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Interview

Kölner Autorin
Angela Steidele beleuchtet im Roman Greta Garbo und Marlene Dietrich

5 min
Die Autorin Angela Steidele

Die Autorin Angela Steidele

In ihrem Roman „Ins Dunkel“ erzählt Angela Steidele die Geschichten der Leinwandlegenden Greta Garbo und Marlene Dietrich. Im Zeitporträt werden auch Erika Mann oder Therese Giehse bedacht. 

Sie erzählen filmisch von Marlene Dietrich und Greta Garbo. Für Sie sind sie die „Influencerinnen“ ihrer Zeit. Inwiefern?

Man muss sich vorstellen, dass es vor dem Film noch nie eine solche Reichweite gegeben hat. Im 18. Jahrhundert gab es berühmte Kastraten. Aber diese waren nur in wenigen Metropolen bekannt. Erst der Film war das wirkliche Massenmedium, das Weltberühmtheiten hervorbringen konnte wie eben Greta Garbo oder Marlene Dietrich. Menschen, die auf einmal auch in China und Indien und in Südamerika verehrt wurden. Garbos „Queen Christina“, der im Roman eine große Rolle spielt, war der Lieblingsfilm von Maos Frau.

Und in der Mode und beim Schminken richteten sich die Kinobesucherinnen nach den Leinwandgöttinnen?

Garbo und Dietrich stehen eigentlich am Ende der ersten Frauenbewegung. Im 19. Jahrhundert beginnt der Kampf um Bildung, Zugang zum Gymnasium, zu Universitäten für Frauen, das Wahlrecht, bürgerliche Rechte und, ganz wichtig, die Befreiung von der einengenden Kleidung. Röcke werden kürzer, Korsetts knapper. Am Ende der Bewegung stehen Garbo und Dietrich in Hosen da. Beide sind Pionierinnen der Hosenrolle und tragen Krawatte. Und beide haben etwas Männliches im Gestus. Greta Garbo war berühmt für ihre Liebesszenen, in denen immer sie es war, die die Männer geküsst hat.

Das Frauenbild wurde durch den Film verändert, selbstbewusster. Wie kam es zur Rolle rückwärts? Anfang der 1930er Jahre hielt das Heimchen am Herd, die Biederkeit Einzug in Hollywood.

Das Faszinierende an der Zeit ist, dass es 1933 eben nicht nur bei uns rückwärtsging, sondern auch in den USA. Das ist genau das Jahr, indem im Hollywoodkino die Zensur eingeführt wird. Mit dem Hays Code wurden „moralisch akzeptable“ Darstellungen besonders von Kriminalität, sexuellen und politischen Inhalten reguliert und überwacht. Zuvor hatte in den USA der Weimarer Spirit geherrscht, als die ganzen deutschen Regisseure herübergeholt wurden. Dann ging es los: Politiker, Polizisten und katholische Geistliche mussten stets positiv gezeichnet werden. Niemand mehr im Bett, selbst Eheleute in getrennten Betten, der Herr küsst die Dame in den Raum zwischen Unterlippe und Kinn, und da darf sich auch nichts bewegen.

In Ihrem Buch bewegt sich Gott sei Dank sehr viel. Sie beschreiben lesbische Liebesbeziehungen zwischen Signe von Scanzoni und Erika Mann, Mercedes de Acosta und Greta Garbo und auch Marlene Dietrichs Bisexualität. Enttabuisierte der Film den Umgang mit Queerem?

Marlene Dietrich ist in „Morocco“ im Frack zu sehen, wie sie in einer Bar eine Frau küsst. Und Greta Garbo küsst als „Queen Christina“ in Hosen ihre Hofdame. Das waren Signale in den frühen dreißiger Jahren, um die Machtübernahme der Nazis herum, die unglaublich befreiend gewirkt und eine Kraft bis heute haben. Aber kaum gab es diese Bilder in der Welt, kam auch schon die Rolle rückwärts.

Sie schreiben, dass der Faschismus parallel zu den Filmen stark geworden ist, Massenmedien zeigten nicht nur schöne Bilder, sie hatten auch eine heikle Wirkung, machten Hitler möglich.

