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Erstaufführung im Depot 2„Wenn wir einander ausreichend gequält haben“

Lesezeit 4 Minuten
Wenn wir einander ausreichend gequält haben

Ein Mann (Jörg Ratjen) versucht eine junge Frau (Ines Marie Westernströer) daran zu hindern, das gemeinsame Haus zu verlassen, ein Fluchtversuch scheitert.

Köln – Der Saugroboter zieht seine Vierecke, im Carport blinkt ein Audi Warnungen im Dauertakt, Jalousien kippen vor und zurück, fahren hoch und runter: ein gut situiertes Idyll, das nicht nichts Gutes verheißen will. Strahlend weiße Außenwände, ein Wohnzimmer gestrichen in Apricot – eine perfekte Bühne (von Lisa Däßler) für die folgenden 95 Minuten, in denen ein Paar seine Beziehung austariert, bisweilen mit der verbalen Axt. Denn das Stück trägt nicht umsonst den bezeichnenden Titel „Wenn wir einander ausreichend gequält haben“ und wurde jetzt von Thomas Jonigk in deutscher Erstaufführung auf die Bühne des Depot 2 gebracht.

Autor Martin Crimp wirft die Zuschauer direkt mitten hinein in die Konstellation: Ein Mann (Jörg Ratjen) versucht eine junge Frau (Ines Marie Westernströer) daran zu hindern, das gemeinsame Haus zu verlassen, ein Fluchtversuch scheitert. Als Erfüllungsgehilfen stehen ihm seine Tochter und deren Freundin (überzeugend als Duo infernale: Ramona Petry und Lisa Birnkott) sowie die Haushälterin (Marek Harloff) zur Seite.

Aufbegehren, Verzweiflung, Aggression und Hohn

Crimp lässt das Paar in kurzen Szenen die verschiedenen Möglichkeiten des Miteinander deklinieren, wobei vor allem die Frau ihre Einstellung zur Situation respektive ihr Verhalten scheinbar permanent um 180 Grad dreht. Aufbegehren wechselt zu Verzweiflung, Aggression und Hohn wandelt sich zu Unterwerfung. Die zunächst eindeutigen Machtverhältnisse zwischen ihm und ihr werden auf den Kopf und wieder zurückgestellt, aus den Angeln gehoben, zu Boden geworfen und in neue Bahnen gelenkt.

Darüber hinaus lässt der britische Dramatiker („Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“) das Paar die Geschlechter wechseln, in der allerletzten Szene gar hebt er die klare Geschlechterzuordnung auf. Dann scheint es nicht mehr wichtig, ob hier ein klassisches Paarmodell gelebt wird oder eine Powerfrau ihrem Hausmann vorwirft, er lasse ihr gar keine Chance, zu demonstrieren, dass auch sie sich auf häusliche Tätigkeiten versteht.Regisseur Jonigk geht in seiner Inszenierung noch einen Schritt weiter und besetzt die Rolle der Haushälterin mit Marek Harloff, der sich der Figur mit so viel Zurückhaltung nähert, so dass er keine Sekunde droht, in eine Tootsie-Tuntigkeit oder gar tiefer abzurutschen.

Ines Marie Westernströer bannt den Zuschauer

Wie in Crimps Vorlage – der bald 300 Jahre alte Briefroman „Pamela“ von Samuel Richardson – changiert das Faktotum zwischen Ergebenheit ihrem Arbeitgeber gegenüber und erotischen Gefühlen für die junge Frau. Harloff spielt diese Janusköpfigkeit mit größter Selbstverständlichkeit – ein Kabinettstück, angereichert durch zwei Lieder, die er selber auf der Ukulele begleitet.

Auf einen Blick

Das Stück: Wie in einer Versuchsanordnung zeziert Martin Crimp die Machtverhältnisse einer Paarbeziehung.

Die Regie: Mit ruhiger Hand lotst Thomasa Jonigk die Darsteller durch die menschlichen Abgründe.

Das Ensemble: Ines Marie Westernströer als prima inter pares. (HLL)

Doch den im Gespräch mit der Rundschau angekündigten Erkenntnisgewinn zum Verständnis darüber, was einen Mann, was eine Frau ausmacht, bleiben Regisseur und auch Stück letztendlich schuldig. Man hört und sieht auf der Bühne eigentlich nichts, was nicht schon längst bekannt ist.

Dass man diesem Abend dennoch gebannt folgt, geht auf das Konto von Ines Marie Westernströer. Neben dem gewohnt souverän, in diesem Fall fast schon lässig zurückgelehnt agierenden Jörg Ratjen, darf sie strahlen. Die Figur mit ihren wechselnden Stimmungen und Farben bietet dazu eine perfekte Vorlage, die Westernströer weidlich auszunutzen weiß – ohne dabei ihre Kolleginnen und Kollegen an den Rand zu drängen. Im Gegenteil.

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Hier geschieht noch einmal, was zuletzt den „König Lear“ so sehenswert machte, wo man das Gefühl hatte, dass das ganze Ensemble zu Höchstleistungen aufläuft, um Martin Reinke den Raum zu geben, in dem seine Meisterleistung abliefern konnte. Und im Depot 2 erlebt man, dass sich die anderen nicht dazu quälen musste, Ines Marie Westernströer auf ein Podest zu heben. Verdientermaßen war der Premierenapplaus für alle Beteiligten laut und lang.

95 Minuten, wieder am 24. und 27.11., Depot 2.