Seit März 2013 leitet Marcus Dekiert die Geschicke des Wallraf-Richartz-Museums – mit einem unbefristeten Vertrag. Mit Axel Hill sprach er über seine ersten zehn Jahre am WRM, über Erfolge, neue Besucher und Triggerwarnungen.
Interview mit WRM-Direktor in KölnWarum Marcus Dekiert nichts von Triggerwarnungen hält

Marcus Dekiert ist seit zehn Jahren Direktor des Kölner Wallraf-Richartz-Museums.
Copyright: Costa Belibasakis
Kann es sein, dass in den zehn Jahren ein Wort zum Unwort geworden ist: Erweiterungsbau?
Ich habe das nie als Unwort wahrgenommen, sondern stets als großes Versprechen. Es ist gewiss nicht so gelaufen, wie man sich das wünschen würde. Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, dass wir jetzt im heutigen Stadium sind, dann hätte ich gesagt: o je, o je. Ich gehe jetzt aber fest davon aus, dass wir in fünf Jahren das erweiterte Museum eröffnen können.
Mit 53 sind Sie noch weit vom Rentenalter entfernt. Nicht, dass wir Sie los werden wollen, aber macht man sich da Gedanken, dass dies ein Alter ist, in dem man gut noch einmal etwas Neues starten könnte?
Man sollte, um die Spannkraft zu erhalten, immer auch schauen, was es für andere Möglichkeiten gibt. Wenn man seine Arbeit nicht ganz so schlecht macht, bekommt man das eine oder andere Angebot von außerhalb. Diese Angebote habe ich bisher – obwohl sehr attraktive dabei waren – stets abgesagt, weil ich das Gefühl habe, dass mein Weg hier in Köln noch nicht ausgeschritten ist. Ich würde es etwa als sehr unbefriedigend empfinden, wenn ich ginge und nicht zuvor den Schlüssel im Schloss des Erweiterungsbaus herumdrehen konnte. Rückblickend:
Was war ein persönlicher Erfolg?
Dass wir mit unseren Ausstellungen so erfolgreich waren. Wir sind ja keine Sammlung wie der Louvre mit der „Mona Lisa“ oder die Neue Pinakothek mit den „Sonnenblumen“ von Van Gogh. Da muss man nicht viel tun, damit die Besucherinnen und Besucher kommen. Aber zu uns kommen diese, wenn wir gut kuratierte Ausstellungen machen. Von 2016 bis 2020 hatten wir vier große Ausstellungen hintereinander, die nach der „Mission der Moderne“ die vier erfolgreichsten Schauen des Hauses überhaupt waren. Und das realisieren wir mit in jeder Hinsicht sehr knappen Ressourcen.
Was wäre eine Niederlage?
Obwohl das Museum nicht die entscheidenden Hebel in der Hand hält, so denkt man doch darüber nach, warum das mit dem Bau nicht so recht funktioniert hat. Wo hätte man Einfluss auf Entscheidungen nehmen können?
Haben sich die Besucher verändert?
Ich beobachte, dass wir unterschiedliche Publika haben. Zu den Ausstellungen mit Werken von Tintoretto oder Rembrandt kommt unser klassisches Publikum, auch von weiter her. Bei der großartigen „Susanna“-Ausstellung waren erfreulich viele junge Leute da. Und das ist etwas, das für unser Haus zunehmend wichtig ist. Denn wir brauchen ja auch in zehn, zwanzig Jahren ein Publikum, das die klassische Kunst für anschauenswert und bewahrenswert hält. Doch das wird in unserer digitalen und bildergesättigten Zeit zunehmend schwieriger.
Was halten Sie vom Trend der „immersiven Ausstellungen“, wie gerade Monet in Wuppertal? Haben Sie sich so etwas schon angeschaut?
Ja, aber das ist im Wesen etwas ganz anderes und keine Konkurrenz. Man macht dort mit den Kunstwerken etwas, worüber man diskutieren kann, ob es ihnen gerecht wird, wenn man so eine Überwältigungsstrategie fährt. Unser Alleinstellungsmerkmal am Museum ist die Begegnung mit dem authentischen Kunstwerk so wie es ist. Diesen Zauber wollen wir ermöglichen für jede und jeden, egal mit welchem Hintergrund er oder sie zu uns kommt.
Viele Häuser bewerten gerade ihre Sammlungen neu, Stichwörter Rassismus, Postkolonialismus, Diversität, Gender. War „Susanna“ eine Reaktion auf den Zeitgeist?
Ja und nein. Das Thema ist fraglos eines unserer Zeit. Aber: Als ich vor zehn Jahren nach Köln kam, hat mir Roland Krischel ein Ausstellungsprojekt zum Thema „Susanna“ beim italienischen Renaissancemaler Tintoretto vorgeschlagen. Ich habe dann angeregt, dass wir erst eine vollwertige Tintoretto-Ausstellung machen – und zu einem späteren Zeitpunkt „Susanna“. Als dann 2017 die #MeToo-Bewegung aufkam, wurde uns sofort klar: Hier wird exakt dasselbe Thema verhandelt, wie 2000 Jahre zuvor im Alten Testament.: Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt und Durchsetzung der Wahrheit und des Rechts. Was aus meiner Sicht jedoch nicht ins Museum gehört, sind Aktivismus und eine politische Agenda. Wir können Themen setzen, sollten eine Haltung haben und können die anschließende Auseinandersetzung initiieren.
In anderen Häusern hängen vor manchen Werken Triggerwarnungen. Wurde das im WRM auch schon von Besuchern angeregt?
Ich glaube, wir sollten möglichen Sensibilitäten entsprechen. Bei „Susanna“ sah man in über 80 Kunstwerken die massive Bedrohung einer jungen Frau. Das bleibt eine heftige Erzählung, selbst wenn man den guten Ausgang kennt. Daher haben wir zu Beginn der Ausstellung auch einen aufklärenden Text vorgesehen. Generell gilt aber, wenn wir alles runterfahren, in dem wir vor allem warnen, ist die Unmittelbarkeit der Kunsterfahrung, die so essenziell wichtig ist, nicht mehr da.
Hat sich in den zehn Jahren Ihr Blick auf die Kunst verändert?
Eigentlich nicht. Man sieht manche Bilder selbstverständlich anders, als man sie vor vielen Jahren gesehen hat. Ich weiß, dass das heute nicht so richtig sexy ist: Aber mir ist es stets auch um die Handwerklichkeit gegangen. Immer noch ist das Staunen da, was vor 400 oder 500 Jahren mit einem Pinsel auf einer Leinwand oder einer Holztafel geschaffen wurde.