Ich lege in meinem Buch sogar die Parallelisierung zur digitalen Revolution nahe und möchte damit auch etwas anstoßen. Die Beschäftigung mit Garbo und Dietrich war über Jahrzehnte eine Liebhaberei von mir. Ich habe lange nicht gewusst, ob es darin einen Stoff gibt, den ich wirklich literarisch gestalten kann. Meine Fassungslosigkeit über unsere Gegenwart hat mir gezeigt, wie es gehen kann. Wir leben ja in Zeiten umstrittener Wirklichkeit. Was wahr ist, wird zum Beispiel vom russischen wie vom amerikanischen Präsidentenpalast komplett verdreht.

Das geht bis zum Umkrempeln der Museen ...

Wir haben Gott sei Dank noch die freie Presse bei uns und noch die freie Wissenschaft. Aber vernünftig denkende Menschen haben auf einmal so eine Mühe, noch durchzublicken und etwa Fake News zu entlarven. Was wirklich ist, wird von Antidemokraten verstörend bestritten. Und da wurde mir durch meine Filmstudien klar, wie stark die Fotografie und auch der Film die Wirklichkeitswahrnehmung verändert und schockiert hat. Diese wurden sofort als dokumentarische Medien umarmt. Man glaubte, dass das was man sah, die Wirklichkeit dokumentiert. Dabei gab es von Anfang an Retusche und auch Dokumentarfilme wurden inszeniert. Die Ufa wurde nicht gegründet, um Filmkunst zu machen, sondern Propaganda.

Und Marlene Dietrich, wie war sie als Schauspielerin?

Sie war grottenschlecht. Ich habe für meinen Roman noch einmal alle Filme bewusst gesehen. Am Anfang war sie noch bemüht, im „Blauen Engel“, und die frühen Sternberg-Filme sind schon toll. Allerdings vor allem durch Sternbergs Kamera und Marlene Dietrichs überaus suggestive Ausstrahlung. Ab Mitte der 30er Jahre fand sie jedoch, sie muss tipptopp aussehen und ihre Aufgabe im Film ist es, wunderschön zu sein. Morgens verwuschelt im Bett? Nicht eine Marlene Dietrich. Sie wacht auf, wie aus dem Ei gepellt. Die Regisseure sind an ihr verzweifelt.

Marlene Dietrich war strikte Gegnerin der Nazis und betrat Deutschland während der Diktatur nicht.

Sie war eine überzeugte Antifaschistin. Greta Garbo hat sich weg geduckt, obwohl sie wusste, was im Zweiten Weltkrieg passierte. Sie hatte privat einen großen jüdischen Freundeskreis, war unterrichtet und hat aber nichts gesagt, ihre Berühmtheit nicht genutzt, um irgendwie Einfluss zu nehmen. Marlene Dietrich hatte dagegen wirklich berufliche Nachteile in Kauf genommen, auf viel Geld und große Rollen in Deutschland verzichtet, weil sie einen moralischen Kompass hatte. „Was die Nazis machen, gehört sich nicht.“ Das war ihr Satz. Sie war extrem mutig.

Und nach dem Krieg?

Sie war in Westdeutschland total unbeliebt. Es gibt Fotografien mit Schildern, auf denen „Marlene go home“ stand, sie wurde 1960 mit faulen Tomaten und Stinkbomben begrüßt. Sie hatte eine zweite Weltkarriere als Sängerin gestartet – verehrt auf jedem Kontinent, aber nicht in Westdeutschland, wo mehrere Konzerte wegen Bombendrohungen abgesagt werden mussten. Die DDR konnte an die Antifaschistin natürlich anders anknüpfen. In Ost-Berlin verhandelte Marlene ultracoole Honorare: Sie hätte vier Blüthner-Flügel bekommen, einer davon wäre an eine Mädchenschule gegangen. Wurde aber nichts draus.

Angela Steidele: „Ins Dunkel“, Suhrkamp Verlag, 357 S., 26 Euro.