Jelinek-Stück in KölnWarum „Schwarzwasser“ in Corona-Zeiten bestens funktioniert

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

  • Stefan Bachmann zeigt Elfriede Jelineks Stück zum Ibiza-Video: „Schwarzwasser“
  • Die saftige Realsatire wurde schon für die letzte Spielzeit einstudiert, doch dann kam der Lockdown.

Köln – Dieses Meeresrauschen haben wir vorher schon gehört. Nun, da wir auf der Odyssee durchs Interimsquartier des Kölner Schauspiels unter dem Tribünengestänge von Depot 1 angekommen sind, liegt da ein durchnässter Mann. Ein angespülter Flüchtling? Mitnichten.

Denn der Halbnackte (Tom Radisch) spricht davon, „dass wir anderen die Grenzen aufzeigen können, die natürlich von uns kontrolliert werden müssen“. und ja, er sagt das „deutlich in die Kamera, die wir leider nicht gesehen haben, weil wir die ganze Zeit reingelegt worden sind“. Da sind wir schon mitten in Elfriede Jelineks Stück „Schwarzwasser“, das Stefan Bachmann nun als deutsche Erstaufführung inszenierte.

Ibiza-Affäre

Es geht um jene Ibiza-Affäre, in der die FPÖ-Spitzen Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus auf eine angebliche russische Oligarchin hereinfielen und bei reichlich Red Bull und Wodka die Übernahme der Kronen-Zeitung und von ganz Österreich herbeischwadronierten. Leider vor versteckter Kamera, so dass die Regierungskoalition mit der ÖVP von Kanzler Stefan Kurz am 18. Mai 2019 jäh zerbrach.

Das könnte Sie auch interessieren:

Eine saftige Realsatire, die Jelinek rasch aufgriff. Bachmann hatte die Premiere schon für die letzte Spielzeit einstudiert, doch dann kam der Lockdown. Alles auf Anfang unter Corona-Bedingungen, da zeigt sich, was ein regieführender Intendant kann.

Das Ganze ist nun ein „Szenischer Parcours“, den sieben Gruppen à sechs Personen (mit Maske) so absolvieren, dass sie einander nur mal von Ferne sehen. Für unsere Gruppe 6 beginnt die von schweigsamen Wegweisern gelenkte Prozession vor einer Behindertentoilette mit einem starken Bild: Jörg Ratjen, mit Stock, Jelinek-Frisur und Badeanzug als düsteres Orakel. Das sieht  „die neuen Patrioten, zwei Exemplare von düsteren Zeichen an der Wand, die ihr Vaterland hinter sich herschleppen wie eine blutige Nachgeburt“.

Vorzüglich fürs Corona-Theater geeignet

Weiter im Text und durch die Eingeweide des Theaters. Unser Zerberus führt uns in die Heizzentrale, wo Peter Knaack im Rollwagen herumruckelt und die Kraftprosa der neuen Rechten ausspuckt. Schon hier wird klar, wie vorzüglich Jelineks Textgebirge als Steinbruch fürs Corona-Theater taugen. Da es weder Psychologe noch Handlung, dafür viel kreiselnde Prosa zwischen Mythenraunen, hohem Ton und Klartext gibt, hat die Regie alle Freiheiten.

Bachmann nutzt sie virtuos. Die Wartezeiten vor einzelnen Stationen sind dem Gesamt-Timing geschuldet, doch unterwegs gibt es viel zu sehen: Jelinek-Zitate als Graffiti, die Tür zur „Abendmaske 3“,  den Maschinenraum der Hinterbühne. Dann muss jeder einzeln durch einen nebligen Gang ins Freie, zu jenem Container, in dem die verschwitzte Ibiza-Szenerie als Pappmaschee-Comic nachgestellt ist. Samt viel Red Bull und der gezückten Knarre von Herrn Gudenus.

Apropos Red Bull: Das „Kraftlackel-Elixier“ wartet später auf einem Servierständer, vor allem aber in jenem Lastenaufzug, in dem die zierliche Nicola Gründel herabfährt. Um dann zwischen lauter zerdrückten Blechdosen auf hohen Hacken einen Macho-Monolog voller Endzeitgewitter hinzufetzen. Da geht’s um die Jungen, die sich „ins Klima einmischen“, um verhökerte Ressourcen – und die Menge: Sie „verschlingt und verdaut sich selbst“.

In dieser schäumenden Tirade voller Menetekel ist Jelinek ganz bei sich. Doch der Kölner Hybrid aus Theater und Installation schlägt überall Funken: oft bedrohlich, aber auch so komisch wie bei Lola Klamroths Gymnastiksolo im kleinen Container der „Grotte“. Bachmann musste sein Konzept zertrümmern, doch dessen Splitter glitzern im faszinierenden Labyrinth des Depots um die Wette.

Den Beifall gibt‘s dann draußen im Carlsgarten.

Knapp zwei Stunden, nächste Termine: 8.10., 21 Uhr, 14.10., 20 Uhr. Ticket-Hotline: (0221) 221 28400.

Rundschau abonnieren