ihm als Jude das Darstellen von Menschen verboten war, straften ihn die Eltern. 14-jährig wanderte er nach Minsk, arbeitete als Fotografenlehrling und besuchte eine Malschule, 1909 ging er zur Ausbildung nach Vilnius, 1913 nach Paris in die Künstlerkolonie „La Ruche“ (die Bienenwabe).
Hunger trieb ihn, was eine chronische Magenerkrankung zur Folge hatte. Bereits im Alter von 50 Jahren starb er, weil er auf der Flucht vor der Gestapo ein schweres Magengeschwür nicht rechtzeitig behandeln lassen konnte.
Als junger Künstler ließ er aber die auf den Pariser Schlachthöfen erworbenen Rinderhälften verrotten. Sie dienten als Motive. Soutine malte die Kadaver so impulsiv, dass die Seele wieder zu erwachen schien.
Seine Porträts von Pagen, Messdienern, Dorftrotteln oder Küchenmädchen lassen tief in die Persönlichkeit blicken. Übergroße, feurige Ohren könnten für Peinigungen durch den Meister stehen, die geöffnete Hand des Pagen für ein Trinkgeld?
Durchbruch mit Konditor
Malregeln beachtete der Künstler nicht, die Anatomie lässt sich oft nur erahnen. Die Menschen dahinter verformte er allerdings nie. Ein Schlüsselwerk ist „Der kleine Konditor“ (Le petit pâtissier), den der amerikanische Kunstsammler Albert C. Barnes mit über 50 weiteren Werken Soutines 1923 kaufte. Angeblich hatte er das Bild zufällig in einer Patisserie gesehen.
Die Legende vom armen Künstler, der plötzlich zu Weltruhm gelangt, gab Stoff für zahlreiche Storys. Soutine selbst hinterließ kaum etwas Schriftliches. Sein Beitrag für das 20. Jahrhundert waren seine Bilder.
Bis 14. 1. 2024, Di bis So 11 – 18 Uhr, K 20, Grabbeplatz 5, Düsseldorf.