Museum K20Wassily Kandinsky trifft in Düsseldorfer Schau auf Hilma af Klint

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Eine Ausstellungsbesucherin betrachtet das Gemälde ·Altarbild· von Hilma af Klint.

Eine Ausstellungsbesucherin betrachtet das Gemälde ·Altarbild· von Hilma af Klint.

Wassily Kandinsky galt lange als Pionier der abstrakten Malerei, doch die Schwedin Hilma af Klint malte schon etwas früher Bilder, die nun in Düsseldorf neben den Werken des Expressionisten zu sehen sind. 

Stockholm und Moskau – über tausend Kilometer trennt die Geburtsorte der Malerin Hilma af Klint (1862 – 1944) und des Expressionisten Wassily Kandinskys (1866 – 1944). Af Klints visionäres Werk wurde erst kürzlich wiederentdeckt.

Blauer Reiter

Kandinsky gilt als Mitbegründer des „Blauen Reiters“, der wegweisenden Programmschrift des 20. Jahrhunderts, als Ikone des Expressionismus — und bislang als Protagonist der abstrakten Malerei. Doch beide begannen ungefähr zeitgleich abstrakt zu malen, ohne voneinander zu wissen. Dabei haben einige ihrer Motive frappierende Ähnlichkeit.

Mehr als 120 Werke haben die Kuratoren um Julia Voss und Daniel Birnbaum zusammengetragen. Wilde Perspektiven im „Blauen Land“ Nun sind ihre Bilder im K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu sehen. Hilma af Klint malte kämpfende Schwäne: Im weißen und schwarzen Gefiederknäuel auf dunklem Untergrund mischen sich rote Blutspuren. Und in einem Zyklus beginnt sie diese Farbkomposition in einem Kreis auf Rotem Hintergrund abzuwandeln. Der blutige Kampf als Zuordnung im Farbfeld.

Kandinsky, der mit seiner damaligen Lebensgefährtin Gabriele Münter im bayrischen Murnau lebte, hielt die Bergmassive des „Blauen Lands“ und den dortigen Staffelsee in farblich facettenreichen Landschaftsbildern fest. Deren Perspektive drohte auseinanderzudriften, bildeten aber trotzdem eine stimmige Einheit. Dann ging er ebenfalls zu streng-symmetrischen Farbfeldanordnungen über. „Träume von der Zukunft“, so der Untertitel der Synopse, spielt auch auf den Aufbruch, die politischen Spaltungen an, die am Anfang des 20. Jahrhunderts durch europäische Krisen entfacht wurden.

Künstler wie Kandinsky fühlten sich in ihrer Sicht bestärkt, dass ein neuer Geist notwendig sei, dessen Ausdruck die ungegenständliche Malerei wurde. Er formulierte seine Ideen 1912 in der Schrift „Über das Geistige in der Kunst“. Die Parallelen zu Hilma af Klint werden jedoch am deutlichsten bei den neuen Strömungen in Anthroposophie und Theosophie.

Antroposophie

Beide Künstler waren den Ideen Rudolf Steiners oder der Okkultistin Helena Petrovna Blavatsky (1831 – 1891), Autorin der „Geheimlehre“, gegenüber offen. Auch die Physikerin, Chemikerin und Nobelpreisträgerin Marie Curie und ihr Mann Pierre setzten mit ihrer Wissenschaft Impulse, die in der abstrakten Malerei wieder aufgegriffen wurden. Hatten sie doch bewiesen, dass sich Atome spalten lassen und Energien walten, die das Auge nicht sieht. Hilma af Klints Serie „Das Atom“ wird in der Düsseldorfer Schau nun zu ihrem Zitat gestellt: „Ich bin ein Atom im Universum, das über unendliche Entwicklungsmöglichkeiten verfügt, die ich versuchen werde, nach und nach zu erfüllen“, schrieb sie 1917.

Kandinsky formulierte es vier Jahre zuvor noch etwas anders: „Das Zerfallen des Atoms war in meiner Seele dem Zerfall der ganzen Welt gleich. Plötzlich zerfielen die dicksten Mauern, alles wurde unsicher, wackelig und weich.“ Hilma af Klint hatte in ihrem Nachlass von mehr als tausend Werken, den sie an ihren Neffen Erik af Klint vererbte, verfügt, dass die abstrakten Arbeiten erst zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod gezeigt werden durften. Darunter auch die Serie „Die zehn Größten“, die nun in Düsseldorf zu sehen ist.

Psychedelic-Design

Die raumhohen Formate haben mit ihren runden Formen und Spiralen etwas von Psychedelic-Design der 1970er Jahre. Dann wieder erinnert es an Max Ernst, der in seiner „Pétales et jardin de la nymphe Ancolie“ 1934 ein sinnlich-abstraktes Tafelbild für die Wand der Tanzbar „Mascotte“ in Zürich malte. Af Klints Großformate geben manches Rätsel auf, erinnern an die Spiralo-Malschablonen, mit denen zahlreiche Kindergenerationen zum Zeichnen animiert wurden. Der Besucher der Schau kann einen Blick auf weitere Zeichenschulen Anfang des 20. Jahrhunderts werfen. So sind in einer Vitrine alte Malblöcke von Faber Castell zu sehen, deren Titelseite ein Bild des deutschen „Malmediums“ Wilhelmine Assmann ziert – wie im Trance gemalte, spiralenförmige Ornamente.

Af Klint schuf sich ihren eigenen Kosmos, malte einen Tempel, in dem die zentralen Bilder aufgingen. Eine Art Altarbild mit Öl und Metallblättern auf Leinwand. Dass Kandinsky ihre Bilder sah, gilt als eher unwahrscheinlich. Doch stellte er selbst 1916 in der Stockholmer Galerie Gumneson aus. Die lag unweit der Wohnung von Hilma af Klint. Begegnet sind sie sich wahrscheinlich nicht.

Bis 11. August, Di bis So 11 – 18 Uhr, Grabbeplatz 5

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